Kontexte und Konturen eines Klassikers: The New Science of Politics by Eric Voegelin

Eric Voegelins New Science of Politics ist ein von zahlreichen seiner Interpreten missverstandener Text. Dafür gibt es viele Gründe, von denen einige im Text selbst zu suchen sind – es ist ein in seiner Argumentation und Terminologie schwieriger und in seinen Thesen und Schlussfolgerungen unbequemer Text. Andere dürften auf Flüchtigkeiten bei der Lektüre zurückzuführen sein, vor allem aber auf eine fehlende Bereitschaft – und vielleicht auch Befähigung – mancher Leser, sich auf Voegelins Argumentation einzulassen. Noch ein weiterer Grund kommt hinzu. So litt das volle Verständnis zweifellos auch darunter, dass der größere werksgeschichtliche Kontext, in dem er steht und aus dem heraus er entstand, lange Zeit unbekannt war. Diesen Kontext wenigstens in seinen wichtigsten Grundzügen zu rekonstruieren, ist das Anliegen dieses Essays.

Eine solche breite werksgeschichtliche Perspektive eröffnet ein Brief Voegelins an Eduard Baumgarten vom 10. Juli 1951. Der Kontakt zwischen den beiden Männern, die sich noch aus gemeinsamen Wiener Zeiten kannten und bis weit in die 30er Jahre eine rege Korrespondenz geführt hatten, war durch die Flucht Voegelins in die USA und den Zweiten Weltkrieg unterbrochen worden. Im Sommer 1950 hatte Baumgarten die Initiative ergriffen und versucht, die alte Verbindung wiederherzustellen. Da Voegelin erst nach mehreren Monaten auf den Brief antwortete, war es nur verständlich, dass er zunächst sein langes Schweigen erklärte und zu diesem Zweck einleitend kurz die Umstände schilderte, die eine schnellere Antwort verhindert hatten:

                                                                                                                                            

 „Als Ihr Brief kam, war ich arg im Druck der Arbeit. Im Januar hatte ich die Walgreen Lectures in Chicago zu halten, und die mussten ausgeschrieben werden. Der Gegenstand war ‚Repräsentation’; aber er wuchs sich zu einer systematischen Geschichtsphilosophie aus. Mit der Einleitung hatte das MS etwa 250 Seiten. In den Monaten von September bis Anfang Februar habe ich alles andere rücksichtslos liegen lassen. Nach der Rückkehr aus Chicago hatte ich noch manches zu bessern, den Fussnotenapparat herzustellen und die Einleitung zu schreiben. Nun ist das MS bei der Chicago University Press friedlich im sommerlichen Urlaubsschlaf; vermutlich wird das Buch im Frühjahr herauskommen. Diese Affaire der Lectures war eingekapselt in einen grösseren Arbeitszug, der im Frühjahr 1950 mit der Vorbereitung der Europareise begonnen hatte. Diese selbst hatte mir drei Monate genommen; und die Auswertung der Materialien (zur systematischen Geschichtsphilosophie) läuft seitdem nebenher und ist noch lange nicht beendet. Einiges konnte ich schon für die Lectures verwenden. Und dieser ganze Arbeitszug von einem Jahr unterbrach die Arbeit an der grossen ‚History of Ideas’. An der bin ich nun wieder beschäftigt, Lücken füllend und die Organisation revidierend […] Diese ‚History’ selbst hat nun eine längere Geschichte. Sie war im wesentlichen 1945 abgeschlossen. Aber damals, bei der Analyse von Vico und Schelling fand ich endlich die ‚Lösung’ eines Problems, das mich seit 1930 geplagt hatte, d.h. eine Mythentheorie, die es möglich macht solche Erscheinungen wie Plato’s Mythen ohne unerklärte Reste zu interpretieren. Damals erst konnte ich dann den Timaeus und Critias, sowie die Nomoi, angemessen darstellen. Das Resultat war, dass der ganze Altertumsband über Bord ging und neu geschrieben wurde. Und diese neue Fassung machte dann das 16. und 17. Jahrhundert unmöglich, so dass dieser Teil auch neu geschrieben werden musste. Aber jetzt scheint alles zu funktionieren, wenn auch Details (wie eben der Homer) noch Schwierigkeiten technischer Art machten.“[1]

Die Passagen zeigen – ungeachtet mancher Ungenauigkeit im Detail – in aller Deutlichkeit die großen „Arbeitszüge“, in die Voegelin seit 1945 involviert war und in deren Kontexten letztlich auch die New Science of Politics (= im folgenden New Science) zu sehen ist. Da ist zunächst der erste umfassende „Arbeitszug“ – die Arbeit an der History of Political Ideas (= im folgenden History), deren Anfänge bis zum Beginn der 40er Jahre zurückreichen und die Voegelin nun, nach einigen Unterbrechungen, wieder aufgenommen hatte. Allerdings wird sich zeigen, dass diese Unterbrechungen nur formaler Natur waren, dass die Auseinandersetzung mit den sachlichen Problemen, die im weiteren Verlauf an der History aufgetreten waren, auch in dieser Zeit weiterging, ja dass gerade jetzt Lösungen für Probleme gefunden wurden, an denen Voegelin zuvor gescheitert war und die sich für die New Science als überaus bedeutsam erweisen sollten. Wir werden deshalb in einem ersten Schritt den Blick auf die History seit dem Zeitpunkt werfen, an dem Voegelin die Arbeiten an dem schon fertig geglaubten Projekt wieder aufnahm. – Da ist sodann der – zeitlich kürzere – zweite „Arbeitszug“. Er war zum einen gekennzeichnet durch die im Frühjahr 1950 anlaufenden Vorbereitungen für die Europareise, die Voegelin dann im Sommer antrat und von der er im September zurückkehrte, sowie zum anderen durch die Auswertung der aus Europa mitgebrachten Materialien, die ihn parallel zu den Arbeiten an der History beschäftigte. Sein Hinweis auf die „systematische Geschichtsphilosophie“ deutet an, dass es sich hierbei um ein eigenständiges Projekt handelte, das mit der History nicht identisch war. Und da Voegelin mit diesem Projekt nicht nur schon einige Zeit vor seinen Vorbereitungen zur Europareise begonnen hatte, sondern dieses sogar der tiefere Grund der Reise war, ist auch ein Blick auf dieses Projekt notwendig. Wir werden dies in einem zweiten Schritt tun.

Den dritten und kürzesten „Arbeitszug“ bildete schließlich die Arbeit an den Walgreen Lectures selbst, die Voegelin unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Europa aufnahm und mit der er zunächst bis Anfang Februar 1950 beschäftigt war. Nachdem die Chicago University Press sich inzwischen dazu entschlossen hatte, ihre Option für eine Buchfassung zu nutzen, war er noch einige Zeit damit beschäftigt, Fußnoten nachzutragen; zudem war eine Einleitung zu verfassen. Erst nach deren Abschluss, im Juli 1951, war offenbar wieder Zeit für die liegengebliebenen Korrespondenzen, u.a. für die mit Eduard Baumgarten. Die Darstellung der Vorgeschichte der Walgreen Lectures sowie ein Blick auf die Äußerungen Voegelins während ihrer Abfassung in einer Reihe von Korrespondenzen – vor allem mit Alfred Schütz, Leo Strauss, Friedrich Engel-Janosi und Waldemar Gurian –, [2] die Licht sowohl auf die Arbeit werfen wie auf die Absichten, die er mit den Lectures und bald darauf mit dem Buch verfolgte, bilden den dritten Schritt. Diese Intentionen Voegelins sollen schließlich und abschließend in einigen zentralen Punkten kurz am Text der New Science selbst verdeutlicht werden.

Der erste „Arbeitszug“: Arbeiten an der History of Political Ideas Der erste „Arbeitszug“ ist gekennzeichnet durch die Arbeiten an der History of Political Ideas. Mit diesem Projekt hatte Voegelin im Herbst 1939 begonnen, und es war, wie er Baumgarten schrieb, 1945 „im Wesentlichen abgeschlossen“.[3] In der Tat hatte Voegelin das Verlagshaus Macmillan, das im Herbst 1944 die History von McGraw Hill übernommen und sich verpflichtet hatte, sie in einer erheblich erweiterten Fassung, nämlich in drei umfangreichen Bänden herauszubringen, im Sommer 1945 darüber informiert, dass die ersten beiden Bände – The Ancient World und The Middle Ages – fertig seien und er mit dem Abschluss des Schlussbandes The Modern World in der ersten Hälfte des kommenden Jahres rechne.[4]

Für eine solche Einschätzung gab es gute Gründe. So lagen zwei des auf insgesamt vier Teile angelegten Schlussbandes – die über das 16. und 17. Jahrhundert – schon seit 1942 fertig vor, und auch von den verbleibenden beiden Teilen, die sich unter den Titeln „Revolution“ und „Crisis“ dem politischen Denken seit dem 18. Jahrhundert widmen sollten, waren verschiedene Kapitel und Abschnitte schon geschrieben oder zumindest konzipiert. So hatte Voegelin die Arbeiten an dem Teil „Revolution“ im Frühjahr 1945 aufgenommen und in schneller Folge drei Kapitel fertiggestellt. Von zentraler Bedeutung war in diesem Zusammenhang das Einleitungskapitel „Apostasy“[5], da er in diesem, wie er selbst gegenüber Alfred Schütz bemerkte „die Grundordnung für das Folgende bis zur Gegenwart“[6] ausgearbeitet hatte. Sein Thema war – wie schon der Titel andeutet – der „Abfall“ bzw. die Abwendung von der christlichen Zivilisation des imperialen Mittelalters und der Übergang in ein neues „Zeitalter“, das unter dem Zeichen der „Vernunft“ stand und von seinen Protagonisten in deutlicher Abgrenzung zur christlichen Vergangenheit als Zeitalter der „Aufklärung“ und der „Revolution“ verstanden wurde. Voegelin hatte diesen Zeiten- oder wenn man so will: Zivilisationswechsel, der in einem neuen „Epochenbewusstsein“ zum Ausdruck kam, am Beispiel des Entwurfs einer neuen zivilisationsübergreifenden und auf die innerweltlichen Ereignisse bezogenen Geschichtsphilosophie dargestellt, mit der Voltaire die Augustinische Heilsgeschichte, nach deren Auffassung sich die Welt im saeculum senescens befand und die Wiederkunft Christi erwartet, abgelöst hatte. Die Gründe, die Voegelin zu einer gründlichen Auseinandersetzung mit der Auffassung veranlassten, denen zufolge sich die Geschichte in rein innerweltlichen Prozessen auf immer höhere Stufen der Zivilisation bewegte, um schließlich ihre innerweltliche Erfüllung zu finden, waren evident: in der Voltaireschen Geschichtsphilosophie sah er das „Modell“, an dem sich im 18. und 19. Jahrhundert die positivistischen und progressivistischen Geschichtskonstruktionen eines Condorcet, Comte, Saint Simon, eines Hegel und eines Marx orientierten, wobei die noch deistisch temperierte Position Voltaires schnell von einer rein materialistischen, antichristlich-atheistischen Haltung abgelöst wurde.

Zunächst schien die Zuversicht, mit der Voegelin den bevorstehenden Abschluss der History angekündigt hatte, durchaus gerechtfertigt. Doch dann geriet die Arbeit ins Stocken – zunächst weil sich die Darstellung des 18. Jahrhunderts als erheblich komplizierter erwies, als erwartet, und dann später, weil Voegelin, angeregt durch seine Arbeiten an den Kapiteln über Schelling und Vico, neue Möglichkeiten für eine Interpretation der Mythen im Spätwerk Platons sah, daraufhin die Arbeit am 18. Jahrhundert unterbrach und sich erneut intensiv mit der platonischen Philosophie zu beschäftigen begann. Wie intensiv diese Arbeiten waren, geht aus einem Brief an Schütz hervor, dem er am 1. August 1947 berichtete

 „Die ‚History’ geht gut weiter – wenn es auch einige Aufregung und Verzögerung gegeben hat. Angesichts der Arbeit am 3. Band ergab sich, dass der erste unzulänglich war. Ich habe seit Januar an der Revision [des Bandes über die Ancient World, PJO] gearbeitet, durch die er von 450 auf 700 Seiten angeschwollen ist. Und jetzt ist er fertig.“[7]

Der Schwerpunkt der neuen Platon-Interpretation lag nun, wie aus dem dem Brief beiliegenden Inhaltsverzeichnis hervorgeht, aber auch durch andere Korrespondenzen bestätigt wird, auf der platonischen Geschichtsphilosophie. Wie wichtig Voegelin die an den Platon-Analysen gewonnenen Erkenntnisse waren und dass sie sich nicht nur auf den Altertums-Band bezogen, sondern von tiefgreifender Bedeutung für die gesamte History waren und vor allem das ihr zugrunde liegende Konzept betrafen, sollte in den kommenden Jahren sichtbar werden. Zunächst zeigte es sich darin, dass sich Voegelin um eine schnelle Veröffentlichung des TimaiosAbschnitts bemühte, der noch im Herbst 1947 im Journal of Politics erschien.[8]

Zu dieser Zeit hatte sich Voegelin jedoch schon wieder dem Schlussband zugewandt und dabei – zwischen Dezember 1947 und Dezember 1948 – nicht nur den abschließenden Teil „Crisis“ über das 19. Jahrhundert beendet, sondern, wie im Brief an Baumgarten erwähnt, aufgrund der bei den Platon-Analysen neu gewonnenen Einsichten auch das 16. und 17. Jahrhundert einer grundlegenden Revision unterzogen. Auch diese war im Winter 1948 weitgehend abgeschlossen. So schrieb er Anfang November 1948 dem mit ihm befreundeten Literaturwissenschaftler Robert Heilman, der ihm wesentlich dabei half, seine Texte in ein passables Englisch zu bringen, er sei bis vor einigen Tagen mit Erasmus und Thomas Morus beschäftigt gewesen, „die bei näherem Hinsehen eine beträchtliche historische Bedeutung als ein erster Start in die Moderne gewonnen haben“, um dann hinzuzufügen: „With this chapter, I have now the architecture of Vol. III (Modern) in shape.“. [9]9 Ab Frühjahr 1949 beginnen sich erneut die Hinweise auf den bevorstehenden Abschluss der History zu verdichten. So heißt es Mitte Februar in einem Brief an Karl Löwith: „Die ‚History’ geht ihrem Ende entgegen. Ich habe gegenwärtig mein sabbatical semester; und benütze es zur Revision des dritten und letzten Bandes. Es gibt noch mancherlei Aufenthalte; eben hat mir Luther grosse Schwierigkeiten gemacht, aber auch das ist überstanden [...] Soweit ich sehe, wird das ganze bis zum Sommer fertig werden. Im Juli-August unterrichte ich in Harvard summer school; bei der Gelegenheit kann ich auch ein paar Fussnoten verschönern.“[10]

Zwei weitere Indizien weisen darauf hin, dass sich die History nun tatsächlich ihrem Abschluss zu nähern schien: Das eine war das Treffen Voegelins mit dem Verkaufsdirektor von Macmillan im April 1949, bei dem über „Quantum“ und „Timing“ beraten worden war,[11] das andere ein Brief an Waldemar Gurian, der an der Vorveröffentlichung einzelner Kapitel der History in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Review of Politics interessiert war und darum darüber informiert werden musste, wie lange solche Vorveröffentlichungen noch möglich waren. Ihm schrieb Voegelin am 27.April 1949:

„Concerning publication of various parts of the „History“, the situation is now cleared up to a certain extent. The other day, Mr McCurdy, the production manager of Macmillan was here and we agreed tentatively on the following form of production. There will be four volumes (not three): Volume I: The Ancient World Volume II: The Middle Ages Volume III: Modern World (1500-1700) Volume IV: Modern World (1700 to present) Volumes I and II will be published in April 1950; Volumes III and IV in December 1950. These dates set certain limits for pre-publication in the Review of Politics. Sections from III and IV are free until late summer 1950. But if you should be interested in the „Gorgias“, January 1950 would be the limit.“[12]

Ob sich Voegelin schon damals bewusst war, dass die History auch jetzt noch nicht an ihrem Ende angekommen war, sei dahingestellt. Jedenfalls sollte er bald die Überarbeitung auch der anderen Teile des Altertums-Band wiederaufnehmen, und als er im Juli 1951 Baumgarten über die diversen Arbeitszüge berichtete, war er noch immer, oder wenn man so will schon wieder mit der History beschäftigt – „lückenfüllend und die Organisation revidierend“. Denn inzwischen war auch der zweite Anlauf zu einer grundlegenden Revision des Textes gescheitert und der dritte und zugleich letzte angebrochen. Doch auf ihn muss in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden.

Soviel zu den äußeren Abläufen. Worin bestand nun der Ertrag dieses „Arbeitszuges“, und vor allem: inwieweit ist er relevant für ein besseres Verständnis der New Science of Politics? Sieht man von der Fülle der Einzeleinsichten ab, die sich in den auf ca. 1800 Seiten angeschwollenen und aus zahlreichen Einzelstudien sich zusammensetzenden Band The Modern World finden, so ist vor allem drei Ergebnissen eine überragende Bedeutung beizumessen:

(1) Das erste ist die Darstellung und Deutung der westlichen Moderne. Der Schlüsseltext zu diesem Thema sind noch immer Die politischen Religionen aus dem Jahre 1938. In ihrem Vorwort hatte Voegelin, in Anspielung auf einen kritischen Brief von Thomas Mann, der ihm zu große Objektivität in der Darstellung und zu wenig „moralischen Widerstand“ vorgeworfen hatte,[13] darauf hingewiesen, wichtiger als die Beteiligung am ethischen Abwehrkampf sei es ihm, „die religiöse Grundfrage unserer Zeit zu erörtern und das Phänomen des Bösen, das bekämpft werden soll, zu beschreiben.“[14] Und dies war letztlich auch das Thema des Buches: die Entstehung der Massenbewegungen seiner Zeit und der sie inspirierenden und mobilisierenden Ideologien ursächlich zu erklären und deutend zu verstehen. Es war diese an Max Weber geschulte Nüchternheit des Blickes, die ihm den Vorwurf Manns eingetragen hatte. An der Deutung, dass hinter dem Phänomen des Nationalsozialismus und der anderen ideologischen Massenbewegungen Europas sehr wesentlich religiöse Momente standen, sollte Voegelin Zeit seines Lebens festhalten, auch wenn er diese Auffassung in den folgenden Jahrzehnten immer wieder überdachte und verfeinerte. Eng mit ihr verbunden war sein allgemeiner Politikbegriff, demzufolge „das Leben der Menschen in politischer Gemeinschaft nicht als ein profaner Bezirk abgegrenzt werden kann“, sondern der Mensch in ihr „mit allen Zügen seines Wesens lebt, von den leiblichen bis zu den geistigen und religiösen.“[15]

Nicht minder wichtig als die verstehende Deutung der westlichen Moderne – und in der praktischen Durchführung sogar noch schwieriger – war freilich ihre ursächliche Erklärung. Dazu hatte Voegelin in den Politischen Religionen einen ersten historischsystematisch geführten Versuch geliefert, der ihn von der ältesten politischen Religion, dem Sonnenglauben Echnatons, über das westliche Mittelalter und die anbrechende Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert, seine Gegenwart geführt hatte. Zu den wichtigsten Ergebnissen dieser tour d’horizon gehörten die Entstehung der partikularen Gemeinschaft und die mit ihr sich herausbildende innerweltliche Religiosität. Dass er damit keine lückenlose historische Herleitung der westlichen Moderne und der ihn beunruhigenden Phänomene vorgelegt hatte, dürfte Voegelin bewusst gewesen sein. Es war von ihm auch nicht intendiert gewesen. Denn wichtiger als eine lückenlose kausale Erklärung war ihm zu jener Zeit die Deutung der modernen Ideologien als religiöse Phänomene, als „politische Religionen“. Das Problem ihrer historischen Herleitung stellte sich erneut, als Voegelin ein Jahr später, im Herbst 1939, nun schon in der Emigration in den USA, das Angebot annahm, eine History of Political Ideas zu verfassen. Nichts spricht dafür, dass er dieses Angebot nur deshalb annahm, um noch offene historische Probleme zu lösen, es war jedoch absehbar, dass er sich im Rahmen einer solchen „Geschichte“, spätestens bei den Kapiteln über die Neuzeit, auch mit dieser Problematik wieder befassen würde. Verfolgt man die überaus verwickelte Entstehungsgeschichte der History, so stößt man in ihr auf eine Reihe von Stellen, die für die Herleitung des modernen westlichen Denkens besonders wichtig sind. Auf drei der – auch zum Verständnis der New Science – wichtigsten sei hier kurz hingewiesen:

Eine erste Stelle bildet ein Kapitel mit dem Titel „The People of God“, das in den Korrespondenzen erstmals im Frühjahr 1941, also relativ bald nach Aufnahme der Arbeiten an der History, erwähnt wird. Voegelin hatte zu jener Zeit schon erhebliche Teile der History fertiggestellt und arbeitete gerade an den Kapiteln über die Neuzeit. Dabei stieß er in Edward Gibbons Decline and Fall of the Roman Empire auf die Beschreibung einer Reihe von Sektenbewegungen, die sich vom 10. Jahrhundert n. Chr. bis weit in die frühe Neuzeit hinziehen – zunächst unter der Oberfläche der geistigen und intellektuellen westlichen Zivilisation, „in revolt against the institutional superstructure of our civilisation“ [16], mit der Reformation dann an die Oberfläche vorstoßend und von nun an Zulauf und Dynamik gewinnend – zunächst in ihrem Grundtenor noch christlich, seit der Aufklärung jedoch mit zunehmend antichristlicher Stoßrichtung. Gerade aufgrund offenkundiger geistiger und struktureller Ähnlichkeiten zwischen diesen Bewegungen sah Voegelin nun eine Möglichkeit, die ideologischen Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts auf ihre geistigen Wurzeln im Mittelalter zurückzuführen. „These movements“, so stellte er bald darauf fest, „constitute one of the important ‚parallel’ streams of history; it merges with the main Western stream in the Reformation and gives to post-medieval politics one of those supposedly ‚modern’ touches due to the elevation to the main level of civilizational development of political habits and thoughts which in the Middles-Ages remained subinstitutional.“[17] Obwohl sich Voegelin der methodischen Probleme beim Nachweis einer solchen geistigen Kontinuität, durchaus bewusst war, ist er diesem Ziel nun schon deutlich näher als noch in den Politischen Religionen. Schon hier wird ferner erkennbar, dass er angesichts des sehr lückenhaften historischen Materials die Kontinuität jener Bewegungen weniger auf der Ebene direkter oder indirekter Beeinflussung sah, als auf der Ebene ähnlich gelagerter „religiöser Erfahrungen“ und ihnen entsprechender Reaktionen, dass es also weniger um Kausalitäten ging als um jene Kontinuitäten in der „Formensprache“[18], auf die er schon in den Politischen Religionen aufmerksam gemacht hatte.

                                                                                                                                                       

Voegelin musste spätestens bei der Darstellung des modernen politischen Denkens erneut auf die Kontinuitätsproblematik stoßen. Das geschah – wie schon erwähnt – im Frühjahr 1945, als er sich den geistigen Entwicklungen seit dem 18. Jahrhundert zuwandte und seine Überlegungen dazu im oben erwähnten „Apostasy“-Kapitel – und dies ist nun die zweite Stelle – vorlegte. Bezeichnenderweise bemühte er sich gleich einleitend um den Nachweis einer geistigen Kontinuität zwischen dem nun mit aller Macht hervorbrechenden und sich äußernden Geist der Innerweltlichkeit, der unter anderem in der aufklärerischen Neugliederung der Geschichte zum Ausdruck kam, und dessen geistigen Vorläufern.

„Diese Bewegung, die im achtzehnten Jahrhundert in Form der Aufklärung auftrat und bis heute in Gestalt millennarischer Ideen kommunistischer und nationalsozialistischer Couleur präsent ist, ist eine Fortsetzung (Hervorh. PJO) der bereits im 13. Jahrhundert einsetzenden Bewegung. Jedoch unterscheidet sie sich von den 18 früheren Phasen des Prozesses durch eine erhöhte Intensität und durch ein alle Aspekte der menschlichen Existenz umfassendes Ausmaß, vor allem durch eine breite gesellschaftliche Auswirkung, die schließlich zum Bruch der mittelalterlichen Sentiments einer westlichen Gemeinschaft führte und den Weg für neue Typen von schismatischen politischen Bewegungen frei machte. Erst wenn wir uns die Kontinuität des Prozesses (Hervorh. PJO) vergegenwärtigen, mit der sich das Epochenbewusstsein in seinen ersten individuellen und sektiererischen Regungen hin zur Intensität und Effektivität der nationalen und übernationalen Massenbewegungen entwickelte, sind wir imstande, die richtige Perspektive für eine Periodisierung der westlichen Geistesgeschichte zu gewinnen und zu den Kategorien vorzustoßen, die bei einer adäquaten Analyse der modernen politischen Ideen angewandt werden müssen.“[19]

Es ist hier nicht die Gelegenheit, näher auf diese Argumentation Voegelins und die von ihm verwendeten Kategorien einzugehen. Es ist auch nicht nötig, da es uns nur um den Nachweis geht, dass Voegelin hier eine weitere Lücke schließt, um diese geistige Kontinuität zwischen den modernen, auf innerweltliche Erfüllung hinauslaufenden Geschichtskonstruktionen und Weltbildern einerseits und den Vorstellungen – hier noch in christlicher Färbung –, wie sie sich im Mittelalter bei Joachim von Flora und den Sektenbewegungen finden, sichtbar zu machen.

Darüber hinaus ist diese Passage geeignet, auf zwei Punkte aufmerksam zu machen, die sich für das Verständnis der New Science als wichtig erweisen werden: Das gilt – zum einen – für den Hinweis auf „die richtige Perspektive für eine Periodisierung der westlichen Geistesgeschichte“. Wenn sich diese Periodisierung an der Ablösung des Geistes von seinen transzendenten Bezügen und seiner Hinwendung zu einer neuen Innerweltlichkeit orientiert, dann ist es in der Tat sinnvoll, abweichend von der konventionellen Periodisierung der Moderne nicht nur deren Beginn schon erheblich früher anzusetzen, sondern diese auch inhaltlich anders zu bestimmen. Genau dies geschieht in der New Science.[20] Das gilt – zum anderen – für die oben genannten „Kategorien, die einer adäquaten Analyse der modernen politischen Ideen zugrundegelegt werden müssen. Was damit gemeint ist, bringt Voegelin in einer Passage zum Ausdruck, die sich in dem ein Jahr später entstandenen Vico-Kapitel der History findet. In ihm formuliert er – interessanterweise mit Rückbezug auf das Apostasy-Kapitel und die Geschichtsphilosophie Voltaires – jenes Interpretationsprinzip, das einer Geschichte des politischen Denkens und damit auch seiner eigenen Ideengeschichte zugrunde liegt und genau jene geistige Kontinuität begründet, auf der sie aufbaut:

„Die Struktur des Geistes kann durch eine Revolte gegen den Geist nicht aufgehoben werden; die Revolte selbst muss die Struktur des Geistes annehmen. Im Kapitel über Apostasy, zum Beispiel, haben wir gesehen, dass der geistige Obskurantismus Voltaires keine nichtgeistige Geschichtsphilosophie zu erzeugen vermag. Wird das Problem einer Heilsgeschichte in ihrer christlichen Form verworfen, so ist die daraus sich ergebende Alternative nicht eine empirische Wissenschaft der Universalgeschichte, sondern eine neue Heilsgeschichte des progressiven Typus. Die Revolte kann nicht zur ‚Aufklärung’ führen; sondern nur auf eine dilettantische Metaphysik mit genau den strukturellen Formen hinauslaufen, gegen die die Revolte gerichtet ist. Dieses Prinzip der Identität der geistigen Struktur in allen Modifikationen des Geistes – gerade in der Revolte gegen ihn – ist die Grundlage für eine Geschichte der Ideen, die als eine durch den Verstand erkennbare Sinnlinie in der Zeit zu begreifen ist. Ohne dieses Prinzip wären die verschiedenartigen Manifestationen des Geistes zusammenhangslose Ereignisse in der äußeren Zeit.“[21]

Spätestens hier – im Sommer 1946 – wird deutlich, dass Voegelins History inzwischen im Begriff war, sich aus einer konventionellen Ideengeschichte, als die sie ursprünglich wohl konzipiert worden war, in eine Geschichte des Geistes und seiner geschichtlichen Modifikationen zu verwandeln. Es wird sich zeigen, dass die New Science eine weitere Etappe in diesem Wandlungsprozess darstellt.

Voegelin hatte mit dem Apostasy-Kapitel und dem Prinzip der „Identität der geistigen Struktur“ zwar eine plausible Erklärung für den geistigen Zusammenhang zwischen dem Beginn des innerweltlichen und auf innerweltliche Vollendung ausgerichteten Denkens im 13. Jahrhundert und seiner weiteren Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert vorgelegt. Doch auch jetzt blieben noch Lücken, die gefüllt werden mussten. Dazu gehörte die Frage, wann die Spekulationen der christlichen Sektenbewegungen, die er 1941 in People of God analysiert hatte, an die Oberfläche vorstießen und in der intellektuellen Oberschicht des westlichen Denkens und deren Hauptlinien Eingang fanden? „Auf diese Frage gibt es offensichtlich keine einfache Antwort“, schrieb Voegelin als er sich im Frühjahr 1948, im Rahmen der Revision der Kapitel über die frühe Neuzeit auch erneut dem Kapitel People of God zuwandte und es um zwei lange Abschnitte, die nun auch den Humanismus und die Renaissance einbezogen, erweiterte:

„Wir können die Kontinuität der Form (Hervorh. PJO) zwischen der christlichen Phase der Bewegung und ihrer säkularen Folge aufzeigen, aber wir können kaum von einem direkten Einfluß sprechen. Wenn wir die Namen von Voltaire, Diderot, d’Alembert, Marx und Hitler aufzählen und ihnen Namen wie Ortlieb, Joris, Niclaes und Bosch gegenüberstellen, spüren wir, daß sie nicht leicht miteinander in Verbindung gebracht werden können; es fehlt ein Glied in der Kette, das von dem einen zum anderen führen würde. Mit den späteren mittelalterlichen Mystikern befinden wir uns immer noch im Umfeld christlicher Lehre; mit den Enzyklopädisten, Positivisten und Materialisten sind wir in einem Klima der Wissenschaft und weltimmanenter Orientierung. Die Form der Spekulation ist die gleiche, aber sie drückt sich in einem anderen Medium aus. Wir können unsere Frage also zuspitzen: Wann und wo 21 ereignet sich die Verschmelzung der Spekulation der aktivistischen Mystik mit dem Medium des innerweltlichen ‚Intellektualismus’ und der ‚Wissenschaft’? – Die Antwort auf diese Frage befindet sich zwar noch immer nicht vollständig im Licht des Wissens, aber zumindest tasten wir auch nicht mehr so sehr in der Dunkelheit wie noch vor einer Generation.“[22]

Auch hier kommt es uns wieder weniger auf die Antwort an, die Voegelin auf diese Frage gibt, als auf den Nachweis, dass Voegelin die ganzen 40er Jahre hindurch, und verstärkt in deren zweiten Hälfte, damit beschäftigt war, die geistige Haltung, die den totalitären Regimen und den sie tragenden Bewegungen des 20. Jahrhunderts zugrunde liegt, – d.h. das Phänomen einer innerweltlichen Religiosität – deutend zu verstehen und im Rückgang auf die geistige und intellektuelle Geschichte Europas ursächlich zu erklären. Dabei wird – um damit abzuschließen – zweierlei deutlich: Zum einen eine zunehmende Tendenz, die Einheit der Entwicklungen seit dem 13. Jahrhundert weniger auf der Ebene direkter Kausalitäten nachzuweisen, als auf der Ebene einer substantiellen geistigen Kontinuität, die auf dem Prinzip der Identität der geistigen Struktur basiert, ohne dass Voegelin dieses Prinzip schon im Rahmen einer Theorie des Geistes bzw. des Bewusstseins[23] verankert und im Einzelnen begründet hat. Zum anderen werden in der Kontinuität der geistigen Entwicklungen und der Auswirkungen, die sie seit dem Zerfall von Reich und Kirche auch auf die politische und geistige Neugestaltung Europas haben, die Konturen nicht nur eines neuen Zeitalters, sondern eigentlich einer neuen säkularen Zivilisation deutlich, die aus der christlichen Zivilisation des Mittelalters herauswächst und zu dieser zunehmend in einen scharfen Gegensatz gerät. Damit aber ist absehbar, dass sich à la longue die Frage nach dem Wesen dieser neuen Zivilisation stellen wird. Die Antwort auf diese Frage wird Voegelin bald in den Walgreen Lectures geben. In ihnen wird er die Vielzahl der Spekulationen seit dem Mittelalter auf einen ihnen gemeinsamen und sie miteinander verbindenden Nenner bringen und das Wesen der Modernität als „Gnostizismus“ bestimmen. Damit erweist sich die New Science of Politics, insbesondere ihre ganze zweite Hälfte als eine weitere – die im übrigen letzte – Phase im Ringen Voegelins um ein adäquates Verständnis der westlichen Moderne.

(2) Der zweite bedeutsame Ertrag jenes ersten „Arbeitszuges“ ist die allmähliche Metamorphose der History in eine Geschichtsphilosophie, genauer gesagt in eine Philosophie der Geschichtlichkeit des Geistes. Wir wissen nicht, wann sich Voegelin dieser Umwandlung selbst bewusst wurde. Schon Ende des Jahres 1947 finden wir in einem Brief an Alfred Schütz die Bemerkung: „Und je länger ich an dem Stück arbeite, desto mehr rückt das Problem der Historizität des Geistes und die Möglichkeit einer Geschichtsphilosophie in das Zentrum.“[24] Zu dieser Zeit lagen die ausführlichen Studien zu Voltaire, Schelling und Vico, in denen er sich eingehend mit deren geschichtsphilosophischen Vorstellungen sowie mit der traditionellen Augustinischen Heilsgeschichte, gegen die sie sich absetzten, auseinandergesetzt hatte, schon vor. Zudem hatte er sich, wie die Passagen in den Politischen Religionen zeigen, schon früh mit der trinitarischen Geschichtsspekulation von Joachim von Floris beschäftigt, in dem er nun 1945, als er sich mit den neuen säkularisierten Geschichtskonstruktionen zu beschäftigen begann, einen frühen Vorläufer dieser neuen innerweltlichen Kräfte erkannte. Joachim und seine Drei Reiche-Lehre bleiben einer der wichtigsten Ausgangs- und Bezugspunkte bei seinen Untersuchungen über das neue innerweltliche Denken, und Voegelin wird auch in der New Science wieder ausführlich auf sie zu sprechen kommen.

Eine zentrale Passage, an der die Bedeutung sichtbar wird, die Voegelin einer den neuen Entwicklungen gerecht werdenden Geschichtsphilosophie beimisst, findet sich im Apostasy-Kapitel. In einer scharfen Kritik am Versagen der Kirche, auf die neuen zivilisatorischen Entwicklungen zu reagieren und sich einem ähnlichen „zivilisatorischen Kompromiss“ zu öffnen wie in der Frühzeit, als sie die griechische Philosophie und die politische Kultur Roms adaptiert hatte, hatte er zu diesen Versäumnissen auch das Fehlen eines Entwurfs einer „neuen christlichen Philosophie der Geschichte und der mythischen Symbole“[25] gezählt. Denn im Fehlen einer solchen Geschichtsphilosophie, die einerseits die Unzulänglichkeiten der Augustinischen Heilsgeschichte behob, andererseits den neuen zivilisatorischen Entwicklungen Rechnung trug, sah er einen wesentlichen Grund für die Entstehung und Attraktivität der neuen progressivistischen Geschichtskonstruktionen. „Wollte man das tiefste Sentiment, das den geistigen Spannungen des Westens seit dem Mittelalter zugrunde liegt, etwas drastischer formulieren, dann könnte man sagen, dass die Träger der westlichen Zivilisation kein sinnloser Anhang zur Geschichte der Antike sein wollen. Im Gegenteil, sie wollen ihre zivilisatorische Existenz als sinnvoll zum Ausdruck bringen. […] Und mit Voltaire setzte auch der konzertierte Angriff auf die christlichen Symbole ein sowie der Versuch, ein Bild des Menschen im Kosmos unter der Leitung innerweltlicher Vernunft zu evozieren.“[26]

Von Interesse in unserem Zusammenhang ist auch hier weniger die Diagnose Voegelins als einige vorsichtige Hinweise, die – im Rück- blick – die Richtung erkennen lassen, in die sich seine eigenen geschichtsphilosophischen Überlegungen bewegten. So verweist er als Beispiel für eine solche offene und kompromissfähige Haltung der Kirche auf Paulus, der die „drei Gemeinschaften seiner Zeit – Heiden, Hebräer und Christen – mit den drei Gesetzen (dem Naturgesetz, dem Äußeren Gesetz der Hebräer und dem Gesetz des Herzens) gleichsetzte.“ Voegelin: „Seine Übertragung der Trias der Kräfte in immer höher aufsteigende Ebenen der Spiritualität machte die historische Situation für seine Zeitgenossen sinnvoll und verstehbar.“[27] In diesen Hinweis auf eine stufenweise sich emporbewegende Spiritualität kündigt sich jenes Differenzierungskonzept an, das Voegelin in der New Science vorstellen wird und das wesentlich deren Grundstruktur bestimmt. Dass sich hinter ihm eine neue historia sacra verbirgt, die die Unzulänglichkeiten der Augustinischen Heilsgeschichte korrigieren will, geht aus einem längeren Brief an Karl Löwith hervor, der eine erheblich differenziertere Analyse verdient als sie hier möglich ist.

Der Anlass dieses Briefes war das Erscheinen von Löwiths Buch Meaning in History – es erschien später unter dem deutschen Titel Heilsgeschichte und Weltgeschehen –, das Voegelin im Journal of Politics besprechen wollte. In ihm hatte Löwith festgestellt, „empirisch (seien) die Geschichten von Israel und der christlichen Kirche Ereignisse wie andere Ereignisse innerhalb einer bestimmten Epoche der Geschichte auch, aber nicht Phasen in einer Heilsgeschichte, Vorbereitung und Erfüllung eines zentralen Ereignisses.“ [28] Diese Feststellung nahm Voegelin nun zum Anlass, um an ihr exemplarisch auf einen grundsätzlichen Dissens in ihren jeweiligen philosophischen Grundhaltungen hinzuweisen und dabei seine eigenen Vorstellungen von Heilsgeschichte zu entwickeln, die sich, wie er selbst zugab, von dem traditionellen Verständnis wesentlich unterschieden. In unserem Zusammenhang sind dabei vor allem vier Punkte von Bedeutung: (1) Dass Voegelin die Heilsgeschichte als „Geschichte der Differenzierung und Purifizierung der Transzendenzerlebnisse“ versteht; (2) dass das Erscheinen Christi auch für ihn „ein entscheidendes Ereignis“ in der Heilsgeschichte ist, insofern in ihm das Erlebnis der metanoia und Erlösung geschichtlich wirksam geworden ist; dass ihm jedoch eine mehrhundertjährige Vorgeschichte vorausging, in der es vorbereitet wurde; (3) dass diese Heilsgeschichte im Sinne einer Differenzierung von Transzendenzerlebnissen mit Christus nicht abgeschlossen ist, sondern weitergeht; und (4) dass die Eingrenzung der Bedeutung von „empirisch“ auf die politische und Zivilisationsgeschichte unzulänglich sei, da sie „die Anerkennung des Glaubens als Wissensquelle in Bezug auf die Transzendenz“ verweigere.

„Das Heilserlebnis ist ein Faktum der Geschichte; ‚Glaube’ (in dem differenzierten Sinne von Hebräer 11:1) ist ein Erlebnis, das es faktisch gibt; die res sperandae und non apparentos sind durch die cognitio fidei als wirklich erschlossen. Durch die Differenzierung der Transzendenzerlebnisse zu dem Punkt, an dem die Offenheit zur Transzendenz als menschlich-wesentlich verstanden wird, und an dem infolgedessen das menschliche telos im Aristotelischen Sinne sich zur Erfüllung des Seelenschicksals in der transzendenten beatitudo erweitert, ist faktisch die Menschheitsgeschichte zur Heilsgeschichte geworden. Die Heilsgeschichte in diesem zweiten Sinne ist empirische Geschichte; die Restringierung der Bedeutung von ‚Empirie’ auf politische und ‚Zivilisations’-Geschichte scheint mir kritisch unzulässig zu sein. Sie verweigert die Anerkennung des Glaubens als Wissensquelle in Bezug auf Transzendenz; und sie ist, in diesem Sinne, ein Stück positivistischer Metaphysik.“

In diesen vier Punkten zeichnet sich schon sehr deutlich die Auffassung eines über mehrere Stufen sich vollziehenden Prozesses ab, der – um nur zwei Merkmale zu nennen – einerseits auf seinen einzelnen Stufen durch sich differenzierende Transzendenzerfahrungen gekennzeichnet ist, in denen der Mensch sein Verhältnis zu Gott und zur Welt auslegt, der andererseits aber keine innerweltliche Erfüllung findet, sondern sich in eine unbekannte Zukunft öffnet und sich damit grundlegend von den innerweltlichen progressivistischen Geschichtskonstruktionen seit Voltaire unterscheidet. Ein weiterer Unterschied wird sich bald darin zeigen, dass dieser Prozess auch Rückschritte von einer einmal erreichten Differenzierungshöhe aufweist, in der es – wie in der westlichen Moderne – zum Verfall der geistigen Sensibilität, zur Verschließung, ja sogar zur Revolte gegen die Transzendenz kommt.

Wie sich Voegelin diesen Differenzierungsprozess vorstellte, hatte sich schon in dem oben erwähnten Artikel Plato`s Egyptian Myth von 1947 angedeutet. In ihm ist von „advances from the myth of the people to the new level of spiritual consciousness“ in Hellas die Rede, und dieses Fortschreiten wird als ein Ereignis in der geistigen Geschichte der Menschheit, oder eher als ein erster Akt dieser Ereignisse, „to be completed by Christianity“, bezeichnet. [29] Erheblich differenziertere Ausführungen dazu enthält ein Schlussabsatz zu dem oben erwähnten Aristoteles-Kapitel, den Voegelin, angeregt durch Gespräche mit Alfred Schütz, vermutlich im September 1949 nachträglich angefügt hatte.[30]

Die Passagen sind so zentral für ein adäquates Verständnis der Richtung, die das Voegelinsche Denken nun einschlägt und damit auch für das Verständnis der New Science of Politics, in der sie bald erstmals sichtbar wird, dass es sinnvoll erscheint, sie hier in ihrer ganzen Länge zu zitieren. A propos der aristotelischen Rhetorik und der in ihr entwickelten Charaktertypen geht Voegelin hier auf das ein, was er die „Geschichtlichkeit der Wahrheit“ nennt und stellt dazu erläuternd fest:

„Die Wahrheit des Philosophen wird in den Erfahrungen entdeckt, die wir oben analysiert haben. Die kathartische Thanatos-Erfahrung und die enthusiastische Eros-Erfahrung öffnen die Seele auf die transzendente Realität hin, und sie werden in jener Neuordnung der Seele wirksam, die Platon als Dike symbolisierte. Wahrheit ist nicht eine Sammlung von Aussagen über einen welt-immanenten Gegenstand; sie ist das welttranszendente summum bonum, das als eine orientierende Kraft in der Seele erfahren wird, und von der wir nur in Analogie-Symbolen sprechen können. Transzendente Wirklichkeit kann kein Erkenntnisgegenstand in der Art einer weltimmanenten Gegebenheit sein, weil sie mit dem Menschen nicht die Endlichkeit und Zeitlichkeit immanenter Existenz teilt. Sie ist ewig, außerhalb der Zeit; ist nicht auf einer zeitlichen Ebene mit der erfahrenen Seele.“

Soviel zum Verständnis des Begriffs „Wahrheit“, wie ihn Voegelin in diesem Zusammenhang entwickelt; ihm schließen sich nun die Erläuterungen zum Verständnis ihrer „Geschichtlichkeit“ an:

„Tritt durch die Erfahrungen des sokratisch-platonischen Typus das Zeitlose in die Zeit ein, dann können wir sagen, dass Wahrheit ‚geschichtlich’ wird. Das bedeutet natürlich weder, dass der Blitzstrahl der Ewigkeit in die Zeit ein Privileg der philosophischen Erfahrung ist, noch dass er sich jetzt, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte, zum ersten Mal ereignete. Es bedeutet, dass sie in der kritischen Periode liegt, die hier zur Diskussion steht, im platonischen Sinn von den Symbolisierungen des Volksmythos zu den differenzierten Erfahrungen der Philosophen und ihrer Symbolisierungen fortschreiten (Hervorh. PJO). Dieses Fortschreiten ist Teil des geschichtlichen Prozesses, in dem die ältere symbolische Ordnung des Mythos sich – in der zuvor beschriebenen Weise – auflöst, und auf einem differenzierteren Niveau eine Neuordnung der Seele in Offenheit zur transzendenten Wirklichkeit hergestellt wird. Mit ‚Geschichtlichkeit der Wahrheit’ wollen wir ausdrücken, daß die transzendente Wirklichkeit, gerade weil sie nicht ein Gegenstand welt-immanenten Wissens ist, eine Geschichte von Erfahrung und Symbolisierung hat.“

Worum es geht, ist offenbar die „Seele“, in der sich – im Prozess der durch die oben beschriebenen „Erfahrungen“ erfolgenden Öffnung auf die transzendente Realität hin – eine neue Ordnung herstellt. Voegelin fährt denn auch in den anschließenden Sätzen fort:

„Das Feld dieser Geschichte ist die Seele des Menschen. Der Mensch, in seinem Wissen von sich selbst, weiß sich nicht nur als ein welt-immanentes Seiendes, sondern auch als existierend in Offenheit gegenüber transzendenter Wirklichkeit; aber er weiß sich in dieser Offenheit nur geschichtlich in dem Grad an Differenzierung, den seine Erfahrungen und ihre Symbolisierung erreicht haben. Das Selbstverständnis des Menschen ist bedingt und begrenzt durch die Entfaltung seiner Existenz in Richtung auf Transzendenz.“

„Geschichte“, so lässt sich damit resümierend feststellen, konstituiert sich in diesem Sinne aus der Bewegung der Seele in ihrer Beziehung zur göttlichen Realität. Eine solche Bewegung kann, wie Voegelin es hier an der Bewegung von den Symbolisierungen des Volksmythos zu den Erfahrungen und Symbolisierungen der Philosophen veranschaulicht, differenzierender Art sein. Sie kann aber auch in umgekehrter Richtung erfolgen, nämlich in Form eines Rückfalls einem Zustand der Offenheit in einen Zustand der Verschließung. Und diese Bewegung – in beide Richtungen – vollzieht sich nicht nur in der Seele des individuellen Menschen, sondern hat – wird der betreffende Menschentyp sozialdominant – auch Auswirkungen auf eine ganze Gesellschaft, ja auf eine ganze Zivilisation.

Die besondere Bedeutung, die dieses Verständnis von „Wahrheit“ und ihrer „Geschichtlichkeit“ in dieser Zeit für Voegelin gewonnen hatte, zeigt sich auch in einem Brief an Leo Strauss, den er Anfang 1950, also nur wenige Monate nach Abfassung jener Schlusspassagen des Aristoteles-Kapitels der History schrieb. In ihm heißt es mit Blick auf seine eigene Arbeit an der History:

„Eine Ideengeschichte soll nicht doxographischer Bericht, nicht ‚Dogmengeschichte’ im älteren Sinne sein, sondern Geschichte der existentiellen Wandlungen, in denen die ‚Wahrheit’ in den Blick kommt, verdunkelt wird, verloren geht und wieder gewonnen wird. Eine Geschichte der politischen Ideen im besonderen soll die Prozesse untersuchen, in denen ‚Wahrheit’ sozial wirksam wird, oder eine solche Wirksamkeit verhindert wird. Sie sehen, dass es sich nicht um eine Negierung oder Relativierung der Ontologie handelt, sondern um die Korrelation zwischen Erkenntnis im kognitiven und 29 im existentiellen Sinn; diese Korrelation ist für mich das Thema der ‚Geschichte’.“[31]

Wir wissen nicht, was Voegelin auf die verwunderte Nachfrage von Strauss „Warum setzen Sie ‚Wahrheit’ in Anführungszeichen? Ist Wahrheit nur sogenannte Wahrheit, die Illusion der jeweiligen Periode?“[32]32 geantwortet hat. Denn eine solche Antwort ist nicht überliefert. Es ist jedoch zu vermuten, dass sie ähnlich ausgefallen ist, wie in jener oben zitierten Schlusspassage im Aristoteles-Kapitel der History.

(3) Während sich die beiden bislang behandelten Erträge der Arbeiten an der History – der Nachweis eines seit dem 13. Jahrhundert kontinuierlich wachsenden innerweltlichen Realitätsverständnisses sowie die einsetzende Umwandlung der politischen Ideengeschichte in eine Geschichtsphilosophie – an den Texten zwar nicht immer einfach, letztlich aber doch einigermaßen überzeugend herausarbeiten lassen, fällt dies bei dem dritten Ertrag schwerer. Und doch scheint gerade dieses das Wichtigste gewesen zu sein, bildet es doch – wie sich noch zeigen wird – den Basisstein im theoretischen Fundament der New Science of Politics: Gemeint ist die Verlagerung der Aufmerksamkeit von den „Ideen“ auf „Erfahrungen“. Voegelin berichtete über diesen Prozess und seine Implikationen und Konsequenzen später in den Autobiographischen Reflexionen:

„Meine History of Political Ideas setzte bei der konventionellen Annahme an, daß es Ideen gibt, daß diese Ideen eine Geschichte haben und daß eine Geschichte der politischen Ideen einen Bogen von der klassischen Politik bis hin zur Gegenwart schlagen muß. Von dieser Annahme ausgehend arbeitete ich mich mühsam durch die Quellen hindurch, bis ich schließlich ein Manuskript von mehreren tausend Seiten vor mir liegen hatte. Dennoch: Die verschiedenen Zweifel, die mir im Laufe der Arbeit gekommen waren, verdichteten sich zu der Erkenntnis, daß eine Geschichte der politischen Ideen ein sinnloses Unterfangen war, unver- 30 einbar mit dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft. Die Geschichte der Ideen erwies sich als eine eher nebensächliche begriffliche Entwicklung, die bei den Stoikern eingesetzt hatte, im hohen Mittelalter stärker geworden war und sich seit dem 18. Jahrhundert extrem entfaltet hatte. Ideen verwandeln Symbole, welche Erfahrungen ausdrücken, in Begriffe. Und von ihnen denkt man, daß sie eine andere als die erfahrene Realität bezeichnen. Aber eine andere als die erfahrene Realität existiert nicht. Deswegen besteht bei Ideen die Gefahr, daß sie die Wahrheit der Erfahrungen und ihrer Symbolisierung deformieren.[...] je weiter man den konventionellen Ursprung von Ideen zurückverfolgt, desto deutlicher wird, daß Symbolformen wie Mythos und Offenbarung beim besten Willen nicht als ‚Ideen’ bezeichnet werden können. Man muß eine Vielzahl von Symbolformen akzeptieren. [...]

Mein Interesse verlagerte sich auf diese Weise von den Ideen zu den Erfahrungen der Realität, die sich in einer Reihe von Symbolen ausdrückten. Das bedeutete nicht, daß das Problem der Ideen nun einfach hinfällig wurde. Im Gegenteil, es war immer noch sehr präsent, aber ich kam nur nach und nach dahinter, was es eigentlich damit auf sich hatte. Ein wichtiger Punkt, der sich in einem Zeitraum von mehreren Jahren herauskristallisierte, war die Erkenntnis, daß die Transformation ursprünglicher Symbolisierungen von Erfahrungen eine Deformation der Realität zur Folge hatte, wenn der Kontakt mit der erfahrenen Realität verlorengegangen und der Gebrauch der Sprachsymbole, die die ursprünglichen Erfahrungen hervorgebracht hatten, zu einem mehr oder weniger leeren Spiel verkommen war. [...] Ich mußte also die ‚Ideen’ als Gegenstand meiner historischen Untersuchungen aufgeben und dafür die Erfahrung der – persönlichen, sozialen, historischen, kosmischen – Wirklichkeit dagegensetzen als die Realität, die es historisch zu erforschen galt. Diese Erfahrungen konnten jedoch nur in der Analyse ihrer Artikulation in Symbolen untersucht werden. Die Bestimmung des zentralen Untersuchungsgegenstandes und damit auch der bei der Untersuchung anzuwendenden Methode führte mich zu dem Grundsatz, der für alle meine späteren Arbeiten wegweisend sein sollte: die Realität der Erfahrung ist selbst–interpretativ. Die Menschen drücken ihre Erfahrungen in Form von Symbolen aus und die Symbole wiederum sind der Schlüssel zum Verständnis der ausgedrückten Erfahrungen. [...]

Meine Arbeit zur History of Political Ideas hatte ich nicht umsonst getan, denn ich hatte mich hierbei mit den historischen Quellen vertraut gemacht. Aber nun wurde die Neuordnung der Materialien 31 unter dem Aspekt der Erfahrung und der Symbolisierung notwendig. So gab ich das Projekt einer History of Political Ideas auf und fing meine eigene Arbeit, Order and History, an.“[33]

Dieser Bericht ist zwar in seiner Kernaussage ernst zu nehmen, wirft aber doch eine Reihe von Problemen auf, die einer Klärung bedürfen. Das erste dieser Probleme ergibt sich daraus, dass nicht ganz klar wird, wann Voegelin das Projekt der History aufgab. Denn Anfang der 50er Jahre, etwa zu der Zeit des Briefes an Baumgarten, ist davon noch nicht die Rede. Ein zweites Problem ergibt sich daraus, dass bei einer Durchsicht des Schelling-Kapitels, bei dessen Abhandlung ihm die Erfahrungsproblematik bewusst geworden war, eine solche Wende von den „Ideen“ zu den „Erfahrungen“ nicht erkennbar ist. Ein drittes Problem besteht schließlich darin, dass der Erfahrungsbegriff einerseits in der ersten „Introduction“ zur History nur sehr schwach angedeutet war, dass sich Hinweise auf Existentialerlebnisse und Transzendenzerfahrungen aber schon seit Beginn der 30er Jahre in den Schriften Voegelins finden lassen. So war schon in Rasse und Staat auf die Bedeutung von „menschlichen Grunderlebnissen“ die Rede, die das Staatsphänomen hervortreiben; in den Politischen Religionen spielte das Grunderlebnis der Kreatürlichkeit und die von ihm ausgelösten „Erregungen“ der Seele eine zentrale Rolle. Von „Erfahrungen“ ist auch schon in der People of God-Version von 1941 die Rede; und 1945, im Apostasy-Kapitel heißt es im Zusammenhang mit der Charakterisierung der „Menschlichkeit“ als allgemeiner Disposition des Menschen: im negativen Sinne sei diese Haltung „durch die Abwesenheit von unmittelbaren geistigen Erfahrungen“ gekennzeichnet und als Folge dieses Mangels sei der „symbolische Ausdruck der geistigen Erfahrungen undurchsichtig geworden“.[34] Kurzum: Bei der von Voegelin beschriebenen Verlagerung von den „Ideen“ auf die „Erfahrungen“ dürfte es sich weniger um eine plötzliche Eingebung gehandelt haben, als um einen allmählichen Erkenntnisprozess, der durch die erneute Beschäftigung mit der platonischen Philosophie neue Impulse erhielt.

Was in der zweiten Hälfte der 40er Jahre möglicherweise neu hinzukam – oder auch nur stärker in Erscheinung trat – war jene in den Erinnerungen Voegelins angesprochene Identifizierung unterschiedlicher „Symbolformen“, denen wiederum unterschiedliche Arten von Transzendenz- und Ordnungserfahrungen zugrundelagen – eher „kompakte“, wie in den hellenischen Volksmythen oder „differenziertere“, wie zunächst in der griechischen Philosophie und später im Christentum. Der Abfolge solcher sich im Differenzierungsgrad unterscheidender Symbolformen und von ihnen ausgedrückter „Wahrheiten“ ließ sich dann eine Geschichte des Geistes entnehmen bzw. aus ihr eine Theorie über die „Geschichtlichkeit des Geistes“ entwickeln. Auch diese Perspektive kommt bei Voegelin schon früh zur Sprache. So hatte er im Herbst 1943 in einer Auseinandersetzung mit Alfred Schütz über die Krisis-Schrift Husserls festgestellt, dass „eine nicht-mißbräuchliche Geschichte des Geistes die Aufgabe hat, jede geschichtlich geistige Position zu dem Punkt zu durchdringen, an dem sie in sich selbst ruht, d.h., in dem sie in den Transzendenzerfahrungen des betreffenden Denkers verwurzelt ist. Nur wenn Geistesgeschichte mit diesem methodischen Ziel betrieben wird, kann sie ihr philosophisches Ziel erreichen, den Geist in seiner Geschichtlichkeit (Hervorh. PJO) oder, anders formuliert, die geschichtliche Ausformung des Geistes als Variation über das Thema der Transzendenzerfahrungen zu verstehen. Diese Variationen folgen einander empirisch-tatsächlich, nicht willkürlich; sie bilden nicht eine anarchische Serie; sie lassen Ordnungsreihen erkennen, wenn- gleich die Ordnung etwas komplizierter ist, als die Fortschrittsmetaphysiker es sich wünschen.“[35]

Zusammenfassend lässt sich somit feststellen: Auch wenn das Dunkel, das über der Entstehung von Voegelins Erfahrungsbegriff liegt, noch längst nicht vollständig gelichtet ist und auch der Begriff selbst noch immer erklärungsbedürftig erscheint, besteht doch kein Zweifel darüber, dass sich mit ihm Ende der 40er Jahre jener kritische Durchbruch vorzubereiten begann, der schließlich zur Verabschiedung vom Projekt der politischen Ideengeschichte und zu ihrer Überführung in eine Erfahrungs- und Symbolgeschichte mit dem Titel Order and History führte. Und auf diesem Wege bildete die New Science of Politics, wie sich zeigen wird, einen wichtigen Zwischenschritt.

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Der zweite „Arbeitszug“: Vorbereitungen zu einer systematischen Philosophie der Politik und Geschichte

Werksgeschichtlich bilden die Jahre 1948-50 – Voegelin war inzwischen zehn Jahre in den USA – im doppelten Sinne eine Zäsur. Zum einen schien nun endgültig der Abschluss der History of Political Ideas bevorzustehen. Damit aber war – zum anderen – die Zeit reif für ein neues Projekt. Und in der Tat beginnen sich in den Korrespondenzen jener Zeit dessen Konturen abzuzeichnen. Am deutlichsten erkennbar sind sie in den Korrespondenzen mit zwei großen amerikanischen Stiftungen: mit der Rockefeller Foundation, die Voegelin Mitte der 20er Jahre mit einem Stipendium einen Forschungsaufenthalt in den USA ermöglicht hatte und ohne deren Hilfe ihm 1938 vermutlich auch die Flucht aus Europa nicht gelungen wäre, sowie mit der John Simon Guggenheim Memorial Foundation, zu der Voegelin im Herbst 1948 erstmals Verbindung aufnahm und deren Förderung sich als so wichtig erweisen sollte, dass er sie in den Danksagungen, die er der New Science of Politics voranstellte, gleich an erster Stelle nennt.

Kurz zum Hintergrund: Im Frühjahr 1948 hatte sich kurzfristig die Möglichkeit eröffnet, an einer von der Rockefeller Foundation gesponsorten Summer School in Wien teilzunehmen. Zweck dieser, im Rahmen eines großen europäischen Rehabilitationsprojektes stattfindenden Konferenz war es, durch den Krieg unterbrochene Verbindungen mit der Wiener Universität wiederherzustellen und ihre Professoren mit dem internationalen Stand der Wissenschaft bekannt zu machen. Schon bevor Voegelin von diesem Projekt Kenntnis erhalten hatte, hatte er – in ähnlicher Absicht – mit Planungen begonnen, ein im Frühjahr 1949 anstehendes Forschungsfreisemester in Wien zu verbringen. Doch das war, wie er der Rockefeller Foundation gegenüber andeutete, bei der er sich um eine finanzielle Unterstützung bemühte, nur einer der Zwecke dieser Reise. Über einen weiteren, von der Sache her weit wichtigeren, kündigte er eine „reasoned Outline“ an. Das war im Mai 1948.[36]

Doch die Fertigstellung der angekündigten „Outline“ verzögerte sich, und erst am 12. August 1948 sandte Voegelin, die Verzögerung mit Hinweis auf „dringende Geschäfte“ begründend, der Foundation den Text. [37] Diese bestätigte schon am 18. August den Empfang, teilte Voegelin aber gleichzeitig mit, dass sich die Entscheidung über seinen Antrag auf ein Reisestipendium voraussichtlich noch bis Ende des Jahres 1948 verzögern werde.[38] Da dies für seine eigenen Planungen zu spät war, musste sich Voegelin umgehend nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten umsehen und nahm zu diesem Zweck nur wenige Tage später Kontakt mit dem Generalsekretär der Guggenheim Foundation, Henry A. Moe, auf. Seiner Anfrage legte er nicht nur jene für die Rockefeller Foundation vorbereitete „Outline“ bei, sondern nutzte auch den Begleitbrief für einige, sein Anliegen erläuternde Anmerkungen. Beides, die für die Rockefeller Stiftung entworfene „Outline“ wie auch der sie ergänzende Brief an den Generalsekretär der Guggenheim Foundation gewähren interessante Einblicke in die damalige Situation Voegelins – und zwar sowohl in seine Zukunftsplanungen, soweit sie seine wissenschaftliche Arbeit betrafen, wie auch auf den größeren geistesgeschichtlichen Hintergrund, in dem er diese verortete.

Wenden wir uns zunächst dem frühesten dieser Texte zu, der Rockefeller-Outline. Sie beginnt mit einem kurzen Rückblick auf das vergangene Jahrzehnt und die Arbeit an der History, verbunden mit dem Hinweis, dass diese sich nun dem Abschluss nähere. Von Interesse ist hier aber weniger diese Terminplanung – zumal auch sie sich, wie erwähnt, schon bald wieder als falsch erweisen sollte – als vielmehr die Tatsache, dass Voegelin sich in diesem Zusammenhang – und offenbar schon mit Blick auf seine weiteren Planungen – auch etwas ausführlicher zu dem Zweck der History äußert. Dieser habe, wie er schreibt, nicht in der „Compilation of a catalogue of past ideas“ bestanden, sondern in der „elaboration of general categories that can be applied in the interpretation of political pheneomena throughout history. The materials digested were historical; the intention was systematic.“[39] Dieser systematischen Intention wolle er sich nun gleich nach Veröffentlichung der History zuwenden – nämlich der Vorbereitung der „Publikation des Systems der Politik selbst“. Geht man davon aus, dass sich Voegelin schon im Mai 1948, bei der Ankündigung seiner „reasoned Outline“, über diese Absicht im Klaren war, so folgt daraus, dass er spätestens seit Frühjahr 1948 damit begonnen hatte, sich innerlich von der politischen Ideengeschichte zu verabschieden, um sich dem neuen Projekt zuzuwenden, dem sein eigentliches Interesse galt und dem die History lediglich als Vorstudie und Materialbasis diente: dem „System der Politik“. Er wird sich mit diesem Projekt bis an sein Lebensende beschäftigen.

Nicht minder interessant als diese Intention Voegelins ist der größere geistesgeschichtliche Rahmen, in dem er das neue Projekt platziert: Dass er es überhaupt in Angriff nehmen konnte, sei nämlich – wie er bemerkte – keineswegs selbstverständlich, sondern erst dadurch ermöglicht worden, dass sich während der vergangenen dreißig Jahre international eine Reihe von Gelehrten in ihren Forschungen in dieselbe Richtung bewegt hätte. „As a matter of fact, since the First World War, a new science of politics (Hervorh. PJO) has arisen on an international scale.“ Hier taucht erstmals jene Bezeichnung auf, unter der Voegelin nur wenige Jahre später sein erstes Buch seit seiner Flucht veröffentlichen wird. Zur Veranschaulichung des internationalen Charakters jener Arbeiten an einer „new science of politics“ führte Voegelin die Namen von 20 Gelehrten an – gewissermaßen Brüder im Geiste –, die mit ihren Arbeiten zu jener „neuen Wissenschaft der Politik“ beitrugen. Unter ihnen sind Max Scheler, Reinhold Niebuhr, Hans Urs Balthasar, Jacques Maritain, Henri Lubac, Alois Dempf, Werner Jaeger, Karl Jaspers. Die meisten dieser Namen wird man bald in den Anmerkungen und dem Namensregister der New Science wiederfinden. Was diese Gelehrten und ihre Arbeiten miteinander verband, war – so Voegelin – der „attempt at restoring a philosophy and science of politics on the basis of either a Christian or a Platonic-Aristotelian anthropology, or on a combination of the two“ In dieser allmählich anschwellenden Bewegung, zumeist getrennt und isoliert voneinander forschender Gelehrter, sieht Voegelin „the only bearer of a common Western tradition“, in ihrer Arbeit „the most important event of our time“ – eine Einschätzung, die er bald wörtlich in der New Science wiederholen wird.[40] Eines der Ziele der von ihm beabsichtigten Europa-Reise sei es, durch Gespräche mit einigen der genannten Gelehrten tiefere Einblicke in diese Bewegung zu gewinnen und diese in einer kurzen Studie zusammenzufassen. Darüber hinaus bestehe der eigentliche Zweck der Reise aber darin, Erkenntnisse zu gewinnen für die „systematic work in which I am engaged“. Voegelin nennt auch die Namen einiger Gelehrter, die er zu besuchen beabsichtigte. Das ist zunächst und vor allem der in Wien lebende Alois Dempf, dessen politische Anthropologie ihn interessierte.

„Dempf and his school in Vienna are today, in my opinion, one of the most important centers in the developement of the new political science.“ Das sind zum anderen Jaspers, Barth, Urs von Balthasar und Lieb in der Schweiz, sowie Gouhier und de Lubac in Paris. Soweit die „Outline“. Der kurz darauf am 20. August verfasste Brief an Henry A. Moe argumentiert im wesentlichen auf derselben Linie, verdient jedoch aufgrund einiger interessanter Ergänzungen eine gesonderte Betrachtung. Nach dem Hinweis auf den bevorstehenden Abschluss der History – „This summer in Cambridge I am working on the last sections“ –, betont Voegelin erneut, dass für ihn persönlich die History nur den Zweck gehabt habe, „a thorough understanding of the theoretical problems of a philosophy of politics“ zu gewinnen. Nun aber, nach ihrem Abschluss, gehe es um die „systemic exposition of a philosophy of politics and history“, wobei – wie wir nun erfahren – die Prinzipien und der allgemeine Aufbau dieses Werkes schon feststehen. Wie schon in der Rockefeller-Outline begründet Voegelin die geplante Reise auch hier mit dem Hinweis, dass in Europa die Bewegung zur Wiederherstellung einer politischen Philosophie, insbesondere einer „highly developed philosophical anthropology in the classic and Christian tradition“ am weitesten fortgeschritten sei und dass als eines der greifbaren Ergebnisse seiner Reise – neben der persönlichen Kontaktaufnahme – „a brief survey of the present state of the new political science“ geplant sei. Wieder fallen die Namen de Lubac in Frankreich, Urs von Balthasar in der Schweiz und Alois Dempf in Deutschland als wichtigste Anlaufpunkte und erwünschte Gesprächspartner.

Der Vorstoß bei der Guggenheim-Stiftung, den Voegelin in Anbetracht seines fortgeschrittenen Alters – er ist inzwischen 47 Jahre alt – zunächst mit großer Skepsis betrieben hatte, erwies sich als erfolgreich. Das beantragte Reisestipendium wird genehmigt – allerdings will Voegelin die Reise nun doch erst im Spätsommer 1950 antreten. Am 8. Oktober 1949 legt er deshalb der Stiftung erneut einen Antrag vor, dem ein ausführlicher „Plan for Work“ beigefügt ist, der in zweierlei Hinsicht zu einer weiteren Differenzierung des bisher gewonnenen Bildes beiträgt: Zum einen geht Voegelin in ihm erheblich ausführlicher als in der Rockefeller-Outline auf das von ihm geplante systematische Werk ein; zum anderen verortet er dieses nun auch in größeren biographischen Zusammenhängen. So berichtet er – um mit letzteren zu beginnen –, dass er schon einmal, Ende der 20er Jahre, nach seiner Rückkehr aus den USA, eine „systematic theory of politics“ begonnen, das Projekt dann aber – obwohl schon in Teilen fertig – wieder aufgegeben habe. Der Grund dafür sei das Fehlen einer brauchbaren „Theorie des Mythos“ gewesen sowie seine damalige Unfähigkeit, eine solche Theorie selbst zu entwickeln. Seitdem habe er sich mit dem „Problem des Mythos und den historischen Prozessen, in denen politische Ideen wachsen, sozial wirksam werden und ihre Wirksamkeit verlieren und durch neue ersetzt werden“, kontinuierlich beschäftigt. Eine wichtige Zwischen- bilanz des „systematischen Problems“ habe er 1938 in der Schrift Die Politischen Religionen vorgelegt.

Im Rückblick auf die Genese der projektierten systematischen „Theorie der Politik“ erscheinen die Arbeiten der vergangenen zwanzig Jahre – einschließlich der an der History – somit als Vorstudien, deren „most important systematic result“ genau das gewesen sei, woran er beim ersten Anlauf gescheitert war: die Entwicklung einer Theorie des Mythos, die den Test bestand „of making possible the interpretation of all kinds of political ideas which actually occurred in Western history from antiquity into the present“. 1948/49 ist somit in der Werksentwicklung eine neue Stufe an Einsicht erreicht, auf der Voegelin das 1930 aufgegebene Projekt wieder aufnehmen und weiterführen will. Während er auf die Motive, die Ende der 20er Jahre den Entwurf einer „Allgemeinen Staatslehre“ veranlasst hatten, nicht weiter eingeht, ist das Ziel des neuen Projekts klar: „The overall aim of the work will be the restoration of the classic, that is, of the Platonic-Aristotelian range of a theory of politics.“. Auch die theoretischen Grundlagen, auf denen diese Theorie der Politik und der Geschichte entwickelt werden soll, sind jetzt klar ausgeführt:

„The realization of this aim entails the elaboration of (1) a philosophical anthropology, a theory of the nature of man, (2) a theory of political society as the field in which the nature of man actualizes itself, (3) a theory of the dynamics of political forms in the historical cycles, (4) a theory of ideas (political myths) as a constitutive factor of political reality.“ Dass Voegelin hier auf „die Platonisch-Aristotelische Reichweite einer Theorie der Politik“ Bezug nimmt – der Akzent liegt nota bene auf dem Wort „Reichweite“, es geht nicht um eine Restauration der platonischaristotelischen Politik – ist kein Zufall. Denn genau zur Zeit seines Guggenheim-Antrags hatte er die Überarbeitung des AristotelesKapitels der History abgeschlossen; es war, wie er Aron Gurwitsch und Friedrich Engel-Janosi schrieb, auf über hundert Seiten erweitert und auf „Platon-Niveau“ gebracht. [41] Die Kapitel über Platon und Aristoteles enthielten – wie die Hinweise im Guggenheim-Exposé zeigen – die theoretischen Grundlagen des geplanten systematischen Werkes.

Die vier oben zitierten theoretischen Komplexe, die sich in fast wörtlicher Formulierung am Ende des Aristoteles-Kapitels finden,[42] bildeten aber nur einen Teil der geplanten Philosophie der Politik und Geschichte. Auf ihn sollen drei weitere Teile aufbauen und das Ganze zu einem umfassenden System abrunden. Dabei handelt es sich zum einen um eine Studie über die „types of historically successive political cultures“. Insgesamt listet Voegelin fünf solcher Typen auf: (1) den prähistorischen, primitiven Typus; (2) den Typus der kosmologischen Zivilisationen (Babylon, Ägypten sowie das China der frühen Chou-Zeit); (3) den Typus der klassischen Zivilisationen (Hellas und das konfuzianische China); (4) den Typus der unter dem Einfluss von Heilsreligionen stehenden Zivilisationen (westlich-christlich, islamisch, hinduistisch, chinesisch, chinesischbuddhistisch) sowie (5) „modern civilizational syncretism and the consequences of global ‚Westernization’“. Wir werden auf eine sehr ähnliche Typologie der politischen Kulturen bald in der New Science of Politics stoßen, vor allem aber in Order and History, wo sie als „Typen der Ordnung und der symbolischen Formen“ dem Gesamtkonzept zugrunde liegen.[43] Ein sich dieser Typenstudie systematisch anschließender zweiter Teil soll einem „survey and evaluation of the main types of philosophy of history which try to interpret the mainfold of political cultures as an unfolding with an intelligilbe meaning“ folgen. Das Konzept wird schließlich von einem dritten Teil abgerundet, über den es nur knapp heißt: „A closing section will analyse the structure of the contemporary spiritual crisis.“

Soviel kurz zu Umfang, Inhalt und theoretischer Fundierung des geplanten Werkes. In einem der dem Antrag beiliegenden Fragebogen der Stiftung war Auskunft über den „voraussichtlichen Erkenntnisbeitrag“ erbeten worden. In seiner Antwort weist Voegelin darauf hin, dass es schwer sei, den Erkenntnisbeitrag eines solchen Versuches zu einer systematischen Theorie der Politik zu bestimmen, um dann fortzufahren: „I can only point to the fact that, to the best of my knowledge, nobody has attempted such a systematic theory during the present generation. The last major undertakings of this kind belong to the time of Max Weber and Pareto, that is to say, they belong in their conception to the beginnings of the century.“ Diese Antwort ist in zweierlei Hinsicht erhellend: Zum einen als Ausdruck seines Selbstbewusstseins, als erster im 20. Jahrhundert – nach Max Weber und Pareto – den Versuch zu einer systematischen Theorie der Politik unternommen zu haben. Noch wichtiger aber erscheint der zweite Aspekt, durch den dieses Selbstbewusstsein noch eine Steigerung erfährt. Erinnern wir uns: Voegelin hatte sich als Teil einer Bewegung für die Wiederherstellung der geistigen Substanz der westlichen Zivilisation verstanden und in dieser Bewegung das wichtigste Ereignis unserer Zeit gesehen. Indem er als erster die Beiträge der einzelnen Mitglieder dieser Bewegung zu einer systematischen Theorie der Politik zusammenführt, setzt er sich an die Spitze dieser geistigen Avantgarde in ihrem Bemühen, die geistige Krise des Westens zu überwinden. Seine rastlose Arbeit an der History und bald auch an seiner systematischen Philosophie der Politik und Geschichte dürfte sich nicht zuletzt aus diesem Selbstverständnis erklären.

Der dritte „Arbeitszug“: die Walgreen Lectures

Soviel zur Werksentwicklung zum Zeitpunkt, als Voegelin im Namen der Charles R. Walgreen Foundation for the Study of American Institutions die Einladung erhielt, im kommenden Jahr an der University of Chicago die Walgreen Lectures zu halten. Dies geschah am 20. Februar 1950 durch Professor Jerome G. Kerwin. Sollte Voegelin mit Blick auf die bevorstehende Europa-Reise – sie sollte nun zwischen dem 1. Juni und dem 15. September stattfinden – mit der Annahme gezögert haben, so dürfte der Hinweis auf die beiden Referenten des laufenden Jahres Leo Strauss und Jacques Maritain, dieses Zögern schnell beseitigt haben.

Ein Blick in die Korrespondenz mit der Walgreen-Stiftung über die Themenstellung ist aufschlussreich. Nachdem Voegelin die Einladung angenommen hatte, hatte Kerwin ihm mitgeteilt, die Vorlesungen sollten sich thematisch innerhalb des Rahmens der amerikanischen Institutionen bewegen, wobei dieser Rahmen allerdings weit ausgelegt werde und auch Theorien mit Bezug auf eine allgemeine politische Philosophie verantwortlicher Regierung einschließe. Daraufhin hatte Voegelin zwei Themenvorschläge unterbreitet: Zum einen schlug er eine systematische Behandlung der Repräsentationsproblematik vor, bei starker Berücksichtigung der angelsächsischen Verfassungstradition, zum anderen eine Darstellung der Entstehung der politischen Wissenschaft und der Idee richtiger politischer Ordnung im Griechenland des fünften und vierten vorchristlichen Jahrhunderts. Obwohl er andeutete, auch bei diesem Thema die Problematik von Verantwortlichkeit und Repräsentation angemessen zu berücksichtigen, [44] entschied sich die Stiftung, wohl aufgrund seiner Nähe zum allgemeinen Rahmenthema, für den ersten Vorschlag – „On Representation“. Allerdings sondierte Kerwin Anfang Oktober 1950 noch einmal die Möglichkeit eines Themenwechsels. Angeregt durch einen kurz zuvor in der Review of Politics erschienenen Beitrag Voegelins über die marxistische Revolutionsidee,[45] fragte er an, ob Voegelin die Vorlesungen nicht einer Analyse der Philosophie jenes Systems widmen wolle, das derzeit die größte Herausforderung für die verantwortliche Demokratie darstelle. Unter Hinweis auf die schon weit fortgeschrittene Ausarbeitung der Vorlesungen – die drei ersten drei lagen inzwischen ausformuliert vor – lehnte Voegelin zwar einen Themenwechsel ab, kündigte jedoch an, seine systematische Behandlung der Repräsentationsproblematik werde auch „einen Überblick über die Entstehung der modernen politischen Massenbewegungen aus dem gnostischen Sektenwesen“ enthalten. „While Marxism will be in this survey only one instance among others, the philosophical analysis of Marxism will come into its own because the principles of Marxism, in my opinion, are a variant of medieval gnosticism. To this subject two of the six lectures will be devoted.“[46]

Hier fällt nun erstmals jener Begriff, der in den Walgreen Lectures und der bald aus ihnen hervorgehenden New Science of Politics von zentraler Bedeutung sein wird – „Gnostizismus“. Ob sich Voegelin über dessen Bedeutung für seine Theorie der westlichen Moderne zu diesem Zeitpunkt schon völlig im Klaren war, ist schwer zu sagen. Zumindest fehlt der Begriff in einem Titelverzeichnis der sechs Vorlesungen, das er Anfang Dezember 1950 der Foundation schickte. In ihm trägt die vierte, die Behandlung der Neuzeit einleitende Vorlesung den Titel „The Third Realm. The Nature of Modernity“; in der späteren Buchfassung wird er lauten „Gnostiscism – the Nature of Modernity“. Dafür hatte der Obertitel der Lectures, den Voegelin gleichzeitig der Stiftung mitteilte, in der Zwischenzeit, eine interessante Veränderung erfahren; er lautete nun „Truth and Representation“. Auch diese Änderung hatte Voegelin möglicherweise erst beim Schreiben der zweiten Hälfte der Vorlesungen vorgenommen. Denn in einem Brief vom 20. November 1950 an Walter Gurian, Herausgeber der Review of Politics, hieß es noch: „Ich arbeite derzeit hart an den Walgreen Lectures (On Representation), die ich Ende Januar in Chicago geben soll. Es ist ein systematisches Stück Arbeit; praktisch eine Geschichtsphilosophie.“[47] Und auch in einem am selben Tag verfassten Brief an Engel-Janosi schreibt er im Hinblick auf die Vorlesungen:

„Es wird ein Buch von ca. 150 Seiten. Der Gegenstand ist ‚On Representation’. Und ich plage mich sehr damit, um es so gut wie möglich zu machen, weil es meine erste systematische Arbeit über politische Theorie ist, seit ich meinen Versuch ein ‚System der Staatslehre’ zu fabrizieren, so um 1930 herum aufgegeben habe. Und wie Sie wissen, die kompliziertesten Probleme ergeben sich immer erst bei Gelegenheit der Durcharbeitung im Detail. Immerhin, zwei Drittel ist fertig, und der Rest so im Umriss geplant. Wie sie sich wohl denken können, wird es natürlich wesentlich eine Geschichtsphilosophie sein“.[48]

Einige Bemerkungen in den beiden Briefen fallen ins Auge und stützen die Vermutung, dass es Voegelin in den Vorlesungen um weit mehr als nur um eine systematische Abhandlung der Repräsentationsproblematik gehen würde, nämlich um so etwas wie eine erste Skizze jener Philosophie der Politik und Geschichte, von der in den Korrespondenzen mit der Rockefeller und der Guggenheim Foundation die Rede war: Darauf deutet zum einen der Hinweis auf den „systematischen“ Charakter sowie der Rückbezug auf das abgebrochene Projekt von 1930, der sich schon in der Guggenheim-Outline fand; und in diese Richtung weist zum anderen die Charakteri-sierung der Vorlesungen als „Geschichtsphilosophie“. Erinnert man sich an Voegelins Ausführungen über die „Geschichtlichkeit der Wahrheit“, so drängt sich die Vermutung auf, dass er beabsichtigte, den dort nur angedeuteten geschichtsphilosophischen Ansatz hier aufzunehmen und näher auszuführen. Aber noch ein dritter Punkt, der die Vorlesungen New Science noch präziser charakterisiert, sei schon hier – der Chronologie vorauseilend – angeführt: Ende März 1951, Voegelin arbeitete schon an der Drucklegung des Manuskriptes, äußerte er sich noch einmal in einem Brief an Engel-Janosi über das Projekt:

„Ich habe Ihnen nichts Näheres über die ganze Sache geschrieben, solange ich noch in der Arbeit steckte, aber jetzt da es fertig ist, glaube ich, dass es eine anständige, systematische Studie zur Grundlegung einer Staatswissenschaft im Platonischen Sinn (die eine Geschichtsphilosophie einbezieht), daraus geworden ist.“[49] (Hervorh. PJO)

In dieser Formulierung sind nun in geradezu klassischer Weise die zentralen Elemente aufgeführt, die das Wesen der New Science of Politics ausmachen – und damit zugleich auch genauer ihren Bezug zu den größeren, in den „Outlines“ an Rockefeller und Guggenheim skizzierten Projekt erkennen lassen: der systematische Charakter des Werkes, das hier als eine systematische Studie zur Grundlegung einer politischen Staatslehre charakterisiert wird sowie deren platonische und geschichtsphilosophische Ausrichtung. Sie bilden das Koordinatensystem, an dem sich jede ernsthafte Analyse der New Science zu orientieren hat.

An dieser Stelle sei abschließend eine Anmerkung angefügt, die den zeitlichen Bogen, der die Kontinuität des Voegelinschen Denkens kennzeichnet, über die beiden Jahrzehnte zwischen 1930 und 1950 hinaus noch ein wenig weiter in die Vergangenheit zurückspannt. 1924, offenbar kurz vor Antritt seines dreijährigen Studienaufenthaltes in den USA, hatte Voegelin – er war zu jener Zeit noch wissenschaftliche Hilfskraft an den Lehrkanzeln für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien – in der Zeitschrift für Öffentliches Recht eine Abhandlung mit dem Titel „Reine Rechtslehre und Staatslehre“ vorgelegt.[50] Es war eine seiner ersten Veröffentlichungen. In kritischer Abgrenzung zu der von seinem Lehrer Hans Kelsen entwickelten ‚Reinen Rechtslehre’ hatte er in ihr versucht, den Bereich einer selbständigen Staatslehre von dem einer Rechtslehre abzugrenzen und dabei den Punkt zu markieren, von dem aus, wie Voegelin schrieb, „der Aufstieg zu einer Rekonstruktion der vollständigen Wissenschaft vom Staat beginnen“ kann. Kelsen, der diese Schrift einige Jahre später im Habilitationsverfahren Voegelins besprach, zitierte in seinem Gutachten diese Passage sowie das von Voegelin in den abschließenden Sätzen skizzierte Programm einer solchen neuen Staatslehre und bemerkte dazu: „Ich habe diese Stelle etwas ausführlicher wiedergegeben, weil sie die letzten Intensionen zeigt, von denen die geistige Arbeit Voegelins geleitet ist. Es ist die Konzeption einer Staats- und Gesellschaftslehre in echt Platonischem Sinne.“[51] Wie hellsichtig Kelsen in dieser Beurteilung der „letzten Intensionen“ Voegelins war, zeigte dessen Selbsteinschätzung, in der New Science of Politics eine „systematische Studie zur Grundlegung einer Staatswissenschaft im Platonischen Sinne“ vorgelegt zu haben. Allerdings hatte sich – wie die Projektbeschreibungen an die Rockefeller und die GuggenheimStiftung zeigten – sowohl sein Verständnis von Politischer Philosophie wie auch seine Vorstellung von der Konzeption und den zentralen Bestandteilen einer solcher Staatswissenschaft, wie er sie vor drei Jahrzehnten erstmals in Wien avisiert hatte, inzwischen in wesentlichen Punkten weiterentwickelt.

                                                                                                                           

The New Science of Politics – Einige Erläuterungen

Die bisherigen Ausführungen haben den Punkt in der geistigen Entwicklung Voegelins markiert, an dem die New Science entsteht und zugleich Licht auf das größere Projekt geworfen, mit dem er in jener Zeit beschäftigt ist und das sich in ihr ankündigt. Während es sich erübrigt, auf den Inhalt der New Science hier im Einzelnen einzugehen, erscheinen doch einige allgemeinere Erläuterungen angebracht. Sie beschränken sich auf jene beiden Punkte, über die die meisten Missverständnisse und Fehlinterpretationen entstanden:

(1) auf die von Voegelin selbst angeführten Charakterisierungen der New Science, sowie (2) auf den Gnosis-Begriff und die Deutung der westlichen Moderne. (1) Dass es sich bei der New Science of Politics um die „Grundlegung einer Staatswissenschaft“ handelt, ist nur von wenigen ihrer zahlreichen Interpreten wahrgenommen und von noch wenigeren diskutiert worden. Das ist an sich nicht weiter verwunderlich, ist in ihr doch nicht viel vom Staate die Rede, weder im angelsächsischen Sinne noch – und schon gar nicht,– im Sinne der traditionellen deutschen Staatslehre. Und doch überrascht dieses Versäumnis ein wenig, liegt der New Science doch gerade in der Kategorie der „Repräsentation“ – eine der beiden Achsen, auf der sie ruht – ein zentraler staatsrechtlicher Begriff zugrunde, der allerdings von Voegelin in ebenso unkonventioneller wie eigenständiger Weise entwickelt und verwendet wird. Und doch erfolgt gerade mit ihm das, was Voegelin als „Grundlegung“ einer Staatswissenschaft bezeichnet, bzw., um seine Formulierung genau zu zitieren und damit den vorläufigen und zugleich vorbereitenden Charakter des Werkes noch stärker zum Ausdruck zu bringen, eine „systematische Studie“ zu einer solchen „Grundlegung“. Zum besseren Verständnis ist es hilfreich, hier noch einmal an jene Feststellungen zu erinnern, die Voegelin 1938 in den Politischen Religionen als das „Fazit der Erkenntnis“ ausgewiesen hatte: nämlich dass das Leben des Menschen in politischer Gemeinschaft nicht als ein „profaner Bereich“ abgegrenzt werden kann, „in dem wir es nur mit Fragen der Rechtsund Machtorganisation zu tun haben“, sondern dass sie „auch ein Bereich religiöser Ordnung“ ist, in dem der Mensch „mit allen Zügen seines Wesens von den leiblichen wie von den geistigen und religiösen lebt.“[52]

Im Lichte dieser Formulierungen wird nun deutlich, dass Voegelin in der New Science den Repräsentationsbegriff genau um jene Dimension erweitert, die er in der positivistischen deutschen Staatslehre, etwa der eines Hans Kelsen, so schmerzlich vermisste, auf die es ihm selbst aber besonders ankam, da erst mit ihr der Mensch als geistiges und religiöses Wesen ernst genommen und in die Konstituierung der politischen Ordnung einbezogen wird. Gemeint ist die Dimension der „transzendenten Repräsentation“, die Vorstellung also, dass die Gesellschaft nicht nur Rechts- und Machtorganisation ist, dass es nicht nur um den Schutz nach außen, die Erhaltung des inneren Friedens und die Schaffung einer Rechtsordnung geht, – um nur einige Elemente dessen zu nennen, was Voegelin hier „existentielle Repräsentation“ nennt –, sondern dass sie darüber hinaus Repräsentant einer „Wahrheit“ ist, die sie in ihrer Ordnung repräsentiert und durch die sie erst einen Sinn erhält, der ihr aus der Tatsache ihrer bloßen Existenz allein noch nicht zufällt. Dass das gesellschaftliche Bewusstsein, Repräsentant einer geistigen „Wahrheit“ zu sein, keine akademische Erfindung ist, sondern ein empirischer Tatbestand, vor allem aber, dass es eine historische Konstante darstellt, zeigt Voegelin an einer Reihe historischer Beispiele, die von den kosmologischen Reichen des Alten Nahen Ostens bis zu den kommunistischen Volksdemokratien seiner Zeit reichen. Er wird die nächsten Jahre damit verbringen, im Rahmen von Order and History dieses empirische Fundament nicht nur durch gewaltige Materialmassen weiter zu verbreitern und zu verdichten, sondern es auch theoretisch genauer durchzuarbeiten. Die Vorlesungen in Chicago boten lediglich ein Forum, um diese Erkenntnis erstmals in gedrängter Form zu präsentieren. Offensichtlich steht hinter dem Konzept der „transzendenten Repräsentation“ jene „Theorie des Mythos“, die er in den Anträgen an die Rockefeller und die Guggenheim Foundation als den eigentlichen Ertrag seiner Arbeiten an der History of Political Ideas herausgestellt hatte. Er wird die Grundzüge des neuen Konzepts im Frühjahr 1952, also relativ bald nach Abfassung der New Science, in einem Essay mit dem Titel „The Symbolization of Being and Existence“ detailliert entwickeln, den er zunächst als Einleitungskapitel der History vorgesehen hatte, dann aber nach der endgültigen Aufgabe dieses Projekts in nur geringfügig veränderter Form als Einleitung zum ersten Band von Order and History verwendete.[53]

Das Konzept der „transzendenten Repräsentation“ mit dem Voegelin zum „Wesen“ der Repräsentation vorzudringen den Anspruch verbindet, sowie der eng mit ihm verbundene Begriff der „Wahrheit“ – die zweite Achse, auf der die New Science ruht – erweisen sich bei näherer Betrachtung sowohl als Basiselemente des theoretischen Fundaments, wie auch als Brücken, die zu anderen wichtigen Teilen dieses Fundamentes führen. Vor allem bilden sie die Brücke zum Erfahrungsbegriff, den Voegelin hier erstmals ins Zentrum einer größeren Abhandlung stellt und dabei als fast so etwas wie die Achse der beiden anderen Achsen nutzt. Denn aus den Grund- und Grenzerfahrungen des Menschen konstituiert sich das Bild, das er sich von der Welt, wie von seiner eigenen Stellung in ihr macht und in Einzelsymbolen, wie auch in umfassenden Symbolsystemen zum Ausdruck bringt. Damit erweist sich der Erfahrungsbegriff selbst wiederum als eine Brücke, die zu anderen zentralen Bereichen des theoretischen Fundaments führt. Im Kontext der New Science sind vor allem vier solcher Bereiche von Bedeutung: Ein erster Bereich – und zugleich der umfassendste – ist die Realität selbst, in die sich der Mensch gestellt sieht und als deren Teil er sich erfährt. In dem erwähnten grundlegenden Essay „The Symbolization of Being and Existence“ wird Voegelin sie als ein Geviert von Gott und Mensch, Welt und Gesellschaft identifizieren und als „ursprüngliche Gemeinschaft des Seins“ bezeichnen, die ein Datum menschlicher Erfahrung zugleich ist und doch nicht ist, wobei die Relationen und Bezüge zwischen den einzelnen Teilen keineswegs von Anfang an feststehende Bestände des menschlichen Wissens sind, sondern erst allmählich in den Blick kommen und dabei immer wieder Veränderungen unterliegen. So gerät etwa die radikale Transzendenz des Göttlichen erst zu einem relativ späten Zeitpunkt, nach einem jahrhundertelangen geistigen Prozess, der mit Platon und Aristoteles seinen Höhepunkt erreicht, in den Blick.[54] Während Voegelin in der New Science die Bedeutung der Transzendenzerfahrungen vor allem an der platonischen Trias von dike, thanatos, eros erläutert, wird er sich bald darauf in „Symbolization of Being and Existence“ im Einzelnen mit den Erfahrungen befassen, die der kosmologischen Weltsicht zugrunde liegen und deren „Wahrheit“ begründen.

Wenn Voegelins Ansatz immer wieder als „ontologisch“ bezeichnet und als solcher insbesondere von liberalen und marxistischen Interpreten kritisiert wird, so ist dies auf diese, die Realitätsbilder konstituierenden „Erfahrungen“ zurückzuführen, insbesondere auf die Bedeutung von Transzendenzerfahrungen. Bestätigt sehen sich jene Kritiker in ihrem Urteil durch das Insistieren Voegelins auf der zentralen Bedeutung einer „durchgearbeiteten Ontologie, die alle Seinsbereiche, vor allem den welt-jenseitigen, göttlichen, als real anerkennt und nicht versucht, die höherstufigen Seinsbereiche durch Kausalerklärungen auf niederstufige zu ‚reduzieren’“.[55] Umgekehrt wird dabei auch deutlich, dass Voegelin seinerseits in der Leugnung transzendenter Realität einen Versuch sieht, sehen muss, „Teile der Seinsverfassung von der Betrachtung auszuschließen oder ihre Existenz zu bestreiten“[56], den er scharf als schwerwiegenden Verlust an Rationalität bzw. als Ausdruck von Irrationalität kritisiert. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass er im Vorwort zu deutschen Ausgabe der New Science betonte, dass die „Frage nach dem Wesen der Rationalität im Zentrum der vorliegenden Untersuchungen steht“.[57] Denn in der Tat geht es Voegelin auch sehr wesentlich darum, die in der Moderne zur „instrumentellen Vernunft“ verflachte Rationalität erneut substantiell anzureichern und zu begründen.

Dies leitet zum zweiten Problemkomplex über, zu dem der Erfahrungsbegriff führt – zum Menschen selbst, der von den im Laufe der Zeit sich differenzierenden Erfahrungen im doppelten Sinne betroffen ist: in seiner eigenen Stellung innerhalb jener „ursprünglichen Gemeinschaft“ des Seins, insbesondere in seiner Beziehung zum Göttlichen, zur Transzendenz wie auch hinsichtlich seiner Selbsterfahrung. So sei er – im konkreten Fall geschieht dies repräsentativ durch hellenische Dichter und Denker, wie Sappho, Aeschylos, Heraklit, Platon und Aristoteles – erst bei der Erforschung jener Transzendenzerfahrungen auf jenen Ort gestoßen, an dem er für diese Transzendenzerfahrungen offen ist, nämlich auf die menschliche Psyche. Voegelin bemerkt dazu, dass die „Psyche selbst als ein neues Zentrum im Menschen entdeckt wird, in welchem er sich als aufgeschlossen für transzendente Realität erfährt“, um dann qualifizierend hinzuzufügen, dass dieses „Zentrum nicht so entdeckt [wird] als ob es ein von jeher präsentes Objekt wäre, das lediglich der Aufmerksamkeit entgangen war. Vielmehr muß die Psyche als der Bereich, in welchem Transzendenz erfahren wird, aus einer kompakteren Struktur der Seele herausdifferenziert, entwickelt und benannt werden. Wenn man das Problem der Kompaktheit und Differenzierung einklammert, so könnte man beinahe sagen, daß vor der Entdeckung der Psyche der Mensch keine Seele besaß. Es handelt sich um eine Entdeckung, die ihr Erfahrungsmaterial zusammen mit seiner Auslegung schafft. Das Aufgeschlossensein der Seele wird erfahren durch das Öffnen der Seele selbst.“[58]

Spätestens seit seinen Bemühungen um die Entwicklung einer philosophischen Anthropologie und die Erforschung des menschlichen Geistes hatte sich Voegelin mit Fragen der Psyche beschäftigt; endgültig in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen rücken sie aber erst in der zweiten Hälfte der 40er Jahre bei der Wiederaufnahme seiner Arbeiten über die platonische Philosophie. Einen wesentlichen Anstoß dazu gaben zwei kurz zuvor erschienene Arbeiten, auf die er sich nun im Wesentlichen stützt und die auch in der New Science als Autoritäten angeführt werden: Werner Jaegers The Theology of the Early Greek Philosophers (Oxford, 1947) sowie Bruno Snells Die Entdeckung des Geistses: Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen (Hamburg, 1948).

Die Erforschung der Transzendenz und die dabei sich ereignende Entdeckung der Seele ist für Voegelin aber noch in einer anderen Hinsicht wichtig – nämlich hinsichtlich seines „Theorie“- und damit seines Rationalitäts- und Wissenschaftsverständnisses. Wenn der Mensch in Folge der Transzendenzerfahrungen genauere Einblicke in die Seinsverfassung gewinnt, einschließlich seiner Stellung in ihr, dann müssen diese Erfahrungen zum eigentlichen Gegenstand der „Theorie“ werden. Voegelin verweist in einem der zentralen Kapitel der New Science nicht nur auf diesen Zusammenhang, sondern nennt auch einige der Konsequenzen, die sich daraus ergeben und die ihn ebenfalls harsche Kritik eintragen sollten: Erstens, dass nicht jedermann Theorie entwickeln kann und zweitens, dass Theorie „als die Auslegung gewisser Erfahrungen nur für solche Menschen verständlich [ist], in denen die Auslegung gleichgeartete Erlebnisse wachruft, welche dann die empirische Basis für eine Nachprüfung des Wahrheitsgehaltes der Theorie liefern.“[59] Wenn in der New Science sowohl die Erfahrungs- wie auch die Seelenproblematik relativ knapp ausfällt, so hat dies wohl zweierlei Gründe: der für die Lectures zur Verfügung stehende knappe Zeitraum sowie die Tatsache, dass die Problematik erst mit der kurz zuvor erfolgten Verlagerung des Interesses von den „Ideen“ auf die „Erfahrungen“ ins Zentrum der Aufmerksamkeit Voegelins gerückt war. Allerdings lag es in der inneren Logik dieser Verlagerung, dass die Problematik von nun an in diesem Zentrum bleiben sollte und dass sich Voegelin mit seinen Arbeiten nun kontinuierlich in Richtung auf eine Philosophie des Bewusstseins bewegt, die 1964 in der Studie „Was ist politische Realität?“ ihre bis dahin differenzierteste Ausgestaltung erreicht.[60]

Der dritte Problemkomplex, zu dem der Erfahrungsbegriff führt, ist der der Geschichte. Bezeichnenderweise beginnt die New Science – in vollem Einklang mit den Äußerungen Voegelins in den diversen Korrespondenzen, dass ihr eine Geschichtsphilosophie zugrundeliege – mit der programmatischen Feststellung: „Die Existenz des Menschen in politischer Gesellschaft ist geschichtliche Existenz. Eine Theorie der Politik, wenn sie zu den Prinzipien vorstößt, muss zu einer Theorie der Geschichte werden.“[61] Da es sich bei diesen Prinzipien aber primär um die genannten „Erfahrungen“ handelt und da dem Menschen diese „Erfahrungen“ wiederum nicht von Anfang an – und schon gar nicht ein für alle Mal – gegeben sind, sondern ihm in jahrhundertelangen Prozessen zuwachsen – aber auch wieder verschüttet werden können –, weist Voegelin zurecht darauf hin, dass seine Darstellung auf dem Prinzip basiert, „daß die Substanz der Geschichte auf der Ebene der Erfahrungen und nicht auf der der Ideen zu finden ist“[62] oder wie es noch prägnanter an anderer Stelle heißt, dass die Substanz der Geschichte „in den Erfahrungen besteht, durch die der Mensch das Verständnis seiner Menschlichkeit und gleichzeitig das Verständnis seiner Grenzen gewinnt“.[63]

Es war allerdings weniger dieses die New Science tragende Prinzip von der Substanz der Geschichte, das Anstoß erregte und den Autor scharfer Kritik aussetzte, als die Konsequenzen, die Voegelin aus diesem Prinzip für eine Theorie von der menschlichen Existenz in Gesellschaft zog. Dies kann indes insofern nicht weiter verwundern, als erst mit diesen Konsequenzen ein Teil der normativen Grundierung sichtbar wird, die dem Erfahrungsbegriff und dem an ihm anknüpfenden Theorieverständnis Voegelins impliziert sind. „Diese Konsequenz“, so schreibt er, „läßt sich als das Prinzip formulieren, daß eine Theorie von der menschlichen Existenz in der Gesellschaft innerhalb des Mediums von Erfahrungen, die sich historisch differenziert haben, operieren muß. Es besteht eine strenge Wechselbeziehung zwischen der Theorie von der menschlichen Existenz und der historischen Differenzierung von Erfahrungen, in welchen diese Existenz ihr Selbstverständnis erlangt hat. Weder ist es dem Theoretiker gestattet, irgendeinen Teil dieser Erfahrung, gleichgültig aus welchem Grunde, beiseite zu schieben; noch kann er seinen Standort auf einen archimedischen Punkt außerhalb der Substanz der Geschichte beziehen. Die Theorie ist durch die Geschichte im Sinne der differenzierenden Erfahrungen gebunden. Da das Höchstmaß an Differenzierung durch die griechische Philosophie und das Christentum erreicht wurde, bedeutet dies konkret, daß die Theorie sich notwendig innerhalb des historischen Horizontes klassischer und christlicher Erfahrungen bewegen muß. Ein Zurückweichen vom Höchstmaß der Differenzierung bedeutet einen theoretischen Rückschritt, der zu den Entgleisungen verschiedener Art führt, die Platon als doxa charakterisiert hat.“ [64]

Damit sollte sowohl das Fundament deutlich geworden sein, auf dem die Philosophie Voegelins basiert, wie auch der größere Rahmen, innerhalb dessen sie sich entwickelt. Eine kritische Auseinander- setzung, die sich nicht nur auf mehr oder minder wichtige Einzelaspekte, wie etwa den Gnosis-Begriff beziehen will, tut gut daran, sich auf diesen Erfahrungsbegriff zu konzentrieren, bildet er doch ganz offensichtlich ein wesentliches Element dessen, was Voegelin im Brief an Engel-Janosi als „Grundlegung“ einer Staatswissenschaft bezeichnete.

In enger Beziehung zu dem eben Ausgeführten steht die Charakterisierung der New Science als eine „Staatswissenschaft im platonischen Sinn“. [65] Um Missverständnisse zu vermeiden, empfiehlt sich auch hier zunächst einmal eine genaue Beachtung der Formulierung. So meint „im platonischen Sinn“ natürlich nicht die Errichtung einer Gesellschaftsordnung, wie sie Platon in der Politeia entwickelt hat – nichts in der New Science stützt eine solche Deutung. Die Formulierung verweist vielmehr auf das so genannte „anthropologische Prinzip“ Platons, das Voegelin im Zusammenhang mit dem Typus der „anthropologischen Wahrheit“ anhand der Politeia entwickelt. Es besagt, dass eine Gesellschaft in ihrer Ordnung den in ihr dominierenden Menschentyp reflektiert, oder allgemein formuliert, dass eine Gesellschaft „nicht nur ein Mikrokosmos, sondern auch Makroanthropos sein muss“.[66] Ontologisch setzt diese Auffassung eine Korrelation zwischen der menschlichen Psyche und der Sozialordnung voraus, aus der wiederum folgt, dass unterschiedlichen Seelenverfassungen unterschiedliche Sozialverfassungen korrespondieren. Platon hatte dieses in der Politeia sowohl anhand der besten Verfassung, wie auch anhand des in den Büchern 8 und 9 entwickelten Kreislaufs der Staatsformen veranschaulicht.

Doch dies war nicht der eigentliche Zweck, dem das Prinzip diente. Dieser bestand vielmehr darin, das Wesen der Gerechtigkeit zu bestimmen – also die Verfassung der richtig geordneten Psyche. Deren Ordnung aber konstituierte sich durch Transzendenzerfahrungen – in der Politeia symbolisiert insbesondere durch den Höhlenmythos, also im Aufstieg der Seele zur Schau der Idee des Guten. Voegelin sah deshalb das „anthropologische Prinzip“ ergänzt durch das „theologische Prinzip“, das besagt, dass nicht der Mensch, sondern Gott das Maß der richtigen Ordnung sei. „Die Wahrheit des Menschen und die Wahrheit Gottes sind unlösbar eines. Der Mensch wird in der Wahrheit seiner Existenz sein, wenn er seine Psyche der Wahrheit Gottes geöffnet hat; und die Wahrheit Gottes wird in der Geschichte offenbar werden, wenn sie die menschliche Psyche zur Empfänglichkeit für das unsichtbare Maß geformt hat. Das ist das große Thema der Politeia Platons.“[67]

Auf die Gesellschaft übertragen folgt daraus in der Politeia, dass die richtige Verfassung dann gegeben ist, wenn die Leitung in den Händen von Menschen liegt, deren Psyche durch Transzendenzerfahrungen geprägt und geordnet ist – das berühmte Theorem von der Philosophenherrschaft. Angesichts seines eigenen Scheiterns hatte Platon selbst diese Vision allerdings schon bald aufgegeben und in den Nomoi die praktischen Konsequenzen gezogen und zugleich die „zweitbeste Lösung“ formuliert, auf die sich auch Voegelin bezieht: nämlich auf die Inkarnation der in der Offenheit zur Transzendenz gefundenen Ordnungsprinzipien in der Verfassung der Gesellschaft. Im „platonischen Sinn“ soll und kann – normativ formuliert – also nur heißen, dass eine Gesellschaft so strukturiert sein muss, dass sie in ihren grundlegenden Ordnungs- und Organisationsprinzipien die Offenheit des Menschen zur Transzendenz ermöglicht bzw. aktiv fördert – oder, wie es im Heraklit-Kapitel von Ordnung und Geschichte heißt, dass Institutionen erforderlich sind, „um geistige Einsichten weiterzuentwickeln und weiterzugeben sowie die intellektuelle Kultur, die erforderlich ist, um sie über die Generationen hinweg auszulegen und zu kommunizieren und den vielen in tiefgreifenden Erziehungsprozessen zu vermitteln, die sie richtig aufnehmen können“.[68]

Obwohl Voegelin mit der in den Schlusssätzen der New Science enthaltenen Feststellung, dass die amerikanischen und englischen Demokratien „in ihren Institutionen die Wahrheit der Seele am stärksten repräsentieren“,[69] unmissverständlich zum Ausdruck gebracht und dies im Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1959 noch einmal nachträglich bekräftigt hat,[70] wie er sich die praktische Umsetzung dieser Forderung unter den Bedingungen der modernen Industriegesellschaft und Massendemokratie vorstellt, fällt die Kürze auf, mit der er dieses Problem behandelt. Der Herausgeber der jüngsten amerikanischen Edition der New Science im Rahmen der Collected Works, der ebenfalls auf die Schweigsamkeit Voegelins hinsichtlich der USA aufmerksam macht, bemerkt dazu lediglich lakonisch: „The American story simply did not fit into his theoretical framework; therefore it was left out.“[71] Diese Schweigsamkeit Voegelins ist umso bemerkenswerter, als sie sich nicht nur auf die USA im besonderen bezieht – der Voegelin im übrigen auch in der History of Political Ideas nur wenige Bemerkungen widmete –, sondern auf die Entwicklung des modernen westlichen Verfassungsstaates im allgemeinen. Dafür gibt es eine Reihe von Erklärungsver suchen. Der naheliegendste dürfte neben Voegelins grundsätzlich skeptischer Haltung gegenüber der geistigen Entwicklung der westlichen Moderne sein, dass die New Science eben nur eine „systematische Studie zur Grundlegung einer Staatswissenschaft“ ist, nicht aber eine ausgearbeitete Staatslehre oder Verfassungstheorie, und dass insofern auch kein Grund bestand, näher auf die westlichen Institutionen einzugehen. Interessant ist allerdings, dass er dem westlichen Verfassungsstaat auch später keine eigene größere Studie mehr widmete, sondern sich zunehmend auf die Arbeit an seiner Theorie des Bewusstseins konzentriert hat.[72] Eine andere Erklärung besagt, dass er – unbeschadet seiner grundsätzlich positiven Einstellung gegenüber der amerikanischen Gesellschaft (die im Vergleich mit den meisten europäischen Gesellschaften in der Tat noch am stärksten in der christlichen Tradition verankert ist) auch den Entwicklungen in den USA kritisch gegenüberstand, es aber unterließ – etwa aus Dankbarkeit für die Zuflucht, die er hier gefunden hatte – diese Kritik offen und öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Welches auch immer die richtige Erklärung ist, es bleibt festzuhalten, dass seine Ausführungen über das Problem, wie Institutionen beschaffen sein müssen, die geeignet sind, ein hohes Maß an philosophischer und christlicher Substanz aufzunehmen und auch weiterzugeben, in der New Science knapp und ein wenig unbefriedigend ausfallen.

(2) Folgt man der Charakterisierung Voegelins, so handelt es sich bei der New Science of Politics – um dies nochmals zu wiederholen – im ersten und eigentlichen Sinne um eine „systematische Studie zur Grundlegung einer Staatswissenschaft im platonischen Sinn (die eine Geschichtsphilosophie einbezieht)“. Diese Charakterisierung durch den Autor ist hinzunehmen – und bedarf doch einer differenzieren- den Ergänzung. Auf eine solche machte indirekt Gregor Sebba aufmerksam, als er 1982 in einem Essay mit dem Titel „Prelude and Variations on the Theme of Eric Voegelin“ feststellte: „Wenn Wahrheit und Repräsentation das Thema (theme) ist, dann ist die Modernität der Gegenstand (topic) der New Science“.[73] Wie immer man diese Differenzierung von „theme“ und „topic“ interpretiert, schon bei einen flüchtigen Blick in die New Science fällt auf, dass sich die ganze zweite Hälfte des Textes mit der westlichen Moderne und hier vor allem mit der „Natur der Modernität“, nämlich dem „Gnostizismus“ befasst, der damit eine Gewichtung erhielt, die wesentlich dazu beigetragen haben dürfte, dass das erste und eigentliche Thema der Studie von vielen übersehen wurde.

Diese Gewichtung bedarf einer Erklärung, und in dieser sind vor allem zwei Faktoren von Bedeutung. Der erste betrifft das, was wir Voegelins ersten „Arbeitszug“ genannt haben, nämlich die Tatsache, dass Voegelin seit 1945 primär am Schlussband der History über die „Moderne Welt“ arbeitete, und dass gerade dieser Band ihm konzeptionell erhebliche Probleme bereitete. So charakterisierte er später, in seinen Autobiographischen Reflexionen, die „fünf Jahre zwischen 1945 und 1950 als eine Periode der Unentschiedenheit, wenn nicht gar der Lähmung […] Die Probleme waren mir eindeutig vor Augen, aber ich konnte sie intellektuell nicht zufriedenstellend durchdringen.“[74] Zu diesen Problemen gehörten zweifellos auch die „Prinzipien der Analyse“ der Moderne. Denn, wie sich gezeigt hatte, war es Voegelin in diesen Jahren zwar gelungen, die Kontinuität der Bewegungen zwischen dem 13. Jahrhundert und der Gegenwart nachzuweisen und deren religiösen Charakter plausibel zu machen. Was hingegen noch immer ausstand, war, die sie verbindende Weltanschauung, gewissermaßen die „Natur“ der neuen geistigen Kultur der Innerweltlichkeit, auf den Begriff zu bringen. Und dies ist der zweite Faktor, der die starke Gewichtung des Problemkomplexes „Neuzeit“ bzw. „Modernität“ in der New Science erklärt. Denn genau dies schien gegen Ende der 40er Jahre mit dem Begriff Gnosis bzw. Gnostizismus und seiner Anwendung auf das moderne politische Denken gelungen. Dass Voegelin darin eine besondere Leistung der New Science sah, geht aus einem jener schon erwähnten Fragebogen hervor, den er für den Verlag zu Werbezwecken ausfüllte. „The principal achievement of the book“, heißt es dort, „is the interpretation of modernity as the rise of political gnosis since the High Middle Ages, in rivalry with the classical and Christian tradition, and of its destructive effects on western civilization.“ Ferner war er sich durchaus bewusst, dass die Kategorie der Gnosis neu war. Denn an anderer Stelle heißt es: „The idea that modern politics is essentially a gnostic movement is quite new. It is probably not known to anybody except one or wo specialists like Hans Urs von Balthasar“[75]

Der Name Urs von Balthasar taucht in den Korrespondenzen Voegelins seit Mitte der 40er Jahre auf, erstmals in der Korrespondenz mit Alfred Schütz im Sommer 1945. Ein erster direkter Hinweis auf das Werk Balthasars findet sich allerdings erst im Schelling-Kapitel der History, das 1946 entstand[76]; ein zweiter im Morus-Kapitel. In einer längeren Anmerkung zum Utopie-Verständnis verweist Voegelin auf Urs von Balthasars Apokalypse der deutschen Seele und stellt u.a. fest: „In unserer Analyse des utopischen Ideals als der Zersetzung christlicher Eschatologie folgen wir im Allgemeinen den Hinweisen, die von Balthasar, aao, Band I: Der deutsche Idealismus, S. 22-29 gegeben hat.“[77] Diese Morus-Abhandlung entstand vermutlich im Oktober 1948, also genau in dem kritischen Zeitraum, in dem Voegelin sich mit den Plänen zu einer neuen systematischen Theorie der Politik beschäftigte. Während der Gnosis-Begriff im Morus-Kapitel selbst nicht auftaucht, findet er sich – allerdings eher beiläufig – in zwei anderen Kapiteln der History, an denen Voegelin ebenfalls in dieser Zeit arbeitete: in der zweiten Fassung des Kapitels „People of God“, das er im Mai 1948 abschloss und das bald die Überschrift der fünften Walgreen Lecture liefern wird,[78] sowie im Marx-Kapitel, das Voegelin wohl im Juli fertig stellte und zu dem er ebenfalls von Balthasar konsultierte. Wie wichtig ihm dessen Anregungen waren, zeigten auch die Projektbeschreibungen für die Rockefeller- und die Guggenheim Foundation. Auch in ihnen ist von Balthasar unter den Repräsentanten der „new science of politics“ aufgeführt als einer jener europäischen Gelehrten, die Voegelin während der EuropaReise unbedingt aufzusuchen beabsichtigte. Noch deutlicher geht diese Hochachtung aus einem kurzen Brief Voegelins an Balthasar hervor, in dem er diesem seinen Besuch ankündigte und sich kurz vorstellte. „Mein Hauptarbeitsgebiet“, so heißt es in dem Brief, „ist die Geschichte der politischen Ideen; und ein größeres Werk über diesen Gegenstand nähert sich dem Abschluss. Ihre Arbeiten, und insbesondere Ihre ‚Apokalypse der deutschen Seele’ war für mich von größter Hilfe, nicht nur für das Verständnis der Geistes- geschichte des neunzehnten Jahrhunderts, sondern auch darüber hinaus für die Prinzipien der Analyse.“ [79] (Hervorhebung PJO)

Wichtig ist hier vor allem die letzte Bemerkung, zeigt sie doch, dass es nicht nur der Gnosis-Begriff war, zu dessen Verwendung das Werk von Balthasars Voegelin, wie er später in den Autobiographischen Reflexionen schrieb, anregte,[80]80 sondern dass dessen Einfluss weit darüber hinaus reichte[81] – nämlich auf die „Prinzipien der Analyse“, also auch auf die Theorieentwicklung Voegelins. Ob und inwieweit zu deren weiterer Klärung auch die Gespräche mit von Balthasar in der Schweiz beitrugen, bleibt unklar. So heißt es in einem Brief Voegelins an Robert Heilman, in dem er am 1. Dezember 1950 über die Europareise berichtet und dabei auch seine Arbeit an den Walgreen Lectures anspricht.

„The topic is ‚Truth and Representation’ and more than two thirds is finished. That has occupied since we are back, end of August, and it will take me through the Christmas vacation. It is hard work because it is my first systematic study on theoretical politics since my abortive attempts about 1930; and I want to make it as good as I can. Fortunately, as far as the problem is concerned, the thing works out much better than I had hoped for. I think I have been able to find the theoretical instruments for dealing with the problem of Western Civilization and its decline...“ (Hervorh. PJO)

Und zur Europareise heißt es dann einige Zeilen weiter:

„The trip to Europe, as I said, was not a waste. I undertook it primarily because I wanted to be sure that in my own work I was up to date before I embarked on publications of a systematic nature. Well, I found that I am up to date and in several respects a bit ahead of it. Nevertheless, the broad confirmation that so many other scholars are working along the same lines, was most valuable; and naturally I acquired information concerning whole ranges of problems which I myself had not worked through in sufficient detail, especially the problems of Gnosis and of certain Patres“[82]

Der Brief schafft über zwei Punkte Klarheit: Zum einen bestätigt er, dass die Zeit der Lähmung und der Unentschiedenheit – zumindest soweit sie sich auf die westliche Moderne bezogen hatte – nach der Rückkehr aus Europa vorbei war und Voegelin nun offenbar über die für ihre Interpretation benötigten „theoretischen Instrumente“ verfügte; und zum anderen, dass er durch die Europareise weitere Informationen über die Gnosis erhalten hatte. Dabei bleibt allerdings unklar, von wem er sie erhalten hatte – von Balthasar oder von Henri Charles Puech und Gilles Quispel, die er später in den Autobiographischen Reflexionen erwähnt.[83] Dass der eigentliche Ertrag des Treffens mit Balthasar aber wohl weniger in neuen Erkenntnissen über die moderne Gnosis bestand als in dessen gerade erschienener Studie Theologie der Geschichte (Einsiedel, 1950), geht aus einem Brief Engel-Janosi über die Europareise hervor: „Der Ertrag der Europareise ist enorm. Vorläufig befinde ich mich noch im gleichen Stadium wie Sie: ich habe noch bei weitem nicht alles bewältigt, was ich mir an Büchern mitgebracht habe. Der stärkste Eindruck war wohl durch Balthasar. Ich habe eben seine ‚Theologie der Geschichte’ gelesen -- das scheint mir wirklich ein Meisterwerk in seiner Art zu sein (klein, nur 60 Seiten).“[84] Offenbar war der Eindruck so stark, dass Voegelin das Buch gleich für die Walgreen Lectures auswertete und es in seine Überlegungen über das Problem des eidos in der Geschichte einbezog.

Insgesamt drängt sich damit der Eindruck auf, dass sich sowohl Voegelins allgemeine Auffassung von der westlichen Moderne, angeregt durch die Gespräche in Europa, erst beim Schreiben der Vorlesungen endgültig bildete. Vor allem aber, dass er sich auch jetzt erst für die Übernahme des Gnosis-Begriffes entschied, wobei seine eigene Leistung darin bestehen dürfte, den Begriff in eine enge Beziehung mit der Geschichtsproblematik gebracht zu haben. Ungeachtet des Einflusses Balthasars in Einzelfragen sollte dabei allerdings nicht übersehen werden, dass Voegelins Interpretation der westlichen Moderne auch wichtige Anregungen von anderen Denkern erhielt – etwa von Henri de Lubacs Drame de l’Humanisme Athée (2. Aufl. 1948), von Jacob Taubes Abendländische Eschatologie (Bern 1947), vor allem aber von der schon erwähnten Studie Karl Löwiths Meaning in History (Chicago, 1949).

Soviel zum werksgeschichtlichen Hintergrund des Gnosis-Begriffes und zu den Einflüssen auf Voegelins Interpretation der Neuzeit. Wenden wir uns nun noch kurz der Sache selbst zu: nämlich der Deutung der Modernität als „Gnosis“ bzw. als Gnostizismus. Dabei ist zunächst zu beachten, dass diese Deutung nicht isoliert erfolgt, sondern in einem größeren welt und geistesgeschichtlichem Kontext eingebunden ist. So spricht Voegelin von einem „Kulturzyklus von welthistorischem Ausmaß“, der die Zyklen der ihm angehörenden einzelnen Zivilisationen überwölbt, darunter auch den der „modernen gnostischen Zivilisation“.[85] Dass die einzelnen Zivilisationen mit ihren eigenen Zyklen – der Hintergrund der Spekulationen von Giambattista Vico über Oswald Spengler, Eduard Meyer bis hin zu Arnold J. Toynbee und Karl Jaspers über zivilisatorische Abläufe und Zusammenhänge ist unübersehbar – nicht isoliert voneinander in einer linearen Sequenz gesehen werden, sondern als Teile eines Zyklus, ergibt sich zwingend aus der Übertragung der Erfahrungsbegriffs, der auch hier wieder im Hintergrund steht. Erst durch ihn erfolgt die Verknüpfung der einzelnen Zivilisationen zu einer größeren Sinneinheit. So sind die vorchristlichen Hochkulturen – sie stehen in der New Science für das „kosmologische“ und „anthropologische“ Wahrheitsverständnis – durch Prozesse einer zunehmenden geistigen Differenzierung miteinander verbunden, die sich hin zur Entdeckung der Psyche als des Sensoriums für Transzendenzerfahrungen entwickeln und schließlich im Christentum in der „Offenbarung des Logos in der Geschichte“ kulminieren. Mit diesem ist der Höhepunkt des Riesenzyklus erreicht, dessen Bewegung mit der „westlichen Gesellschaft“ nun seinen Niedergang erfährt. Voegelin: „In der modernen gnostischen Zivilisation wird die Tendenz zur Differenzierung rückläufig“[86] – eine Beurteilung, die sich ebenso wie die des Aufstiegs aus dem Erfahrungsverständnis ergibt.

Damit ist der Punkt erreicht, von dem eine Analyse des GnosisBegriffs, wie Voegelin ihn formulierte und auf die westliche Moderne übertrug, ausgehen muss. Zugleich wird deutlich, dass sie zwingend am Erfahrungsbegriff ansetzen muss, nämlich an der Frage nach den Ursachen, die zu jenem Verlust und Verfall von Differenzierung und damit auch zum Niedergang – der zunächst und vor allem ein Niedergang im Bereich der Erfahrung ist – geführt haben. Mit dieser Frage beginnt die vierte der insgesamt sechs Walgreen Lectures, und ihrer Beantwortung sind die verbleibenden drei Vorlesungen gewidmet. Dabei ist evident, dass Voegelin bei seiner Antwort erneut auf die im Christentum erreichte Erfahrungshöhe zurückgehen muss, ist es doch die christliche Phase im Zyklus, in der der Niedergang beginnt. Seine Erklärung setzt denn auch genau an jenem Punkt an, den er zu den spezifischen Leistungen des Christentums zählt: an der Erfahrung der radikalen Transzendenz des Göttlichen und der ihr korrespondierenden Entgöttlichung – „DeDivinisation“ – der Welt, einschließlich der temporalen Sphäre der Macht, sowie an der durch sie bewirkten Neuordnung der menschlichen Existenz in Gesellschaft „durch das Erlebnis der Bestimmung des Menschen – durch die Gnade des welttranszendenten Gottes – zum ewigen Leben in seliger Schau“.[87] Der zentrale Begriff in der Argumentation ist der der „Gnade“. Denn infolge der De-Divinisation der Welt – und hier übernehmen wir nun angesichts der Wichtigkeit der folgenden Passage und der Dichte der Formulierung den Text Voegelins:

„communication with the world-transcendent Go is reduced to the tenuous bond of faith, in the sense of Hebr 11:I, as the substance of things hoped for and the proof of things unseen. Ontologically, the substance of things hoped for is nowhere to be found but in faith itself; and, epistemologically, there is no proof for things unseen but again this very faith. The bond is tenuous, indeed, and it may snap easily. The life of the soul in openness toward God, the waiting, the periods of aridity and dullness, guilt and despondency, contrition and repentance, forsakenness and hope against hope, the silent stirrings of love and grace, trembling on the verge of certainty that if gained is loss – the very lightness of this fabric may prove too heavy a burden for men who lust for massively possessive experience. The danger of a breakdown of faith to a socially relevant degree, now, will increase in the measure in which Christianity is a worldly success…”[88]

Es ist diese Herausforderung des „Glaubens“ im christlichen Sinne oder besser der Glaubensfähigkeit des Menschen, die sich schließlich im Hohen Mittelalter – wir müssen hier die Einzelheiten der Argumentation übergehen – für eine zunehmende Zahl von Menschen als Überforderung erweist und zu dem führt, was Voegelin als „Abfall vom Glauben“ bezeichnet.[89]

Genau an dieser Stelle also, im Zusammenhang mit dem Glaubensabfall und der Frage, auf welche Erfahrungen der Mensch in dieser Situation zurückfallen kann – nämlich auf Erfahrungen, die es ihm erlauben „unsere Kenntnis der Transzendenz fester in den Griff zu bekommen, als die cognitio fidei, die Erkenntnis des Glaubens, es uns gestattet“[90] – wendet sich Voegelin den „gnostischen Erfahrungen“ zu. Denn in ihnen sieht er den Kern der nun einsetzenden „ReDivinisation“ der Gesellschaft und damit eine der Hauptursachen für die zunehmende Hinwendung des Menschen zur Innerweltlichkeit und der Inszenierung des Dramas der Selbsterlösung im Medium progressivistischer Geschichtsspekulationen, in denen entwickelt wird, wie die bestehende defiziente Welt durch menschliche Aktion verändert und in eine neue, bessere Welt verwandelt werden kann.

Es kann hier nicht erörtert werden, ob es im Mittelalter eine lebendige gnostische Kultur gab – wovon Voegelin mit Blick auf den damaligen Forschungsstand ausgeht –, ob ihr eigenständige „gnostische Erfahrungen“ zugrunde lagen und welche dies waren, vor allem aber ob sie so beschaffen waren, dass sie die dem christlichen Glauben über Gott, die Seele und den Sinn der menschlichen Existenz inhärente „Ungewissheit“[91] durch ein festeres Wissen (Gnosis) zu kompensieren vermochten.[92] Hier soll nur sichtbar gemacht werden, dass der Kern des Problems um die Modernität, wie Voegelin es sieht, im Wesen des christlichen Glaubens liegt und dass die Anziehungskraft gnostischer Erfahrungen, Ideen und Ideologien gerade darin besteht, dass sie einerseits geringere Anforderungen an den Glauben stellten – und noch immer stellen –, andererseits aber größere Gewissheit boten und bieten als dies der christliche Glaube vermag. Gleichzeitig wird damit auch deutlich, dass die cognitio fidei das Fundament ist, von dem aus Voegelin die westliche Moderne und Modernität deutet und dass sie letztlich auch das Fundament ist, auf dem seine Philosophie und seine persönliche Haltung basieren. Es ist gewissermaßen die existentielle Mitte, aus der heraus er lebt, forscht und schreibt und von dem aus er letztlich das Geschehen beobachtet und beurteilt. Dies klang schon in dem oben zitierten Brief an Löwith an und wird durch eine Vielzahl von Hinweisen bestätigt, die sich durch die History ziehen. So heißt es, um nur eine anzuführen, im Apostasy-Kapitel – in bewusst grundsätzlicher Abgrenzung zur Position von Voltaire und Newton, sowie unter Bezug auf die einschlägigen Passagen der Summa contra gentiles von Thomas von Aquin:

„Die Symbole der christlichen Lehre im Bezug auf die menschliche Seele, auf transzendente Realität und ihre Beziehungen zueinander sind kein Korpus von empirisch verifizierbaren Propositionen, die nach gebührender Prüfung als wahr akzeptiert werden müssen. Sie erlangen vielmehr ihr Bedeutung als Äußerungen eines geistigen Prozesses, in welchem die Seele mit caritas für die übernatürliche Hilfe gratia empfänglich wird. In dieser Antwort konstituiert sich die fides caritate formata, welche die Möglichkeit eröffnet, verstehend nach dem Übernatürlichem zu greifen. Die Seele entwickelt die Fähigkeiten der cognitio fidei, der Erkenntnis mittels des Glaubens in Bezug auf Angelegenheiten, die der natürlichen Vernunft nicht zugänglich sind. Ohne die Wirklichkeit dieses geistigen Prozesses werden Theologumenon und Anthropologie zu leeren Hülsen.“[93]

Ausgehend von der christlichen Glaubenserfahrung und der aus ihr sich ergebenden Glaubenskrise entwickelt Voegelin nun in der ganzen zweiten Hälfte der New Science das breite Spektrum der gnostischen Erfahrungen, sowie die Prozesse ihrer allmählichen, über Jahrhunderte sich hinziehenden gleitenden Umgestaltung, in denen sie sich von ihrem ursprünglich christlichen Wurzelgrund entfernten, bis sie schließlich einen offen antichristlichen Charakter angenommen hatten; die Ursachen, die dazu führten, dass diese neue Gnosis, die auf den ersten Blick mit der antiken Gnosis so wenig zu tun hat, die Form einer wesentlich durch die Immanentisierung des christlichen Eschaton geprägten Spekulation über den Sinn der weltimmanenten Geschichte angenommen hat; der eng mit der neuen Weltsicht in Verbindung stehende Aufbau einer beeindruckenden materiellen Zivilisation und deren globaler Expansion; die dieser Zivilisation immanenten Gefahren einer Entwicklung hin zu totalitärer Herrschaft als „Endform der progressivistischen Zivilisation“;[94] sowie schließlich die Vision des unvermeidlichen und absehbaren Endes dieser Zivilisation, das wohl gleichzeitig auch das Ende des „Kulturzyklus“ bedeutet, als dessen Teil Voegelin sie sah. Das alles geschieht nicht immer ganz systematisch, was den Nachvollzug gelegentlich erschwert, vor allem geschieht es in einer von Max Weber beeinflussten methodischen „Vereinseitigung“, die immer auch von der Gefahr einer gewissen Vereinfachung begleitet wird. Und dennoch: Im Verlauf dieser tour de force werden die Konturen einer eigenständigen, über einen Zeitraum von tausend Jahren sich entwickelnden Zivilisation sichtbar, „die als Einheit (Hervorh. PJO) identifizierbar und verstehbar ist, kraft ihrer Entwicklung zum Repräsentanten eines historisch einmaligen Typus gnostischer Wahrheit“.[95]

Obwohl Voegelin auch später an dieser in der New Science vorgelegten Deutung der Modernität grundsätzlich festhalten wird – insbesondere was die Fundierung dieser Deutung im Erfahrungsbegriff anbelangt –, ist bei ihrer Beurteilung in Rechnung zu stellen, dass es sich hierbei lediglich um eine Skizze handelte, die erst im Rahmen von Order and History zu einer eigenständigen Darstellung mit dem Titel „The Gnostic Age“ ausgearbeitet werden sollte – wozu es allerdings nicht kam. Dass es in einer solchen detaillierten Ausführung dann zu erheblichen Modifikationen gekommen wäre, steht außer Frage, und dass zu diesen Modifikationen auch ihre Einschätzung als Gnostizismus gehört hätte, ist sicher. So bemerkte Voegelin 1976 in Gesprächen am Morus-Institut in Montreal:

„I paid perhaps undue attention to gnosticism in the first book I published in English, The New Science of Politics. That was the time when the historic explosion of knowledge started which we are living today. I happened to run into the problem of gnosticism in my reading of von Balthasar. But in the meanwhile we have found that the apocalyptic traditon is of equal importance, and the Neo-Platonic tradition, and hermeticism, and magic, and so on. [...] So there are five or six such items – not only gnosticism – with which we have to deal. If all new types have to be brought in, the simple doctrine is no longer very useful.“[96]

Titel-Geschichte und Ausblick

Schon gleich bei der Einladung nach Chicago hatten die Veranstalter Voegelin bedeutet, dass man sich die Option einer Veröffentlichung seiner Vorlesungen sichern wollte, und als Voegelin sein Einverständnis zu erteilen vergaß, wurde er daran erinnert und gebeten, es nachzureichen. Mit Blick auf die in Aussicht gestellte Publikation hatte Voegelin die Lectures deshalb nicht nur in Stichpunkten konzipiert, sondern sie schon bei ihrer Ausarbeitung fertig ausformuliert. Was noch fehlte, war zum einen eine Einleitung, an die er sich gleich nach der Rückkehr nach Baton Rouge machte, zum anderen der Titel, den das Buch tragen sollte. Der aber hat eine eigene kleine Geschichte, auf die abschließend kurz eingegangen werden muss, da sie geeignet ist, einige weitere interessante Facetten der New Science sichtbar zu machen.

Offenbar hatte Voegelin im Vorfeld der Publikation zunächst mit dem Titel „Beyond Modernity“ gespielt. Jedenfalls findet sich diese Bezeichnung in einigen der schon erwähnten Fragebögen, die ihm vermutlich 1950 / Anfang 1951 vom Verlag vorgelegt wurden. Auch in ihnen verwies Voegelin auf die Erneuerungsbewegung, die seit einem halben Jahrhundert erfolgreich und mit wachsender Dynamik an der „Wiederherstellung der Wissenschaft vom Menschen auf klassischer und christlicher Grundlage“ arbeitete, um dann festzustellen: „’Beyond Modernity’ introduces the reader to the movement of restauration by applying its magnificent results to fundamental theoretical issues of political science, in particular to the issue of representation.“[97] In Gesprächen mit den Veranstaltern, vermutlich kurz vor Abschluss der Vorlesungen, in denen es um die Publikation und in diesem Zusammenhang auch um den Titel ging, hatte man sich dann aber wohl auf eine leicht veränderte Fassung verständigt, nämlich auf den Titel der Schluss-Lecture. Jedenfalls schrieb Voegelin am 1. Februar 1951, also am Vorabend seiner letzten Vorlesung, an seine Frau: „Der Titel des Buches wird für den Druck geändert. Vorläufig haben wir uns geeinigt auf: ‚The End of Modernity. An Introduction to the New Science of Politics’.“[98] Ob diese Formulierung auf Voegelin selbst zurückgeht, ist unklar, jedenfalls heißt es in einem Brief vom 15. April 1950 an die Chicago University Press, dass Professor Kerwin seinerseits in Chicago angeregt habe, „einen für ein größeres Publikum attraktiveren Titel zu wählen. Nach Beratungen mit Professor Rheinstein entschieden wir uns für den Titel ‚The End of Modernity. An Introduction to the New Science of Politics’.“[99]

Doch auch diese Wahl fand im Verlag nicht die uneingeschränkte Zustimmung. Jedenfalls empfahl Anfang Mai einer der Herausgeber, „die verbleibende Zeit noch zu einigem Nachdenken darüber zu nutzen“.[100] Für weiteres Nachdenken gab es noch einen anderen Grund, den Voegelin kurz darauf in einem Brief an Engel-Janosi anführt: „Der geplante Titel ‚The End of Modernity’ wird kaum möglich sein“, heißt es dort, „weil eben ein neues Buch mit dem Titel ‚The Myth of Modernity’ erschienen ist. Bis jetzt ist mir noch nichts Vernünftiges eingefallen.“[101]

Daran änderte sich offenbar auch nichts in den folgenden Monaten – jedenfalls enthält der am 27. August 1951 unterzeichnete Vertrag mit der Chicago University Press noch immer den Titel: „The End of Modernity. An Introduction to the New Science of Politics“. Erst Mitte Juni 1952 findet sich in einem Brief von der Chicago University Press erstmals die Erwähnung des Titels, unter dem das Buch schließlich erschien: The New Science of Politics. Die späte Einigung auf den früheren Untertitel mag auch erklären, dass der Begriff „new science of politics“ an keiner Stelle des Buches erwähnt ist oder gar näher ausgeführt wird, auch nicht in der später verfassten „Introduction“, in der man ihn noch am ehesten erwartet hätte, geht sie doch näher auf jene Erneuerungsbewegung der politischen Philosophie ein, in deren Kontext Voegelin sich und sein Buch sieht. Dass der Titel letztlich auf Voegelin selbst zurückgeht, legen freilich die oben zitierten Rockefeller- und Guggenheim Outlines aus den Jahren 1948 und 1949 nahe. In beiden hatte Voegelin auf die im Aufstieg begriffene Bewegung zu einer „new science of politics“ hingewiesen, der er sich geistig eng verbunden fühlte und deren Elemente und Ergebnisse er – erstmals – systematisch zusammenfassen wollte. Und genau dies geschieht in der New Science of Politics.

Warum aber – so drängt sich die Frage auf – hatte Voegelin gerade diese Bezeichnung sowohl für jene geistige Erneuerungsbewegung wie auch für sein eigenes Buch gewählt, zumal sich letzteres doch deutlich an der „alten Wissenschaft“ von Platon und Aristoteles orientierte? Zumindest letzteres ist bekannt. Denn während Voegelin die amerikanischen Leser über die Bedeutung des Titels im Unklaren gelassen hatte, ging er im Vorwort zur deutschen Ausgabe kurz darauf ein. Unter Hinweis auf das Interesse des Verlegers an einen publikumswirksameren Titel, erinnert sich Voegelin:

„Ich entschied mich für Die Neue Wissenschaft der Politik, anklingend an die Nuova Scienza des Giambattista Vico. Denn so wie Vicos Neue Wissenschaft von Politik und Geschichte in Opposition zu Galileis Nuova Scienza konzipiert war, so sind die vorliegenden Vorlesungen ein Versuch, die Politische Wissenschaft im klassischen Sinne wiederherzustellen, im Gegensatz zu den vorherrschenden Methoden des Positivismus. Um diesen Aspekt der Untersuchung stärker zu betonen, wurde die Einleitung hinzugefügt.“[102]

Dass die endgültige Titelwahl erst spät erfolgte, erst nach Verfertigung der „Einleitung“, mag auch erklären, dass weder Giambattista Vico noch Galileo Galilei namentlich in der New Science erwähnt sind, und dass auch auf ihr Werk und ihre Ideen nicht direkt Bezug genommen wird. Das war insofern auch nicht nötig, erklärte Voegelin die Wahl des Titels doch lediglich als Folge einer vergleichbaren Frontstellung. Und doch steht bei näherer Betrachtung mehr hinter der Wahl als nur eine vergleichbare Situation, auf die Bezug genommen werden sollte. Ein Hinweis dafür findet sich in seiner umfassenden Abhandlung über Giambattista Vico im Rahmen der History, die Voegelin schon Mitte Oktober 1946 abgeschlossen hatte. In ihr charakterisiert er Vicos Nuova Szienza als „den bewussten Versuch, eine Wissenschaft des Geistes gegen die üppig wuchernden Forderungen wiederherzustellen, dass die Methoden der Wissenschaft von den Phänomenen der Natur das Modell aller Wissenschaft seien.“[103] Genau das aber war, wie seine in der Einleitung formulierte Frontstellung gegen den Positivismus zeigt, auch sein eigenes Anliegen. Voegelin feierte Vicos Nuova Szienca deshalb als den „ersten grandiosen Akt in der Bewegung zur Wiederherstellung einer Wesenswissenschaft“. Und auch dieses war, wie er eindringlich in seinem Aufsatz „The Origins of Scientism“ darstellte, den er im Dezember 1948, also ebenfalls im Vorfeld seiner Planungen zu einer systematischen Theorie der Politik, in Social Research veröffentlichte, sein eigenes und eigentliches Anliegen.[104] Vico wurde für ihn damit zu einem der Neubegründer der Wissenschaft der Politik. [105]

Noch in einem weiteren Punkt sah sich Voegelin in einer Linie mit Vico: nämlich in seinem Bemühen um eine Philosophie der Geschichte als einer Geschichte des Geistes, die die Defizite der progressivistischen Geschichtsspekulationen seit der Aufklärung, insbesondere derjenigen Hegels, vermied. Dabei war sich Voegelin durchaus der Unvollkommenheiten der Vichianischen Geschichtsphilosophie – ihrer Generalisierung des römischen Modells wie einer allzu unkritischen Übernahme Augustinischer Vorgaben – bewusst. Doch gerade in deren Überwindung sah er eine der Aufgaben, die es nun zu bewältigen galt. „Hier“, so seine abschließenden Sätze im Vico-Essay, „liegt das noch weit offene Feld der neuen politischen Wissenschaft. Mit dem Wissenszuwachs in der empirischen Geschichte zum einen und der zunehmenden Durchdringung der theoretischen Probleme der geistigen, evokativen und pragmatischen Geschichte zum anderen haben wir eine Entwicklung der neuen Wissenschaft weit über den Bereich hinaus zu erwarten, den Vico im Blick hatte – eine Ausweitung, für die die Untersuchungen von Schelling und Bergson, von Spengler und Toynbee kaum mehr als ein Anfang sind.“[106] Dass seine New Science of Politics zur Weiterentwicklung dieser „neuen politischen Wissenschaft“ einen wichtigen Beitrag leistete, davon war Voegelin überzeugt.

Die New Science of Politics war das erste Buch, das Voegelin nach seiner Emigration in die USA veröffentlichte, und es wurde zugleich auch sein bekanntestes und erfolgreichstes. Kurz nach seiner Berufung nach München war, 1959, eine deutsche Übersetzung erschienen; 1968 folgten Übersetzungen ins Spanische und Italienische. Im August 1978, ein Vierteljahrhundert nach ihrer Erstveröffentlichung, erhielt Voegelin für sie – als „ein Werk von exzeptioneller Qualität“ im Bereich der politischen Theorie – den Lippencott Award der American Political Science Association. 1982 erschien eine portugiesische Übersetzung; zehn Jahre später, 1992, eine Übersetzung ins Polnische, im Jahre 2000 folgte schließlich eine französische Edition und 2003 eine japanische Übersetzung.

Über der Tatsache, dass die New Science of Politics Voegelins bekanntestes Werk ist, wird häufig übersehen, dass es keineswegs sein wichtigstes ist. So betrachtete Voegelin die Walgreen Lectures, wie es in einem Brief an die Guggenheim Foundation heißt, „nicht als die systematische Arbeit, die ich plante, als ich mich für ein Guggenheim Fellowship bewarb; zweifellos waren sie aber ein wesentlicher Beitrag dazu.“[107] Dieser Einschätzung entspricht der ebenfalls häufig übersehene Untertitel des Buches, der es als eine „Einführung“ in die New Science of Politics ausweist – und mehr ist es in der Tat nicht. Im Rückblick sollten sich die Akzente dieser Einschätzung nochmals ein wenig verändern. So bezeichnete Voegelin sie sechzehn Jahre später in der Einleitung zu Anamnesis aus einer etwas anderen Perspektive als eine Etappe auf dem Wege zu jener Philosophie des Bewusstseins, in der er inzwischen das „Kernstück einer Philosophie der Politik“ sah[108] und auf deren Ausarbeitung er sich in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens im wesentlichen konzentrierte. Eine solche Zwischenetappe war sie in der Tat, spielt in ihr doch der Erfahrungsbegriff als eines der Kernelemente der Bewusstseinsphilosophie eine tragende Rolle. Aus diesem Grunde ist es durchaus notwendig, sich mit der New Science of Politics zu beschäftigen. Doch sollte darüber nicht in Vergessenheit geraten, dass noch weitere drei Jahrzehnte intensiver Arbeit folgten, deren geistige Erträge – insbesondere die Philosophie des Bewusstseins – noch kaum erschlossen sind.

© 2003 Eric-Voegelin-Archiv, Ludwig-Maximilians-Universität München

 

[1] Brief vom 10. Juli 1951 von Eric Voegelin an Eduard Baumgarten. Alle im Folgenden zitierten Briefe befinden sich – sofern nicht ausdrücklich anders angegeben – im Nachlass Voegelins im Archiv der Hoover Library, Stanford/California: Eric Voegelin, Papers, Hoover Institution Archive

[2] Einige von ihnen finden sich in: Eric Voegelin, Alfred Schütz, Leo Strauss, Aron Gurwitsch. Briefwechsel über „Die Neue Wissenschaft der Politik“, hrsg. von Peter J. Opitz, Freiburg (Breisgau), München: Alber, 1993 (= im folgenden Briefwechsel).

[3] Zur Entstehung und Entwicklung der History siehe Peter J. Opitz, Vom „System der Staatslehre“ zur „Philosophie der Politik und der Geschichte“: Zur Entstehungsgeschichte von Eric Voegelins Order and History, in: Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. I, Die Kosmologischen Reiche des Alten Orients – Mesopotamien und Ägypten, hrsg. von Jan Assmann, München: Fink, 2001, S. 225-286; sowie „General Introduction to the Series” von Thomas A. Hollweck, in: The Collected Works of Eric Voegelin (= CW), Vol. 19, History of Political Ideas, Vol. I, Hellenism, Rome and Early Christianity, ed. and with an Introduction by Athanasius Mulakis, Columbia and London: University of Missouri Press, 1997, S. 1-57.

[4] Brief vom 8.Oktober 1945 von Voegelin an Henry McCurdy.

[5] 5 CW, Vol. 24, History of Political Ideas, Vol. VI, Revolution and the New Science, ed. with an Introduction by Gary Cooper, Columbia/Missouri: University of Missouri Press, 1998, S. 31-70. Dt. in: Eric Voegelin, Apostasie oder: Die Entstehung der säkularisierten Geschichte – Bossuet und Voltaire, hrsg. und mit einem Nachwort von Peter J. Opitz, Occasional Papers, XXXIX, München: Eric-Voegelin-Archiv, September 2003.

[6] Brief vom 21. April 1945 von Voegelin an Alfred Schütz.

[7] Brief vom 1. August 1947 von Voegelin an Schütz. Eine Veröffentlichung des vollständigen Briefwechsels zwischen Voegelin und Schütz ist in Vorbereitung und erscheint demnächst in: Alfred Schütz, Eric Voegelin, Briefwechsel 1938-1959, hrsg. von Gerhard Wagner und Gilbert Weiss, Konstanz: Universitätsverlag Konstanz, 2004; zum Verhältnis der beiden Männer, die eine lebenslange Freundschaft verband, siehe Gilbert Weiss, Theorie, Relevanz und Wahrheit. Eine Rekonstruktion des Briefwechsels zwischen Eric Voegelin und Alfred Schütz (1938-1959), München: Fink, 2000.

[8] Eric Voegelin, Plato’s Egyptian Myth, in: The Journal of Politics, Vol. 9, No. 3, S. 307-324. Der Text findet sich in nur geringfügig veränderter Form in: Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. VI, Platon, hrsg. und mit einem Nachwort von Dietmar Herz, München: Fink 2002, Kap. 5, S. 207- 256.

[9] Brief vom 4. November 1948 von Voegelin an Robert Heilman. Zur Beziehung zwischen Voegelin und Heilman siehe Robert Heilman, Erinnerungen an Eric Voegelin, in: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur, hrsg. von der Akademie der Künste, 53. Jahr/2001, 5. Heft, S. 623-642.

[10] Brief vom 18. Februar 1949 von Voegelin an Karl Löwith.

[11] Brief vom 16. April 1949 von Voegelin an Aaron Gurwitsch.

[12] Brief vom 22. April 1949 von Voegelin an Waldemar Gurian.

[13] Brief vom 18. Dezember 1938 von Thomas Mann an Voegelin.

[14] Eric Voegelin, Die Politischen Religionen, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Peter J. Opitz, München: Fink, 1993, S. 7.

[15] Ebd., S. 63.

[16] Eric Voegelin, The People of God (1941). Materialien zu Eric Voegelins „History of Political Ideas” (III), Occasional Papers, XXXVII, hrsg. und mit einem Nachwort von Peter J. Opitz, München: Eric-Voegelin-Archiv, April 2003, S. 5.

[17] Eric Voegelin, Political Theory and the Pattern of General History, in: The American Political Science Review, Vol. XXXVIII, August 1944, Nr. 4, S. 754.

[18] Voegelin, Politische Religionen, S. 51.

[19] Voegelin, Apostasie, S. 6.

[20] Siehe dazu auch Thomas Hollweck, Wie legitim ist die Moderne? Gedanken zu Eric Voegelins Begriff der Moderne und Hans Blumenbergs Begriff der Neuzeit, Occasional Papers, XXXVII, München: Eric-VoegelinArchiv, Januar 2003.

[21] Eric Voegelin, Giambattista Vico – “La Scienza Nuova”, in: CW, 24, History of Political Ideas, Vol. VI, Revolution and the New Science, hrsg. von Barry Cooper, Columbia/London: University of Missouri Press, 1998. S. 82–148. Dt.: Eric Voegelin, Giambattista Vico – „La Scienza Nuova“, hrsg. und mit einem Vorwort von Peter J. Opitz sowie einem Nachwort von Stephan Otto, Paderborn: Fink, 2003, S. 65-66.

[22] Eric Voegelin, Das Volk Gottes. Sektenbewegungen und der Geist der Moderne, hrsg., eingeleitet und mit einem Essay von Peter J. Opitz, München: Fink, 1994, S.108.

[23] Einen ersten Entwurf zu einer „Theorie des Bewusstseins“ hatte Voegelin schon 1943 entwickelt; siehe dazu Eric Voegelin, Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik, München: Piper, 1966, S. 37-60.

[24] Brief vom 31. Dezember 1947 von Voegelin an Schütz.

[25] Voegelin, Apostasie, S. 39.

[26] Ebd., S. 40.

[27] Ebd.

[28] Brief vom 9. Januar 1950 von Voegelin an Karl Löwith (die folgenden Zitate sind diesem Brief entnommen).

[29]  Voegelin, Plato’s Egyptian Myth, S. 323f.

[30] Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. VII, Aristoteles, hrsg. von Peter J. Opitz, München: Fink, 2001, S. 122ff.

[31] Brief vom 2. Januar 1950 von Voegelin an Leo Strauss.

[32] Brief vom 14. März 1950 von Strauss an Voegelin.

[33] Eric Voegelin, Autobiographische Reflexionen, hrsg., eingeleitet und mit einer Bibliographie von Peter J. Opitz, München: Fink, 1994, S. 98-100; siehe auch das Kapitel 17 „Von den politischen Ideen zu den Symbolen der Erfahrung“, S. 82-89; siehe zum selben Problem auch „Autobiographical Statement“, in: The Beginning and the Beyond: Papers from the Gadamer and Voegelin Conferences, ed. Fred Lawrence, Chico/California: Scholars Press, 1984, S. 119.

[34] Voegelin, Apostasie, S. 50.

[35] Brief an Schütz über Edmund Husserl, in: Voegelin, Anamnesis, S. 31.

[36] Brief vom 22. Mai 1948 von Voegelin an Janet M. Paine, Rockefeller Foundation.

[37] Brief vom 12. August 1948 von Voegelin an die Rockefeller Foundation.

[38] Brief vom 18. August 1948 von Janet M. Paine an Voegelin.

[39] Die insgesamt sechs Seiten umfassende „Outline“ findet sich als Anlage eines Briefes Voegelins vom 12. August 1948 an die Rockefeller Foundation. Die Korrespondenz mit der Rockefeller und der Guggenheim Foundation befindet sich im Nachlass Voegelins im Archiv der Hoover Library, Stanford/California: Eric Voegelin, Papers, Hoover Institution Archives.

[40] Eric Voegelin, The New Science of Politics. An Introductory Essay, Chicago: The University of Chicago Press, 1952, S. 165.

[41] Siehe dazu mein Nachwort in Eric Voegelin, Plato's Myth of the Soul, Occassional Papers, XX, München: Eric-Voegelin- Archiv, Januar 2001.

[42] Voegelin, Aristoteles, S. 113f.

[43] Voegelin, Die kosmologischen Reiche des Alten Orients – Mesopotamien und Ägypten, S. 28.

[44] Brief vom 20. Februar 1950 von Voegelin an Jerome G. Kerwin, Walgreen Foundation.

[45] Eric Voegelin, The Formation of the Marxian Revolutionary Idea, in: The Review of Politics, Vol. 12, No. 3, 1950, S. 275-302. Dt. in: Eric Voegelin, Die Entstehung der Revolutionsidee von Marx, Occasional Papers, XVII, München: Eric-Voegelin-Archiv, April 2 2003.

[46] Brief vom 8. Oktober 1950 von Voegelin an Kerwin.

[47] Brief vom 20. November 1950 von Voegelin an Gurian.

[48] Brief vom 20. November 1950 von Voegelin an Friedrich Engel-Janosi.

[49] Brief vom 29. März 1951 von Voegelin an Engel-Janosi.

[50] Eric Voegelin, Reine Rechtslehre und Staatslehre, in: Zeitschrift für Öffentliches Recht, Wien und Leipzig: Franz Deuticke, 1924, IV. Bd. 1/2, 1. und 2. Heft, S. 80-131.

[51] Die Möglichkeit, die Unterlagen des Habilitationsverfahrens einzusehen, verdanke ich Herrn Prof. Günther Winkler; zum Verhältnis zwischen Kelsen und Voegelin siehe sein der Neuausgabe von Voegelins Der autoritäre Staat angefügtes Geleitwort: Eric Voegelin, Der autoritäre Staat. Ein Versuch über das österreichische Staatsproblem, Forschungen aus Staat und Recht, 119, Wien / New York: Springer, 1997, S.VIII-XXXII. Siehe dazu auch Dietmar Herz, Das Ideal einer objektiven Wissenschaft von Recht und Staat. Zur Kritik Eric Voegelins an Hans Kelsen, Occasional Papers, III, München: Eric-Voegelin-Archiv, März 2 2002; sowie Michael Henkel, Positivismuskritik und autoritärer Staat. Die Grundlagendebatte in der Weimarer Staatsrechtslehre und Eric Voegelins Weg zu einer neuen Wissenschaft der Politik (bis 1938), Occasional Papers, XXXVI, München: Eric-Voegelin-Archiv, April 2003.

[52] Voegelin, Politische Religionen, S. 63.

[53] Siehe dazu den Brief vom 3. Mai 1952 von Voegelin an Heilman.

[54] Siehe dazu im einzelnen Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. V, Die Welt der Polis: Vom Mythos zur Philosophie, hrsg. von Jürgen Gebhardt, Paderborn: Fink, 2003 (im folgenden Die Welt der Polis, II).

[55] Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 16.

[56] Ebd.

[57] Ebd..

[58] Ebd., S. 103f.

[59] Ebd., S. 100.

[60] Voegelin, Anamnesis, S. 283-354.

[61] Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 19.

[62] Ebd., S. 182.

[63] Ebd., S. 119.

[64] Ebd., S. 120f. Ähnlich äußerte sich Voegelin in einem Brief an Alfred Schütz vom 30. April 1951, in dem es heißt: „’Theorie’ ist meiner Meinung nach historisch eintstanden (ca. 600-300 B.C.) als Explikation von Erlebnissen der Transzendenz in Sprachsymbolen. Die Erlebnisse können illustriert werden durch die Heraklitische Triade von Liebe, Hoffnung, Glaube (die bei Paulus wiederkehrt) oder die Platonische von Eros, Thanatos und Dike; im Zentrum steht die Liebe zum sophon, bei Augustin der amor sapientiae. In diesen Erlebnissen kommt das Wissen um das Wesen des Menschen (im Platonisch-Aristotelischen und christlichen Sinn) zum Bewusstsein; und Theorie ist der Versuch, dieses Wissen sprachlich zu formulieren; unter ständigem Rekurs (zur Verifikation) auf diese Erlebnisse. Insofern als diese Theorie entwickelt worden ist, gibt es eine Wissenschaft von Menschen und der Gesellschaft, eine epistéme politiké im Aristotelischen Sinn. Unter „theoretisch relevant“ verstehe ich also, was sich auf eine Wesenslehre vom Menschen im eben angedeuteten Sinne beziehen lässt. Als „theoretisch progressiv“ würde ich alle Versuche verstehen, die eine Wesensforschung durch weitere Differenzierungen der Transzendenzproblematik und ihrer theoretischen Explikation weitertreiben; als „theoretisch– retrogressiv“ würde ich alle Versuche verstehen, die Wissenschaft vom Menschen und der Gesellschaft auf einer weniger differenzierten Stufe der Transzendenzproblematik oder von der Position mehr oder weniger radikaler Immanenz treiben wollen.“

[65] Siehe dazu Dietmar Herz, Die New Science of Politics. Ein Versuch, die politische Wissenschaft im Sinne der platonischen episteme wiederherzustellen, in: Von himmlischer Ordnung und weltlichen Problemen, hrsg. von Mir A. Ferdowsi, Dietmar Herz und Marc Schattenmann, München: Fink, 2002.

[66] Voegelin, Neue Wissenschaft S. 96.

[67] Ebd., S. 106f.

[68] Voegelin, Welt der Polis, II; siehe dazu im Einzelnen auch das NomoiKapitel in Voegelin, Platon, S. 257-314.

[69] Ebd., S. 266.

[70] Vgl. ebd., S. 18.

[71] CW, Vol. 5, Modernity without Restraint. The Political Religions; The New Science of Politics; and Science, Politics and Gnosticism, ed. with an Introduction by Manfred Henningsen, Columbia and London: University of Missouri Press, 2000, S. 12.

[72] Ansätze zu einer solchen Arbeit finden sich in einem Vortrag den Voegelin 1959 nach seiner Ankunft in München hielt, Eric Voegelin, Die geistige und politische Zukunft der westlichen Welt, Occasional Papers, I, hrsg. von Peter J. Opitz, München: Eric-Voegelin-Archiv, 3 2002.

[73] Gregor Sebba, Prelude and Variations on the Theme of Eric Voegelin, in: Eric Voegelin’s Thought. A Critical Appraisal, ed. with an Introduction by Ellis Sandoz, Durham, N.C.: Duke University Press, 1982, S. 21.

[74] Voegelin, Autobiographische Reflexionen, S. 84.

[75] Questionnaire IIF, Hoover Institution, Box 38.21.

[76] CW, Vol. 25, History of Political Ideas, Vol. VII, The New Order and Last Orientation, ed. with an Introduction by Jürgen Gebhardt and Thomas Hollweck, Columbia and London: University of Missouri Press, 1999, S. 199.

[77] CW, Vol. 22, History of Political Ideas, Vol. IV, Renaissance and Reformation, ed. with an Introduction by David L. Morse and William M. Thompson, S. 118. Eine deutsche Übersetzung des Morus-Kapitels findet sich in Eric Voegelin, „Die spielerische Grausamkeit der Humanisten“. Studien zu Niccolò Machiavelli und Thomas Morus. Aus dem Englischen und mit einem Vorwort von Dietmar Herz, München: Fink, 1995, S. 106.

[78] Der ursprüngliche Titel „The People of God – The English Case“ wurde offenbar erst für die Publikation geändert.

[79] Brief vom 20. Mai 1950 von Voegelin an Hans Urs von Balthasar.

[80] Voegelin, Autobiographische Reflexionen, S. 86.

[81] Siehe dazu im einzelnen: Giuliana Parotto, Zum Einfluß von Urs von Balthasar auf Eric Voegelin, Occasional Papers, XXVIII, München: EricVoegelin-Archiv, Februar 2002.

[82] Brief vom 1. Dezember 1950 von Voegelin an Heilman.

[83] Voegelin, Autobiographische Reflexionen, S. 87.

[84] Brief vom 20. November 1950 von Voegelin an Engel-Janosi.

[85] Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 232.

[86] Ebd., S. 233. 

[87] Ebd., S. 158.

[88] Ebd., S. 178f.

[89] Bezeichnenderweise sollte der Schlussband der History mit dem Kapitel „Apostasy“ – Abfall – beginnen, wodurch sich der Text als wichtige Hintergrundlektüre empfiehlt, zumal er auch auf die Vorgeschichte dieses Abfalls näher eingeht.

[90] Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 180.

[91] Ebd., S. 178.

[92] Siehe dazu insbesondere Voegelin, Das Volk Gottes.

[93] Voegelin, Apostasie, S. 43.

[94] Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 191.

[95] Ebd., S. 186.

[96] Conversations with Eric Voegelin, ed. with an Introduction by Eric O´Connor, Thomas More Institute, Papers/76, Perry Printing Limited, 1980, S. 149; siehe dazu ein ähnliches Statement in Voegelins Autobiographischen Reflexionen, S. 87f.; zur Gnosis-These im allgemeinen Thomas Hollweck, Das gnostische Wesen der Moderne, in: Eric Voegelin, Der Gottesmord. Zur Genese und Gestalt der modernen politischen Gnosis, hrsg. und eingeleitet von Peter J. Opitz und mit einem Nachwort von Thomas Hollweck, München: Fink, 1999, S. 144-159.

[97] Questionnaire, IIA.

[98] Brief vom 1. Februar 1951 von Voegelin an seine Frau Lissy; der Brief wurde mir von Frau Voegelin freundlicherweise zugänglich gemacht.

[99] Brief vom 15. April 1950 von Voegelin an die University of Chicago Press.

[100] Brief vom 1. Mai 1951 von Hayden Carruth an Voegelin.

[101] Brief vom 11. Mai 1951 von Voegelin an Engel-Janosi.

[102] Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 11.

[103] Siehe Giambattista Vico – La scienza nuova, in: Eric Voegelin, CW, Vol. 24, History of Political Ideas, Vol. IV, Revolution and the New Science, ed. Barry Cooper, Columbia and London: University of Missouri Press, S.82- 148. Dt.: Giambattista Vico – La Scienza Nuova, hrsg. und mit einem Vorwort von Peter J. Opitz, sowie einem Nachwort von Stephan Otto, Paderborn: Fink, 2003.

[104] Eric Voegelin, The Origins of Scientism, in: Social Research, Vol. 15, No. 4, New York, 1948, S. 462-494. Dt.: Wissenschaft als Aberglaube. Die Ursprünge des Scientizismus, in: Wort und Wahrheit, VI. Jg. Heft 5, Wien: Herder, 1951, S. 341-360.

[105] Siehe dazu Voegelin, Vico, S. 27.

[106] Ebd., S. 112. 

[107] Brief vom 18. Mai 1951 von Voegelin an Allen Moe.

[108] Voegelin, Anamnesis, s.7.

 

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Peter Joachim Opitz

emeritierter Professor für Politikwissenschaft am Geschwister-Scholl-Instituts für Politische Wissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, Herausgeber zahlreicher Werke von und über Eric Voegelin. Er leitet das Eric-Voegelin-Archiv an der Universität München. Er hat sich in seinen Publikationen mit politischer Ideengeschichte, internationalen Beziehungen und vor allem der Geschichte und Gegenwart Chinas befasst. Peter J. Opitz wurde 1989 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.