Hegel: eine Studie über Zauberei

Wenn die Götter aus dem Kosmos vertrieben sind, wird die Welt, die sie hinterlassen haben, langweilig. Im 17. Jahrhundert bezeichnete ennui, von Pascal erforscht, noch die Gemütslage eines Menschen, der den Glauben verloren hatte und sich gegen die Finsternis der Angst durch divertissementsi schützen mußte; nach der Französischen Revolution wurde ennui von Hegel als das Syndrom einer Zeit in der Geschichte erkannt. Es hatte eineinhalb Jahrhunderte gedauert, bis sich die Verlorenheit in einer Welt ohne Gott von einer persönlichen malaise der Existenz zu einer gesellschaftlichen Krankheit entwickelte.[1]

I.                                                                                                                       

Die Langeweile der Welt ist Hegels Symbol für den geistigen Zustand einer Gesellschaft, für die deren Götter gestorben sind. Der Ausdruck erscheint in der sogenannten Fortsetzung des »Systems der Sittlichkeit«, geschrieben zwischen 1804 und 1806, während Hegel an der Phänomenologie arbeitete.[2] Nach dem »System der Sittlichkeit« (ii) ist der Zustand der Langeweile zweimal in der abendländischen Geschichte eingetreten. Einmal in der Antike, im Gefolge der römisch-imperialen Eroberung; und ein zweites Mal in der Moderne, im Gefolge der Reformation. Hegel beschreibt den Zustand der Langeweile in den beiden Fällen wie folgt: (iii)

Die Expansion des Römischen Reichs hatte die freien Staaten der antiken Welt zerstört und mit ihnen die Lebendigkeit ihrer Götter, in denen der Geist objektiv geworden war; mit der lebendigen Individualität ihrer Götter und Kulte hatten die Menschen des Reichs ihre Sittlichkeit verloren; und über ihrer Vereinzelung hatte sich die leere Allgemeinheit der imperialen Herrschaft ausgebreitet. Bei dieser Richtung der Welt auf eine Vereinzelung, die nicht mit dem Geist verbunden ist, und auf eine Allgemeinheit, die es an göttlichem Leben fehlen läßt, mußte sich die „ursprüngliche Identität“ mit ihrer „ewigen Kraft“ erheben, um den „unendlichen Schmerz“ zu überwinden und um in einer neuen Ganzheit zu versöhnen, was entzwei gerissen worden war – oder die Menschheit wäre in sich zugrunde gegangen.[3]

Christus wurde der Stifter einer Religion, weil er das „Leiden seiner ganzen Zeit“ aus der innersten Tiefe heraus auszusprechen vermochte durch die göttliche Kraft des Geistes, durch die absolute Gewißheit der Versöhnung, die er in sich trug, und weil er durch die eigene Zuversicht Zuversicht in anderen erwecken konnte.[4]

Die Versöhnung, die von der „ursprünglichen Identität“ durch die Inkarnation Gottes in einem Menschen erreicht wurde, wurde durch die Kirche bewahrt. Die anfängliche Versöhnung des Geistes mit der Welt durch den „wiedergeweihten Menschen“ wurde sogar erweitert, um Gesellschaft und Natur zu umfassen; Heiligkeit wurde ausgedehnt auf die Herrschergewalt des Monarchen; und in jedem Land hinterließen die Boten Gottes ihre Spuren, so daß jedes eine eigene heilige Geschichte der Versöhnung hatte. Die ganze Welt war zu einem „Tempel des wiedererweckten Lebens“ geworden.[5]

Der große Riß in der neuen Versöhnung wurde durch die Reformation verursacht. Der Protestantismus hat „die Poesie der Weihe“ aufgehoben, indem er das neue Vaterland des Menschen auseinanderriß in die „Innerlichkeit“ des geistigen Lebens und in „ein nicht gestörtes Versenken in die Gemeinheit der empirischen Existenz und der alltäglichen Notwendigkeit“. „Der Sabbath der Welt ist verschwunden, und das Leben ein gemeiner, unheiliger Werkeltag geworden.“[6]

Die „Schönheit und Heiligung“ der vorreformatorischen Welt ist endgültig verlorengegangen; die Geschichte kann nicht zurückgedreht werden; wir müssen vordringen zu einer neuen Religion, die die frühere Versöhnung als eine „fremde Weihe“ versteht und sie ersetzt mittels einer „Weihe“ durch den Geist, der „innerlich“ geworden ist: „Der Geist (muß) sich als Geist in seiner eigenen Gestalt (...) heiligen.“ Die Zerrissenheit wird überwunden werden, wenn „ein freies Volk“ die Kühnheit hat, eine religiöse Gestalt nicht zu empfangen, sondern sie sich selbst „auf eigenem Boden und aus eigener Majestät“zu nehmen. Im Protestantismus hat diese Beziehung zwischen Geist und Welt ihren Durchbruch zum Bewußtsein durch Philosophie erreicht. Die neue Philosophie gibt der „Vernunft ihre Lebendigkeit und (der) Natur ihren Geist zurück“. Die Philosophie, die aus der protestantischen Zerrissenheit hervorgeht, soll dem Katholizismus und dem Protestantismus als die neue, dritte Religion folgen.[7]

Zeiten der Zerrissenheit und der Langeweile geschehen nicht einfach, und neue Religionen werden auch nicht einfach auftauchen. Die ewige Kraft der ursprünglichen Identität wirkt konkret durch solche Menschen wie Christus und Luther. Wenn Philosophie die dritte Religion sein soll, auf den Katholizismus und den Protestantismus folgend, wer wird als der Begründer der neuen Religion Christus und Luther nachfolgen? Vielleicht Hegel?

Die Frage hatte Hegel so tief beunruhigt, daß ihr Druck seine Existenz als Philosoph formte. Um ihre Bedeutung abzuschätzen, wird es angemessen sein, zuerst die verschiedenen Schichten der Frage zu unterscheiden.

(1) Als ein Philosoph im klassischen Sinne wußte Hegel, daß er die Zerrissenheit der Zeit nicht diagnostizieren konnte, ohne sich selbst irgendwie von deren Langeweile auszunehmen. Ein gewisser Grad an Versöhnung mußte in seiner eigenen Existenz realisiert worden sein oder er hätte die Zerrissenheit nicht als solche erkennen können; als ein Philosoph mußte er geistig gesund genug sein, um den geistigen Zustand der Gesellschaft als krank zu diagnostizieren; mehr noch, die Analyse der gesellschaftlichen Krankheit mußte für Hegel, wie für jeden Philosophen, zu der meditativen Tätigkeit werden, durch die der Arzt, der als Kind seiner Zeit geboren wird, zuallererst sich selbst heilt. Nur wenn er durch die Diagnose des ihn umgebenden Übels, und mit Gottes Gnade, zur Einsicht in die Wahrheit seiner Existenz als ein Mensch gelangt ist, kann er für seine Mitmenschen als ein Versöhner und Wiederhersteller von existentieller Ordnung wirksam werden.

(2) Die zweite Schicht wird bezeichnet durch den Spiritualismusiv des inneren Menschen und des inneren Lichts. Den sektiererischen Spiritualistenv des Mittelalters und der Renaissance, den vergöttlichten Menschen und homines novi waren im 18. Jahrhundert die Okkultisten, Visionäre und Schwärmer, die Illuminaten und Theosophen, die Swedenborg, Martinez, Saint-Martin und Cagliostro, die Lavater, Jung-Stilling usw. gefolgt. Beginnend mit der Französischen Revolution senkte sich dann eine Wolke von neuen Christus-Figuren über die Westliche Welt – Saint-Simon, Fourier, Comte, Fichte und Hegel selbst. Die Lebenszeit von Hegel (1770 – 1831) verläuft parallel zu der Periode, die von Auguste Viatte in Les Sources Occultes du Romantisme, 1770 – 1820 (1927;1965) studiert worden ist. Hegels eigene Innerlichkeit steht in fester Beziehung zu Jakob Böhme und den deutschen Pietisten.

(3) Die dritte Schicht ist die imaginative Konstruktion (vi) von Zeitaltern, die es dem Konstrukteur (vii) erlauben wird, den zukünftigen Lauf der Geschichte vorauszusagen. Mittels dieser Konstruktion kann der Konstrukteur den Sinn der Existenz verändern: vom Leben in der Gegenwart unter Gott, mit seinen persönlichen und gesellschaftlichen Alltagszwängen, zur Rolle eines Funktionärs der Geschichte; die Realität der Existenz wird verdunkelt und durch die zweite Realität (viii) des imaginativen Projekts ersetzt werden. Um diesen Zweck zu erfüllen, muß das Projekt zuerst die unbekannte Zukunft durch das Bild einer bekannten Zukunft verdunkeln; ferner muß es die Konstruktion der Zeitalter ausstatten mit der Gewißheit einer Wissenschaft – einer „Wissenschaftslehre“, eines „Systems der Wissenschaft“, einer „positiven Philosophie“, eines „Wissenschaftlichen Sozialismus“; und schließlich muß es das zukünftige Zeitalter auf eine solche Weise konzipieren, daß der gegenwärtige Konstrukteur zu dessen Inaugurator und Meister wird. Die Absicht, in der Rolle des Meisters einen Sinn der Existenz mit Gewißheit sicherzustellen, verrät als Motive der Konstruktion existentielle Unsicherheit, Angst und libido dominandi des Konstrukteurs. Das ist Größenwahn in großem Ausmaß. Dennoch haben die Messias-Figuren des frühen 19. Jahrhunderts einen so tiefen Eindruck auf die sogenannte Moderne hinterlassen, daß wir uns an ihren Wahnsinn gewöhnt haben; unsere Sensibilität für das Element der Groteske in ihrem Unternehmen ist abgestumpft worden. Um sie etwas zu schärfen, stellen wir uns einen Jesus vor, der umherrennt und jedermann die gute Nachricht ankündigt, er sei der Mensch, mit dem das Zeitalter von Christus anheben würde – so wie Comte urbi et orbi ankündigte, mit der Vollendung seines Werkes 1854 hätte das Zeitalter von Comte begonnen.

Die Wechselwirkung der drei Schichten in der Existenz Hegels macht ihn zu einem charakteristisch modernen Denker. Da ist ein empfindsamer Philosoph und Spiritualist, ein noetisch und pneumatisch kompetenter Kritiker der Zeit, eine intellektuelle Kraft ersten Ranges, und dennoch kann er nicht ganz die Gestalt seines wahren Selbst als ein Mensch unter Gott erreichen. Aus dem Dunkel dieser existentiellen Unzulänglichkeit steigt nun die libido dominandi auf und nötigt ihn zu der imaginativen Konstruktion eines falschen Selbst als der Messias der neuen Zeit. Die Wechselwirkung der drei Schichten kann also nicht auf eine einfache Formel gebracht werden. Richtig ist: In der Konstruktion des Systems ist zwar die zweite Realität der dritten Schicht tonangebend und deformiert die Existenz des Philosophen und Pneumatikers schwer. Aber Hegel konstruiert nicht immer sein System. Er vermag brillante Common-Sense-Studien über Politik zu schreiben ebenso wie Essays, die ihn als einen Meister der deutschen Sprache und als einen großen Mann der Literatur zeigen. Überdies enthalten die systematischen Arbeiten ihrerseits exzellente philosophische und historische Analysen, die für sich selbst sprechen – in ihrer Integrität unberührt von dem System, in das sie eingebaut sind. Die Modernität Hegels kann daher charakterisiert werden als die Koexistenz von zwei Selbsts; als eine Existenz, geteilt in ein wahres und ein falsches Selbst, dabei beide in einem solchen Gleichgewicht haltend, daß weder das eine noch das andere jemals völlig dominiert. Weder wird das wahre Selbst stark genug, um das Systém zu zerbrechen, noch wird das falsche Selbst stark genug, um Hegel in einen mörderischen Revolutionär oder in einen psychiatrischen Fall zu verwandeln.[8]

                                                                                                                                                                      

II.

Die Existenz eines modernen Menschen ist kompliziert. In der Sprache Pascals ist Hegels System der Wissenschaft ein divertissement. Der Philosoph, der die Krankheit der Gesellschaft heilen möchte, ist nicht fähig, die Wahrheit über die eigene Existenz zu erlangen. Stattdessen entwickelt er eine weitere Zerrissenheit zwischen der philosophischen Absicht seines wahren Selbst und dem gegenwärtigen Streben des falschen Selbst und seiner Rolle in dem imaginativen Projekt der Geschichte. Auf diese Weise wird in der Existenz des Philosophen eine zweite Zerrissenheit auf die erste gelagert, die er korrekt als die geistige Krankheit der Gesellschaft diagnostiziert hat.

Das Ergebnis ist das verwickelte Gefüge von Beziehungen zwischen den zwei Geschichten der Zerrissenheit, und dieses Gefüge zerfällt in unserer Zeit in gewaltsame soziale und persönliche Katastrophen– ohne die erlösende Katharsis der Tragödie. Soweit die Gesellschaft betroffen ist, wird die spirituell sensitive Revolte gegen deren unbefriedigenden Zustand von existentiell unzulänglichen Menschen durchgeführt, die selbst, als eine neue Quelle der Unordnung, zu Störungen beitragen, die ohne sie schon schlimm genug sind. Soweit die Rebellen betroffen sind, ist die Rolle, die sie sich selbst übertragen, nicht leicht zu spielen; und selten nehmen sie deren Bürde mit einer solchen Gewissenhaftigkeit auf sich wie Hegel.

Aufgrund seiner Gewissenhaftigkeit als Denker erlangt Hegels Fall die Qualität eines Paradigmas für die Wechselfälle der vielfachen existentiellen Spannungen, die wir modern nennen. Als Philosoph ist Hegel gebunden durch die Tradition des Philosophierens von der Antike bis zur Gegenwart, die er ausgezeichnet kennt. Von der Existenz eines Philosophen würde Hegel jedoch enttäuscht sein; denn Philosophen, auch die von höchstem Rang, sind nicht die historischen Figuren, die ihre Signatur den Jahrtausenden auftragen; schließlich leben wir in dem Zeitalter von Christus, nicht in dem Zeitalter von Platon. Daher muß Philosophie als „Religion“ verkleidet werden, um einer libido dominandi Genüge zu leisten, die durch die Existenz des Philosophen nicht befriedigt werden kann. In Hegels früherer Vorstellung ist Philosophie ein Bewußtseinszustand, der reflektivix als eine „dritte Religion“ aus dem Protestantismus hervorgeht; in seiner späteren Vorstellung absorbiert sie „Religion“ in sich selbst. Philosophie wird die letzte Offenbarung der neuen „ursprünglichen Identität“, und der alte Gott der Offenbarung wird endgültig für tot erklärt. Um diese strategischen Bedeutungswechsel zu legitimieren, muß Hegel also ein imaginatives Projekt einer immanenten Geschichte entwickeln, mit einer Konstruktion von Zeitaltern, die ein letztes Zeitalter enthalten wird, das durch ihn selbst eingeführt werden wird. Diese immanentistische Apokalypse, geboren aus der libido dominandi des Denkers, hat den Zweck, das Mysterium des Sinns in der Geschichte, ausgedrückt durch die christliche Symbolik eschatologischer Ereignisse, zu verdunkeln. Daß die Konstruktion durch einen Ausbruch libidinöser Phantasie entstanden ist, darf jedoch nicht zugegeben werden; das wahre Selbst des Philosophen in Hegel ist viel zu stark, um die Imaginationx als eine Quelle von Wahrheit, die der Vernunft überlegen ist, auf den Thron zu setzen, so wie es von André Breton und den surrealistischen jungen Revolutionären in unserer Zeit getan wird. Im Gegenteil, das libidinöse Aroma, das der Konstruktion anhaftet und deren legitimierende Funktion bedroht, muß doppelt verborgen werden: Die neue Philosophie wird nicht wie die alte als bloße Liebe zur Weisheit erklärt, sondern als ein endgültiger Besitz von Wissen; und dieses Wissen wird ferner erhöht durch das neue Symbol »Wissenschaft«, das, in der Folge Newtons, begann, seinen eigentümlich modernen Zauber zu erlangen. Und schließlich müssen, soll die imaginative Geschichte nicht mit der historischen Realität kollidieren, Ereignisse in der zeitgenössischen Geschichte gefunden werden, die so vielversprechend aussehen wie die Woge der Zukunft, deren Messias der Philosoph werden will. Wenn er nicht von der Gesellschaft ausgelacht werden will als ein Schwärmer oder als ein Spinner, muß der Philosoph seine messianischen Ambitionen an eine ziemlich erfolgreich aussehende politische Kraft seiner Zeit binden.

Ich werde nun den beschwerlichen Pfad, den Hegel durch dieses Gefüge der Existenz windet, anhand einiger seiner Erfahrungsberichte dokumentieren. Das große Ereignis, das den jungen Mann von 20 als das Tor zu einem neuen Zeitalter beeindruckte, war die Französische Revolution. Vierzig Jahre später, in der Philosophie der Geschichte, erinnert sich der alte Hegel an den Eindruck und ihr Wesen:

„Solange die Sonne am Firmamente steht und die Planeten um sie herumkreisen, war das nicht gesehen worden, daß der Mensch sich auf den Kopf, das ist, auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach diesem erbaut. Anaxagoras hatte zuerst gesagt, daß der nous die Welt regiert; nun aber erst ist der Mensch dazu gekommen, zu erkennen, daß der Gedanke die geistige Wirklichkeit regieren solle. Es war dieses somit ein herrlicher Sonnenaufgang. Alle denkenden Wesen haben diese Epoche mitgefeiert. Eine erhabene Rührung hat in jener Zeit geherrscht, ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt durchschauert, als sei es zur wirklichen Versöhnung des Göttlichen mit der Welt nun erst gekommen.“[9]

Hegels Äußerung ist zu diesem späten Zeitpunkt liturgisch geworden – die sprachlichen Symbole werden mit den Bedeutungen gebraucht, die sie im Laufe seiner Arbeit eines ganzen Lebens erworben haben.

In dem Gedanken und dem Geist, die sich in der Revolution gegenseitig durchdringen, erkennen wir die „Philosophie“ und die „Religion“, die Hegel in seine „Wissenschaft“ vom Absoluten Wissen absorbiert hat; und das Verhältnis von Gedanke und Geist zu dem nous bei Anaxagoras ist ohne seine imaginative Konstruktion der Geschichte nicht verständlich. In den Jahren um 1790 herum hätte Hegel die Erfahrung wahrscheinlich nicht in der Sprache der Textstelle artikuliert, die nach der Juli-Revolution von 1830 geschrieben (oder gesprochen) wurde. Nichtsdestoweniger gibt es keinen Grund, die Gültigkeit der Darstellung anzuzweifeln. Die Einwirkung der Revolution war in der Tat die Erfahrung, die Hegels Existenz grundlegend formte. Die Tatsache, daß er die Erfahrung gegen Ende seines Lebens noch als gültig annehmen konnte und nicht als jugendliche Verirrung verwerfen mußte, daß er sie gerade in den Symbolen ausdrücken konnte, die er in dem existentiellen Prozeß entwickelt hatte, der von ihr ausgegangen war, ist der beste Beweis für die Authentizität der Darstellung. Die herkömmlichen Überlegungen zur Stellung Hegels als der Philosoph der Aufklärung oder als der letzte christliche Philosoph oder als der reaktionäre Verherrlicher des preußischen Staates werden unbedeutend in dem Licht seiner Selbsterklärung als der Philosoph der Französischen Revolution.

Näher an einer ursprünglichen Artikulierung der Erfahrung sind die Seiten aus der Fortsetzung des »Systems der Sittlichkeit«, aus der ich vorher zitiert habe. Dort spricht Hegel von der Vernunft, die „ihre Realität als einen sittlichen Geist wiedergefunden“ hat; von dem Geist, der sich nun wieder „als Geist in eigener Gestalt (...) heiligen“ kann; vom Protestantismus, der „die fremde Weihe“ ausgezogen hat – es unklar lassend, ob das „fremde“ sich auf ein ultramontanes Papsttum oder eine supramundane Gottheit bezieht; und von dem „freien Volk“, das sich „aus eigener Majestät (...) seine religiöse Gestalt“ geben wird.[10] Die Akzente fallen somit auf ein Unternehmen der Selbsterlösung, mit Untertönen von einer „nördliche […] Subjektivität“, die allein zu der Tat imstande ist.[11] Die Textstellen haben bereits den Beigeschmack von Nietzsches Rat an den modernen Menschen, sich selbst zu erlösen, indem er die Gnade auf sich selbst ausweitet, anstatt auf einen göttlichen Erlöser durch die Gnade Gottes zu warten. Die neue Freiheit und der Aktivismus der Selbsterlösung werden von Hegel als der Kern der Bedeutung in den großen Ereignissen erfahren, die die Welt erschütterten.

Eine störend unbefriedigende Situation – denn Hegel hatte die Französische Revolution nicht selbst in Gang gebracht, und die Schlachten der Napoleonischen Kriege tobten um ihn herum, während sein eigenes Dasein als Dozent in Jena deutlich nichtkämpferisch war. Es beunruhigte ihn in diesen Tagen die Frage, wie ein Philosoph an der Bedeutung der blutigen Ereignisse teilhaben konnte, die für ihn die allein bedeutsame Realität in der Welt waren. Rosenkranz berichtet über seine Antwort auf der Grundlage des originalen »Systems der Sittlichkeit«. Philosophie ist für ein Volk als die ideale Ergänzung des Krieges notwendig. Genauer:

„Die absolute Arbeit sei allein der Tod, weil er die bestimmte Einzelheit aufhebe, weshalb die Tapferkeit im Staat das absolute Opfer bringe. Da nun aber für die, welche kämpfend nicht sterben, die Erniedrigung bleibt, nichtgestor - benzusein und den Selbstgenuß ihrer Einzelheit zu haben, so bleibt nur die Spekulation als das absolute Erkennender Wahrheit die Form, in welcher das einfache Bewußtsein des Unendlichen ohne die Bestimmtheit des individuellen selbständigen Lebens möglich (ist).“[12]

Man darf diese Textstelle nicht abwerten, indem man das schlechte Gewissen des Nichtkämpfers psychologisiert. Hegel ist es mit der Äquivalenz des Todes in der Schlacht und der Philosophie ernst – vorausgesetzt, die Gefechte werden geführt, um ein „freies Volk“ zu gründen und der spekulative Prozeß endet in „absoluter Erkenntnis“. Um seine Gestalt zu erreichen, benötigt das „freie Volk“ sowohl das höchste Opfer als auch den absoluten Geist. Hegels Philosophie ist nicht die sokratische Praxis des Sterbens – sie ist das Äquivalent zum Tod auf dem Schlachtfeld der Revolution.

Derartig zu philosophieren, daß das Werk des Philosophen selbst sich bedeutsam in den Prozeß der Geschichte einfügt, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Glücklicherweise besitzen wir Hegels eigenen Text bezüglich seiner Überlegung zu diesem Punkt:

„Jeder Einzelne ist ein blindes Glied in der Kette der absoluten Notwendigkeit, an der sich die Welt fortbildet. Jeder Einzelne kann sich zur Herrschaft über eine größere Länge dieser Kette allein erheben, wenn er erkennt, wohin die Notwendigkeit will, und aus dieser Erkenntnis die Zauberworte aussprechen lernt, die ihre Gestalt hervorrufen.“[13]

Diese Textstelle enthüllt den starken Widerwillen Hegels wie auch dessen Ursache. Es ist eine Schlüsselstelle für das Verständnis der modernen Existenz. Der Mensch ist zu einem Nichts geworden; er selber besitzt keine eigenständige Realität; er ist ein blindes Teilchen in einem Prozeß der Welt, der das Monopol auf die wirkliche Realität und die wirkliche Bedeutung besitzt. Um sich selbst vom Nichts zum Etwas zu erheben, muß das blinde Teilchen zu einem sehenden Teilchen werden. Aber auch wenn das Teilchen Sehvermögen gewonnen hat, sieht es nichts außer der Richtung, in der der Prozeß sich bewegt, ob durch das Teilchen beobachtet oder nicht. Und dennoch ist für Hegel etwas Wichtiges gewonnen worden: Das Nichts, das sich zu einem Etwas erhoben hat, ist, wenn nicht ein Mensch, so doch wenigstens ein Zauberer geworden, der, wenn schon nicht die Realität der Geschichte, so doch ihre Gestalt hervorrufen kann. Ich zögere fast fortzufahren – der Anblick eines Nihilisten, der sich völlig entblößt hat, ist peinlich. Denn Hegel verrät in so vielen Wendungen, daß es ihm nicht reicht, ein Mensch zu sein; und da er nicht selbst der göttliche Gebieter der Geschichte sein kann, geht er dazu über, Herrschaft zu erlangen als der Zauberer, der ein Bild der Geschichte – eine Form, einen Geist – heraufbeschwören wird, das die Geschichte von Gottes Schöpfung verdunkeln soll. Das imaginative Projekt der Geschichte nimmt als Machtinstrument des Zauberers seinen Platz im Gefüge der modernen Existenz ein. Hegel beschließt seine Überlegung mit der Feststellung:

„Diese Erkenntnis, die ganze Energie des Leidens und des Gegensatzes, der ein paar tausend Jahre die Welt und alle Formen ihrer Ausbildung beherrscht hat, zugleich in sich zu schließen und sich über ihn zu erheben, diese Erkenntnis vermag nur Philosophie zu geben.“[14]

„Diese Erkenntnis“, so erinnern wir uns, ist die Erkenntnis, aus der ihr Besitzer die „Zauberworte“ lernen kann, die die Gestalt der künftigen Dinge hervorrufen werden. Hinsichtlich ihrer Inhalte muß „diese Erkenntnis“ das allumfassende Buch der Leiden und der Konflikte im Weltprozeß sein, denn nur wenn es allumfassend ist, kann der Besitzer „dieser Erkenntnis“ sich über die Leiden und die Konflikte der Welt erheben. Das Thema von Zerrissenheit und Versöhnung wird wiederaufgenommen. Die allumfassende Erkenntnis muß erlangt werden, um dem Weltprozeß, diesem Alptraum von Leiden und Konflikten, ein Ende zu machen und das Zeitalter der Versöhnung einzuführen. Durch Hegels Programm wird in der Tat eine Gestalt hervorgerufen: die Gestalt des Christus, der die Konflikte und die Leiden dieser Welt auf seine Schultern nimmt und dadurch ihr Erlöser wird. Diese erlösende Erkenntnis ist die Erkenntnis, die nur Philosophie zu geben vermag. „Philosophie“ wird zum grimoirexi des Magiers, der für jedermann die Gestalt der Versöhnung hervorrufen wird, die er für sich selbst, in der Wirklichkeit seines Daseins, nicht erreichen kann.

III.

Hegel hat sein Projekt durchgeführt. 1807 veröffentlichte er sein grimoire unter dem Titel System der Wissenschaft. Erster Theil, die Phänomenologie des Geistes.[15] Die Form und die Sprache des Werkes spiegeln die Komplexität der modernen Existenz wieder, deren Darstellung sein Zweck ist. Als eine Gattung philosophischer Literatur ist die Phänomenologie eine Abhandlung über Aletheia, über Wahrheit und Wirklichkeit – und in der Tat eine sehr bedeutende; kein Philosoph kann es sich leisten, sie zu ignorieren. Nichtsdestoweniger lastet die Zerrissenheit von Hegels Existenz in das wahre Selbst des Philosophen und in das falsche Selbst des messianischen Zauberers auf dem Werk, so daß dessen philosophische Vorzüge dem anti-philosophischen Ziel untergeordnet werden, dem Ziel, Philosophie schließlich in den Stand zu setzen, „ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu können und wirkliches Wissen zu sein“.[16]

Kein moderner Propaganda-Minister hätte eine harmloser klingende, überzeugend fortschrittliche Formulierung als einen Schleier für die Ungeheuerlichkeit ersinnen können, die hinter ihm abgewickelt wird. Denn Philosophie, auch wenn deren Einsichten fortschreiten können, kann nicht über ihre Struktur als „Liebe zur Weisheit“ hinaus vordringen. In Platons Auslegung des „Namens“ bezeichnet Philosophie die erotische Spannung des Menschen zu dem göttlichen Grund seiner Existenz. Gott allein besitzt sophia, das „wirkliche Wissen“; der Mensch findet die Wahrheit über Gott und die Welt ebenso wie über seine eigene Existenz, indem er zum philosophos wird, zum Liebhaber Gottes und seiner Weisheit. Die Erotik des Philosophen schließt die Humanitätxii des Menschen und die Divinität Gottes als die Pole seiner existentiellen Spannung ein. Die Praxis der Philosophie im sokratisch-platonischen Sinne ist das Äquivalent zur christlichen Heiligung des Menschen, sie ist das Wachsen des Bildes von Gott im Menschen. Hegels harmlos klingende Wendung verdeckt somit das Programm, des Menschsein des Menschen aufzuheben; Gottes sophia kann in den Einflußbereich des Menschen nur gebracht werden, indem man den Menschen in Gott verwandelt. Das Ziel der Phänomenologie ist die Schöpfung des Gottmenschen.

Die technischen Schwierigkeiten, die Hegel zu überwinden hat, um sein Ziel zu erreichen, während er tarnt, was er tut, sind gewaltig. Mehr über sie sogleich. Das Konstruktionsprinzip der Phänomenologie ist jedoch so einfach, daß es nicht unfair sein wird, es als Taschenspielerei zu bezeichnen. Da es sich auch für das schöpferische Genie eines Hegel als unmöglich erweisen würde, den wirklichen Gott und den wirklichen Menschen durch die Maschinerie der Dialektik zu drehen und mit einem Gottmenschen herauszukommen, gewährt er einfach ohne Umscheife weder Gott noch dem Menschen den Realitätsstatus zu. Die Phänomenologie läßt keine Realität zu außer Bewußtsein. Ihre Phänomene reichen von dem Bewußtsein der Sinneswahrnehmung (I–III) und dem Selbstbewußtsein (IV), über die Vernunft (V), den Geist (VI) und die Religion (VII), bis zum absoluten Wissen (VIII). Da Bewußtsein irgend jemandes Bewußtsein von irgend etwas sein muß, und weder Gott noch Mensch als irgend jemand oder irgend etwas zugelassen sind, muß das Bewußtsein ein Bewußtsein seiner selbst sein. Seine absolute Realität wird deshalb angemessen definiert als „die Identität der Identität und NichtIdentität“. Die Substanz wird das Subjekt, und das Subjekt wird die Substanz, in dem Prozeß eines Bewußtseins, das sich selbst immanent ist. Selbstverständlich legt Hegel sein Prinzip der Konstruktion nicht so nackt dar, wie ich es jetzt getan habe – das Unternehmen seines grimoire wäre selbstvernichtend. Der Leser würde mit Recht fragen, was ein Bewußtsein, das niemandes Bewußtsein ist, vielleicht sein könnte? Und dürfte er nicht mißtrauisch werden, wenn er überhaupt keine Antwort erhält oder mehr oder weniger höflich mit dem Hinweis abgespeist wird, daß es sein Fehler sei, wenn er nicht versteht, was glasklar ist? Nein, die Phänomenologie hat 564 Seiten; und sie erstreckt sich mit einer unglaublichen Fülle von Beobachtungen über solche Phänomene wie das Verhältnis von Herr und Knecht; Stoizismus, Skeptizismus, das unglückliche Bewußtsein; existentielle Haltungen wie die des Hedonisten und des Moralisten; apolitischer und politischer Mensch, revolutionärer und loyaler Staatsbürger; klassische Tragödie und christliche Religion; Entfremdung, Erziehung, Glauben, Intellektualismus; Aufklärung, Aberglaube, Freiheit und Schrecken; die Französische Revolution und das Napoleonische Reich. In Hegels Konstruktion bedeuten all diese Phänomene Stufen in dem dialektischen Prozeß des immanenten Bewußtseins auf sein Ziel des „absoluten Wissens“ zu. Doch der seinen common-sense Angewohnheiten verhaftete Leser wird die häufig brillanten Beobachtungen als die Reflexionen eines Philosophen über Phänomene in der realen Welt der persönlichen Existenz in Gesellschaft und Geschichte auffassen. Die Phänomenologie ist divertissement in dem prägnanten Sinne eines imaginativen Spiels, meisterhaft erdacht und so nah an der Realität, daß der aufgeregte Zuschauer vergessen mag, daß das, was er sieht, lediglich als ein Spiel ist.

Die Zweideutigkeit des Spiels muß, um eine nutzlose Debatte zu vermeiden, isoliert und erkannt werden als eine Struktur in der Phänomenologie. Man kann sich auf das Bewußtsein, das in einem leeren Raum schwebt, als das Prinzip der Konstruktion konzentrieren und die Phänomenologie als Unsinn abtun. Man kann sich auf die Studien über aufgeklärte Intellektuelle konzentrieren, über reduktionistische Psychologie oder über gewalttätige Massen und Hegel als einen tiefgründigen Analytiker existentieller Verirrungen bewundern. Beide Seiten können gut verteidigt werden; und dennoch würde die Beweisführung das Spiel übersehen, bei dem die erste Realität der Erfahrung durch die zweite Realität der imaginativen Konstruktion ersetzt und die imaginäre Realität mit dem Anschein der Wahrheit ausgestattet wird, indem man sie Bruchstücke der ersten Realität absorbieren läßt. Darüber hinaus wird das Spiel von einem Meister gespielt, dessen imperatorischer Verstand in der Tat derartig gewaltige Mengen historischen Materials in seine Konstruktion einzuordnen vermag, daß auch der nicht ganz arglose Leser gut genug unterhalten werden mag, so daß er die Lücken und Unstimmigkeiten übersieht und glaubt, daß das scheinbare Ziel der Verwandlung der Liebe zur Weisheit in ein System der Wissenschaft erreichbar sei. Hegels Geschicklichkeit, einen Ausdruck zu prägen, der eine existentielle Ungeheuerlichkeit verkleidet, kann es mit seiner Fähigkeit aufnehmen, der Täuschung zum Erfolg zu verhelfen. Die Zweideutigkeit des Spiels, dessen Geschicklichkeit und Prägnanz, muß als ein Phänomen in seiner Eigengesetzlichkeit erkannt werden – ein Phänomen, das nicht zwischen den Phänomenen der Phänomenologie auftaucht, aber das durch sie gründlich eingeführt worden ist als der Prototyp des großen Schwindels, der vom modernen Menschen in seiner zerrissenen Existenz unter solchen Titeln wie Werbung, Propaganda, Kommunikation und, umfassend, als ideologische Politik zum Ausdruck kommt.

Die Struktur des Spiels muß isoliert und erkannt werden, aber sie darf nicht aus dem Kontext des grimoire gerissen werden. Hegel will nicht Spiele um ihrer selbst willen spielen, er will die Zauberworte finden, die ihm die Macht über die Realität geben werden. Und in seinem Kontext ist das Spiel nicht die unterhaltsame Flucht aus der Realität, als welche es dem kritischen Leser erscheint, sondern das notwendige Mittel zu dem Ziel, das „wirkliche Wissen“ einzuführen, das Hegel befähigen wird, die Gestalt der Zukunft hervorzurufen. Weil dies nicht in der Realität erreicht werden kann, sondern nur in einem Akt metastatischer Imagination (xiii) und die Metaphorik des Aktes in sich selbst folgerichtig sein muß, muß die Geschichte in den dialektischen Prozeß eines Bewußtseins verwandelt werden, das zu seiner reflektiven Vollendung in dem metastatischen „Bewußtsein“, das in der Leere von Hegels Imagination schwebt, gelangen wird. Um die Kette zu durchbrechen, an die gebunden zu sein er sich einbildet, muß Hegel die Geschichte mit der imaginären Kette des dialektischen Prozesses verbinden. Die Metastase des Liebhabers der Weisheit in den Besitzer von Wissen erfordert die Metastase der Geschichte in die Dialektik der Phänomenologie.

Die Konstruktion eines grimoire ist eine gewaltsame Zerstörung der Realität. In der historischen Realität ist die Wahrheit des Philosophen die Exegese seiner Erfahrung: Ein wirklicher Mensch partizipiert an der Realität Gottes und der Welt, der Gesellschaft und seiner selbst und artikuliert seine Erfahrungen durch mehr oder weniger angemessene sprachliche Symbole. Wie kompakt, unvollständig und weiterer Überarbeitung bedürftig seine Erfahrung und Symbolisierung der Realität aber auch immer sein mag, sie besitzt ihre Würde als ein Bild eines wirklichen Menschen von der göttlichen Realität des Kosmos, der ihn umgibt und umfängt. Ferner weiß der Philosoph, daß seine eigene, noetisch geprüfte Erfahrung der Partizipation, obwohl sie differenziertere Einsichten in die Wahrheit der Realität erreicht, als sie in dem kompakteren Medium des Mythos möglich sind, dieselbe Erfahrung der Partizipation an derselben Realität ist, die die weniger noetisch geprüften Symboliken hervorgebracht hat.

Wie bedeutend sein Fortschritt an Einsicht auch sein mag, als Mensch ist er so weit von oder so nahe bei der göttlichen sophia wie sein mythopoetischer Vorgänger; Fortschritte an Einsicht können das Verständnis des Menschen von seiner menschlichen Natur schärfen, aber sie heben nicht seine conditio humana auf. Wie weit sie sich auch immer hinsichtlich des historischen Standes ihrer Einsicht unterscheiden mögen – der philomythos und der philosophos, der Gläubige an die Erlösung durch Christus, der antike Gnostiker, der mittelalterliche Alchimist und der moderne Zauberer: Sie alle sind gleichwertig hinsichtlich der Äquidistanz ihrer menschlichen Natur von Gott. Die Äquivalenz der Symboliken als der Ausdruck der Suche des Menschen nach Wahrheit über sich und den Grund seiner Existenz ist das Prinzip, eingeführt durch Aristoteles, das die Untersuchung des Philosophen bezüglich der historischen Vielfalt von erfahrener und symbolisierter Wahrheit leitet.[17]

Sich einzubilden, daß die Suche nach Wahrheit nicht das Wesen der menschlichen Natur sei, sondern eine historische Unvollkommenheit von Wissen, die überwunden werden muß – in der Geschichte, durch vollkommenes Wissen, das die Suche beenden wird –, ist ein Angriff auf das Bewußtsein des Menschen von seiner Existenz unter Gott. Es ist ein Angriff auf die Würde des Menschen. Das ist der Angriff, den Hegel unternimmt, wenn er das konkrete Bewußtsein des konkreten Menschen durch das imaginäre „Bewußtsein“ ersetzt, das seinen dialektischen Weg in der Zeit zum absoluten Bewußtsein des Selbsts in seinem System durchläuft. Er stützt die Konstruktion, indem er den Symbolen Geist, Geschichte, Zeit, Raum und Welt ein geschlossenes Netzwerk von Beziehungen auferlegt. Es gibt keine Geschichte, bevor der Geist anfängt, sich in den asiatischen Reichen Chinas, Indiens und Persiens in Bewegung zu setzen; es wird keine Geschichte geben, nachdem der Geist zu seinem Selbstbewußtsein in dem Napoleonischen Reich und in Hegels System der Wissenschaft gekommen ist. „Diese letzte Gestalt des Geistes“ gibt „seinem vollständigen und wahren Inhalte zugleich die Form des Selbsts“. „Der Geist in diesem Elemente dem Bewußtsein erscheinend, oder was hier dasselbe ist, darin von ihm hervorgebracht, ist die Wissenschaft (...), ist das absolute Wissen.“[18] Bevor jedoch der Geist seine „Begriffsgestalt“ erreicht hat, besitzt er bereits ein „Dasein“ als „der Grund und Begriff in seiner noch unbewegten Einfachheit, also die Innerlichkeit oder das Selbst des Geistes, das noch nicht da ist“. Es gibt eine Erfahrung und ein Wissen von dem Geist als Substanz, d.h. als „gefühlte Wahrheit, als innerlich geoffenbartes Ewiges, als geglaubtes Heiliges, oder welche Ausdrücke sonst gebraucht werden“.[19]

Aber diese Erfahrung von dem Geist als Substanz durch „Religion“ hat eher den Charakter der Verborgenheit als den der Offenbarkeit, weil die Substanz noch nicht völlig als ein Moment in dem dialektischen Prozeß geoffenbart wird, als welches sie erst rückschauend, von dem Standpunkt eines erreichten absoluten Wissens, geoffenbart werden kann. Diese Bewegung des Geistes – von seiner verborgenen Begriffsgestalt als Substanz zu seiner geoffenbarten Begriffsgestalt in dem reflektiven Bewußtsein des absoluten Wissens – ist der Inhalt des dialektischen Prozesses. Der imaginäre Prozeß des imaginären „Bewußtseins“ muß folglich gegen die Realität der Geschichte abgeschirmt werden, indem die Zeit in eine innere Dimension der Dialektik verwandelt wird. „Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist und als leere Anschauung sich dem Bewußtsein vorstellt; deswegen erscheint der Geist notwendig in der Zeit, und er erscheint so lange in der Zeit, als er nicht seinen reinen Begriff erfaßt, d.h. nicht die Zeit tilgt.“ Die Zeit „ist das äußere angeschaute vom Selbst nicht erfaßte reine Selbst“. Der Begriff, indem er sich selbst erfaßt, „hebt (...) seine Zeitform auf. (...) Die Zeit erscheint daher als das Schicksal und die Notwendigkeit des Geistes, der nicht in sich vollendet ist“.[20] Und er kann seine Vollendung als „selbstbewußter Geist“ nicht erreichen, bevor er nicht seinen Weg als „Weltgeist“ durchlaufen hat. „Die Bewegung, die Form seines Wissens von sich hervorzutreiben, ist die Arbeit, die er als wirkliche Geschichte vollbringt.“[21] Die Bedeutung der Konstruktion wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Hegel auf die Zeit des Geistes in der Geschichte das Argument anwendet, das Platon und Augustinus auf die Zeit der Welt anwendeten: Zeit ist eine der Realität der Welt innerliche Dimension; es gibt keine Zeit, in der Gott die Welt schuf; es gibt keine Zeit vor der Zeit. Hegels „wirkliche Geschichte“ des Geistes ist die Geschichte einer Welt mit einer inneren Zeitdimension. Ihr Anfang und ihr Ende liegen vor dem Gott, der sie schuf; es gab keine Zeit vor der Zeit, die von Hegel zu ihrem Anfang festgesetzt worden ist; und es wird keine Zeit geben, nachdem die Zeitform von Hegel aufgehoben worden ist durch sein System. Hegel ist das Alpha und das Omega der „wirklichen Geschichte“.

Nur ein Meister philosophischer Technik konnte die gerade analysierte Konstruktion von „Bewußtsein“ ersonnen haben; aber nochmals, kein Philosoph würde sich jemals eine derartige Konstruktion erlauben. Der Autor der Phänomenologie leidet so schwer an dem existentiellen Konflikt zwischen seinen zwei Selbsts, daß es fast keinen Sinn macht, zu fragen, was Hegel wirklich meinte. Der Interpret muß auf der Hut sein vor den Spielen des geteilten Selbst. Er muß Hegel in Anführungszeichen setzen, weil kein Urteil hinsichtlich „Hegels“ Absichten gültig sein kann, wenn es nicht die verwickelten Bewegungen von seinen Selbsts in Betracht zieht. In dem vorhergehenden Absatz zum Beispiel habe ich Hegels Konstruktion unmißverständlich als einen Angriff auf die Würde des Menschen charakterisiert. Aber ist sie das wirklich?

Wenn wir uns selbst innerhalb der Konstruktion aufstellen, ereignet sich kein Angriff auf den Menschen und seine Würde, weil „Hegel“ das Bewußtsein des wirklichen Menschen von seiner imaginativen Konstruktion von „Bewußtsein“ ausschließt. Die Bewegung der dialektischen Erkenntnis „ist der in sich zurückgehende Kreis, der seinen Anfang voraussetzt und ihn nur im Ende erreicht“.[22]

Hat man erst ein mal den magischen Kreis betreten, den der Zauberer um sich herum gezogen hat, so ist man verloren.[23] Und dennoch ereignet sich der Angriff auf die Würde des Menschen wirklich, weil „Hegel“ seine Konstruktion nicht als ein privates Vergnügen beabsichtigt, sondern als eine in hohem Maße öffentliche Verkündung der „wissenschaftlichen“ Wahrheit über die Realität des Menschen in Gesellschaft und Geschichte. Man kann den „Hegel“ der Konstruktion nicht einfach als einen verschrobenen Phantasten abtun, weil es den anderen „Hegel“ gibt, der meint, daß seine Konstruktion eine Abhandlung über Aletheia sei. Und dann gibt es den dritten „Hegel“, der die anderen zwei umfaßt, den mächtigen Zauberer, der sein opus einer „Zeit“ auferlegt, die allzu bereit ist, den Weg aus ihrer Zerrissenheit durch Zauberei zu finden.

Auf das Spiel der zwei Selbsts muß mit besonderer Sorgfalt achtgegeben werden, will man „Hegels“ Erklärung verstehen, daß Gott tot sei. Wie durch die jüngste Erneuerungswelle der Gott-ist-tot Bewegung bezeugt, ist die Streitfrage noch immer lebendig; und sie könnte schwerlich lebendig sein, wenn ihre süchtigen Anhänger sich jemals der zugegeben unangenehmen Disziplin unterzogen hätten, Hegel genau zu lesen. Denn im Kontext der Phänomenologie ist der Tod Gottes untrennbar von dem Leben Gottes, das zu seiner Fülle in „Hegels“ System gelangt. Die Streitfrage muß vielmehr formuliert werden als die Alternative, ob Hegel zu Gott geworden ist oder ob Gott von Anfang an Hegel war und nur die Zeit der „wirklichen Geschichte“ in Anspruch nahm, um sich selbst völlig in dem System zu offenbaren. Gehen wir die verschiedenen Züge des Spiels durch:

(1) Das „Bewußtsein“ ist absolute Realität; sein Prozeß ist eine Theogonie; und wenn er vollendet ist, ist der Gott völlig real und gegenwärtig. In der Tat führt Hegel am Ende des VI. Kapitels das Ich, das die „Versicherung von der Gewißheit des Geistes in sich selbst (ist)“, ein als der erscheinende Gott, als der Gott, der sich selbst völlig offenbart mitten unter denen, „die sich als das reine Wissen wissen“.[24] Das VII. Kapitel beseitigt dann den Gott der christlichen Offenbarung, indem es ihn an seinen Platz als Gestalt des Bewußtseins setzt, die jetzt obsolet und tot ist; und im VIII. Kapitel schließlich ist das Bewußtsein als „absolutes Wissen“ allein mit sich selbst. Da diese Kapitel von Hegel geschrieben wurden, und vermutlich war er nicht bewußtlos, als er sie schrieb, müssen wir den Schluß ziehen, daß Hegel 1807 zu Gott geworden ist.

(2) Diese Schlußfolgerung ist jedoch nicht mehr als das erste Wort in der Angelegenheit. Es muß darin das Problem des „Kreises“ in Betracht gezogen werden: Was durch den Kreis der Konstruktion „im Ende“ erreicht wird, ist der „Anfang“, der vorausgesetzt worden ist.[25] Wenn Gott sich selbst „im Ende“ völlig in „Hegels“ System offenbart, müssen wir den Schluß ziehen, daß Gott auch im „Anfang“ „Hegel“ war – nur ein schlichterer, mehr substanzartiger, weniger reflektiver „Hegel“.

(3) Die Angelegenheit wird weiter kompliziert durch eine kleine Unsicherheit über „Hegels“ Stellung in der Trinität. Ich habe kein Anzeichen in Hegels Arbeiten dafür gefunden, daß „Hegel“ jemals Gottvater war; diese Rolle ist der „ursprünglichen Wesenheit“ vorbehalten. Aber er scheint Gottsohn gewesen zu sein. In der Logik (1812) gibt es keinen Zweifel, daß Hegel der Logos ist, der Sohn Gottes, nur größer und besser – aber zu dem Problem sogleich. In der Phänomenologie (1807) kann man einen deutlichen Hinweis finden, daß „Hegel“ sich selbst nicht als Gottvater, sondern nur als den Sohn Gottes betrachtete: Am Ende des VI. Kapitels ist der erscheinende Gott gegenwärtig, fleischgeworden, unter uns, die wir uns selbst als reines Wissen wissen.[26] Ohne Zweifel jedoch ist „Hegel“ die ganze Phänomenologie hindurch der Heilige Geist.

(4) Bis an das Ende seines Lebens beharrte Hegel auf seiner protestantischen Orthodoxie; und noch 1830 hielt er die Lobrede zur Dreihundertjahrfeier der Confessio Augustana. Auf den ersten Blick scheint der orthodoxe „Hegel“ unvereinbar mit dem „Hegel“, der erklärt, daß Gott tot sei. Die Positionen befinden sich jedoch nur für fundamentalistische Interpreten im Konflikt miteinander, die den Tod Gottes als ein atheistisches Gegen-Dogma zum Theismus des Glaubensbekenntnisses verstehen. Wie ich angedeutet habe, war Gott für „Hegel“ sehr lebendig und offenbarte sich selbst in dem System vollkommener, als er es jemals zuvor in den Gestalten getan hatte, die, in der Hegelianischen Konstruktion, eher eine „Verborgenheit“ als eine „Offenbarung“ sind. Für den „Hegel“ des imaginären Bewußtseins war die Orthodoxie eine gültige Phase in dem dialektischen Prozeß des Geistes, obgleich jetzt überholt, durch die Arbeit des Weltgeistes, von dessen letzter Gestalt in dem System. Gott ist nur in bezug auf Hegels System tot. Man kann den Tod Gottes bei Hegel nicht haben, ohne in das System einzutreten, genauso wie man den Tod und auch den Mord an Gott bei Nietzsche nicht haben kann, ohne sich in den Übermenschen zu verwandeln. In Gottes Tod zu schwelgen, aus ihm atheistische Schlüsse zu ziehen oder ihn durch soziale Tat wiedergutzumachen, wäre sowohl von Hegel als auch von Nietzsche zu einem Zeitvertreib unter aller Kritik erklärt worden. (xiv)

(5) Der „Tod Gottes“ ist schließlich unverständlich ohne den „Tod Hegels“. In der Fortsetzung des »Systems der Sittlichkeit« hatte Hegel die Spekulation als die Alternative zum Tod in der Schlacht postuliert. „Absolutes Wissen“ sollte die Form sein, „in welcher das einfache Bewußtsein des Unendlichen ohne die Bestimmtheit eines individuellen selbständigen Lebens möglich (ist)“.[27] In der Einleitung zur Phänomenologie, die geschrieben worden ist, nachdem der Hauptteil des Werkes fertiggestellt war, nimmt Hegel das Problem der Spekulation als den Tod individuellen Lebens wieder auf:

„Das Ziel aber ist dem Wissen ebenso notwendig als die Reihe des Fortganges gesteckt; es ist da, wo es nicht mehr über sich selbst hinauszugehen nötig hat, wo es sich selbst findet und der Begriff dem Gegenstande, der Gegenstand dem Begriffe entspricht. (...) Was auf ein natürliches Leben beschränkt ist, vermag durch sich selbst nicht über sein unmittelbares Dasein hinauszugehen; aber es wird durch ein anderes darüber hinausgetrieben, und dies Hinausgerissen werden ist sein Tod. Das Bewußtsein aber ist für sich selbst sein Begriff, dadurch unmittelbar das Hinausgehen über das Beschränkte und, da ihm dies Beschränkte angehört, über sich selbst; mit dem Einzelnen ist ihm zugleich das Jenseits gesetzt, wäre es auch nur, wie im räumlichen Anschauen, neben dem Beschränkten. Das Bewußtsein leidet also diese Gewalt, sich die beschränkte Befriedigung zu verderben, von ihm selbst.“[28]

Ferner denkt Hegel über die Angst nach, die durch den Tod des beschränkten Bewußtseins infolge der Anstrengung der Spekulation geweckt wird. Der Mensch wird vor der „Wahrheit“ zurückscheuen und versuchen, das zu erhalten, was verlorenzugehen droht; aber es wird nicht leicht für ihn sein, seinen Seelenfrieden zu finden in „gedankenloser Trägheit“ oder in einer „Empfindsamkeit, welche alles in seiner Art gut zu finden versichert“, da die Unruhe des Gedankens die gedankenlose Trägheit wie auch die Empfindsamkeit zerstört. Hegel beschließt die Liste mit der Furcht vor der Wahrheit, die sich hinter einem so heißen Eifer für die Wahrheit verbirgt, daß keine Wahrheit gefunden werden kann außer der Wahrheit des trockenen Ich, immer gescheiter als alle Gedanken, seien es die eigenen oder die von jemand anderem.[29] Aus diesem Verzeichnis von Fluchten steigt die Unruhe des Gedankens wie auch das Vertrauen in eine Realität, die sich der selbstreflektiven Konzeptualisierung als zugänglich erweisen wird, sowie die existentiellen Qualitäten des Denkers, der danach strebt, hinter die natürliche Grenze des Daseins in den Tod des absoluten Wissens zu gehen.

Mit dem letzten Kapitel der Phänomenologie ist Hegels „Bestimmtheit eines individuellen selbständigen Lebens“ gestorben. Gott ist tot; und nun ist Hegel auch tot. Etwa so wie die letzte Szene in einer elisabethanischen Tragödie. Der Tod Hegels darf nicht getrennt werden von dem Tod Gottes. Beide zusammen sind sie, im Medium einer spekulativen Zauberei, das Äquivalent zu einer theologia mystica, die den Symbolismus einer positiven Theologie als gültig anerkennt, während sie um die jenseits von ihr liegende Erfahrung der meditativen Partizipation am göttlichen Grund, der unio mystica, weiß. Hegel war ein verfehlter Mystiker.[30] (xv)

Als Postskriptum: Der Tod Gottes ist ein gefährliches Spielzeug für epigonale Intellektuelle und verwirrte Theologen.

                                                                                                                                            

IV.                                                 

Niemand kann die geistige Unordnung einer „Zeit“ heilen. Ein Philosoph kann nicht mehr tun, als sich selbst von dem Schutt der Idole herauszuarbeiten, der ihn, unter dem Namen einer „Zeit“, zu lähmen und zu begraben droht; und er kann hoffen, daß das Beispiel seiner Anstrengung hilfreich für andere sein wird, die sich in derselben Situation befinden und die dasselbe Verlangen erfahren, ihre Menschsein unter Gott zu gewinnen. Hegel jedoch wollte nicht ein Mann werden, sondern ein Großer Mann (xvi): Der Große Mann, dessen Name eine Epoche in der Geschichte bezeichnet, war seine Obsession. Überdies wollte er nicht nur irgendein Großer Mann in der Geschichte werden, dem andere vorhergingen und folgten, sondern der größte von allen; und diese Stellung konnte er sich nur sichern, indem er der Große Mann wurde, der die Geschichte, die Zeitalter und die Epochen aufhebt durch seine Beschwörung des Letzten Zeitalters, das für immer seinen Stempel tragen wird. Der Große-Große Mann in der Geschichte ist der Große Mann jenseits der Geschichte. Macht über die Geschichte zu gewinnen, indem man der Geschichte mit ihrer Zerrissenheit und ihrer Langeweile ein Ende setzt, war die treibende Kraft von Hegels Zauberei.

Was einen potenten Philosophen dazu veranlaßte, der Zügellosigkeit zu verfallen, zum Großen-Großen Mann zu werden, ist unergründlich. Wie im Fall von Hegels großen Nachfolgern in der Zauberei, von Marx und Nietzsche, die den Übermenschen hervorrufen wollten, ist die geistige Krankheit der Weigerung, die Realität wahrzunehmen, und des Abschließens der eigenen Existenz durch die Konstruktion einer imaginären zweiten Realität ein Geheimnis zwischen Mensch und Gott. Man kann nicht mehr tun, als das Phänomen zu beschreiben. In Hegels Fall waren die fünf oder sechs Jahre, die der Veröffentlichung der Phänomenologie 1807 vorausgingen, die kritische Periode, in der das magische Projekt sich herauskristallisierte. Obwohl man sich die Dokumentation des Prozesses vollständiger wünscht, ist das, was von dem Manuskript bis jetzt veröffentlicht worden ist, ausreichend, um eine Rekonstruktion zu erlauben.

Was sich in den kritischen Jahren herauskristallisierte, war zuallererst der Symbolismus von Geist, Gedanke, Vorstellung und Idee – das Instrument für die Verdunkelung der Realität von Mythos, Philosophie und Offenbarung. Seine Beschaffenheit und seine Funktion werden augenscheinlich in Hegels Kritik der Mythen Platons: Die Mythen besitzen einen Reiz und sind pädagogisch nützlich, sie machen das Lesen der Dialoge attraktiv, aber sie verraten Platons Unfähigkeit, bestimmte Bereiche des Geistes mittels des Gedankens zu ergründen.

„Der Mythos ist immer eine Darstellung, die sich sinnlicher Weise bedient, sinnliche Bilder hervorbringt, die für die Vorstellung zugerichtet sind, nicht für den Gedanken; es ist eine Ohnmacht des Gedankens, der für sich sich noch nicht festzuhalten weiß, nicht auszukommen weiß. Die mythische Darstellung (...) ist Darstellung, wo der Gedanke noch nicht frei ist: sie ist Verunreinigung des Gedankens durch sinnliche Gestalt; diese kann nicht ausdrücken, was der Gedanke will. (...) Oft sagt Plato, »es sei schwer, sich über diesen Gegenstand auszulassen, er wolle daher Mythus aufstellen«; leichter ist dies allerdings.“[31]

Die Textstelle klingt so, als ob sich Hegel niemals auch nur flüchtig bewußt geworden wäre, daß Platons Einführung des Mythos nicht sein Scheitern als ein Denker zeigt, sondern sein kritisches Verständnis von philosophischer Analyse und deren Grenzen. Der Philosoph kann die Struktur und den Prozeß des Bewußtseins klären; er kann die Linie zwischen der Realität des Bewußtseins und der Realität, derer es sich bewußt ist, deutlicher ziehen; er kann jedoch weder das Bewußtsein des Menschen erweitern zu der Realität, in welcher es ein Ereignis ist, noch die Realität zusammenziehen zu dem Ereignis des Bewußtseins. Platon weiß durchaus, daß sein Mythos – vom Eros, von der Psyche als dem Ort der Suche des Menschen nach dem göttlichen Grund seiner Existenz, von der Unsterblichkeit der Seele, von ihrer Prä- und Post-Existenz, ihrer Schuld und Reinigung, vom Letzten Gericht, von dem schöpferischen Ursprung des Kosmos – Erfahrungen des Geistes symbolisiert, er  weiß jedoch auch, daß der Geist des Menschen nicht identisch ist mit der Realität, an der er durch Erfahrung bewußt partizipiert. Die Erfahrung der Partizipation an einem göttlich geordneten Kosmos, der sich über den Menschen hinaus erstreckt, kann nur mit Hilfe des Mythos zum Ausdruck gebracht werden; sie kann nicht verwandelt werden in Denkprozesse innerhalb des Bewußtseins. Ferner war sich Platon so klar bewußt über die Konsubstantialität, aber Nicht-Identität des Menschen mit der göttlichen Realität, daß er ein besonderes Symbol für die Erfahrung des Menschen von seinem in der Mitte liegenden Status zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen entwickelte: Er nannte das Bewußtsein von diesem Status metaxy – das Zwischen der Existenz.

Das Zwischen der Existenz ist nicht ein leerer Raum zwischen zwei statischen Wesenheiten, sondern der Grund, auf dem sich das Menschliche und das Göttliche in einem Bewußtsein von ihrer Unterscheidung und wechselseitigen Durchdringung treffen. Dieses Bewußtsein des metaxy ist in historischem Fluß. Die Differenzierung des noetischen Bewußtseins durch die Philosophen ist ein Ereignis in der Geschichte; und wenn sie sich ereignet hat, ist die Einsicht des Menschen in das Bewußtsein und dessen Jenseits fortgeschritten. Der alte Mythos war einer kompakteren Erfahrung des Kosmos angemessen gewesen; wenn das Bewußtsein noetisch durchsichtig (xvii) wird, wird ein neuer Mythos erforderlich. Platon stellte seinen eigenen Mythos scharf dem Homerischen Mythos entgegen. Diesen wirklichen Fortschritt an noetischer Einsicht, mit seiner begleitenden Berichtigung des Mythos, hat Hegel extrapoliert zu dem Postulat einer metastatischen Entmythologisierung, die das Jenseits des Bewußtseins in das Bewußtsein selbst absorbieren wird. Inwieweit sich Hegel bewußt war, daß er das metaxy der Existenz in die Dialektik eines imaginären Bewußtseins verwandelte, bleibt ungewiß; es liegt in der Natur der Sache, daß er nicht eine vollständige Darstellung seines trügerischen Verfahrens liefern konnte, ohne es aufgeben zu müssen.

Es herrscht jedoch kein Mangel an Gewißheit über den Zweck, die Metastase zu postulieren: Nur wenn „die Wirklichkeit mit dem Begriff in Uebereinstimmung gebracht (wird), (kommt) die Idee zur Existenz“. „Regieren heißt, daß der wirkliche Staat bestimmt werde, in ihm gehandelt werde nach der Natur der Sache. Dazu gehört Bewußtseyn des Begriffs der Sache; (...) In der Geschichte soll die Idee vollbracht werden; Gott regiert in der Welt, die Idee ist die absolute Macht, die sich hervorbringt“.[32] Der Philosoph kann die Identität mit der göttlichen Macht der Idee, die in der Welt herrscht, erreichen, wenn er die Metastase der Philosophie in eine „Bewegung in reinen Gedanken“ erreicht, wenn er tatsächlich die Wirklichkeit in den Begriff absorbieren kann.[33] Platons Philosophieren hatte, in Hegels Interpretation, denselben Zweck wie sein eigenes: Wenn Platon verlangt, daß die Philosophen Herrscher seien, meint er „das Bestimmen des ganzen Zustandes durch allgemeine Principe“[34]. Unter den rückständigen Bedingungen einer griechischen Polis war das unmöglich; unter den fortschrittlichen Bedingungen des modernen Staates muß der Zweck des Philosophen modifiziert werden, weil das unmittelbare Ziel Platons in hohem Maße realisiert worden ist. Denn seit der Periode der Völkerwanderung, als die christliche Religion zur allgemeinen Religion geworden war, ist es zum anerkannten Zweck der Regierung geworden, das übersinnliche Reich in die Realität von Gesellschaft und Geschichte hinein zu errichten. In einem modernen Staat, wie er durch allgemeine Prinzipien gelenkt wird, ist das platonische Programm des Philosophen-Königs verwirklicht worden, wie zum Beispiel in der Herrschaft von Friedrich II in Preußen. Mit diesem Fortschritt des modernen Staates über die antike Polis hinaus hat sich die Rolle des Philosophen verändert. Der Philosophen-König ist so sehr zur „Sitte, zur Gewohnheit“ der politischen Szene geworden, daß die „Fürsten nicht mehr Philosophen (heißen)“.[35] Daher braucht der Philosoph sich nicht länger darum zu sorgen, allgemeine Prinzipien in die Ordnung der Gesellschaft einzubauen; die tägliche Hausarbeit der Realisierung der Idee in dem Prozeß der Weltgeschichte kann gefahrlos solchen Figuren wie Friedrich II. überlassen werden. Der Philosoph muß über das bloße Königtum hinaus fortschreiten; er muß verschmelzen mit der absoluten Macht der Idee in der Geschichte.

                                                                                                                                           

Hegels Obsession war Macht. Wenn er der Zauberer sein wollte, der die Gestalt der Geschichte hervorrufen konnte, mußte er die politischen Ereignisse der Zeit mit dem Gedanken durchdringen, bis die Ereignisse und der Gedanke übereinstimmen würden. Die Ereignisse der Jahre, die der Veröffentlichung der Phänomenologie vorausgingen, waren in der Tat eindrucksvoll. Am 18. Mai 1804 wurde Napoleon zum Kaiser der Franzosen ausgerufen; am 11. August reagierte Franz II. mit der Annahme des Titels Franz I., Kaiser von Österreich; und dann erkannten die neuen Kaiser einer den anderen an. 1805 folgte der Dritte Koalitionskrieg, mit Trafalgar und Austerlitz, beendigt am 26. Dezember durch den Frieden von Pressburg. Das Jahr 1806 brachte die Napoleonische Neuordnung Europas durch das Föderative System; am 12. Juli wurde der Rheinbund unter dem Protektorat Napoleons gebildet; am 6. August verzichtete Franz II. auf die Würde eines römischen Kaisers und erklärte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation für erloschen. Dies waren die Ereignisse, auf die Hegel am 18. September 1806 reagierte, indem er sein Collegium über seine sogenannte spekulative Philosophie mit den folgenden Worten an die Studenten beschloß:

„Dies, meine Herren, ist die spekulative Philosophie, so weit ich in der Ausbildung derselben gekommen. Betrachten Sie es als einen Anfang des Philosophierens, das Sie weiter fortführen. Wir stehen in einer wichtigen Zeitepoche, einer Gährung, wo der Geist einen Ruck getan, über seine vorige Gestalt hinausgekommen ist und eine neue gewinnt. Die ganze Masse der bisherigen Vorstellungen, Begriffe, die Bande der Welt, sind aufgelöst und fallen wie ein Traumbild in sich zusammen. Es bereitet sich ein neuer Hervorgang des Geistes. Die Philosophie hat vornehmlich seine Erscheinung zu begrüßen und ihn zu erkennen, während Andere, ihm unmächtig widerstehend, am Vergangenen kleben und die Meisten bewußtlos die Masse seines Erscheinens ausmachen. Die Philosophie aber hat, ihn als das Ewige erkennend, ihm seine Ehre zu erzeigen. Ihrem gütigen Andenken mich empfehlend, wünsche vergnügte Ferientage.“[36]

Vier Wochen später, am 14. Oktober, folgten Jena und Auerstedt. An dem Tag vor der Schlacht hatte Hegel das Vergnügen, Napoleon leibhaftig zu sehen. Er hielt seine Reaktion auf das Ereignis in dem berühmten Brief an seinen Freund Niethammer fest, datiert: „Jena. Montags, den 13. Octbr. 1806, am Tage, da Jena von den Franzosen besetzt wurde, und der Kaiser Napoleon in seinen Mauern eintraf.“ Hegel schrieb:

„Den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognoszieren hinausreiten; – es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht.“[37]

Die Textstellen vermitteln ein ziemlich gutes Bild von Hegels Geisteszustand in den kritischen Jahren. Es gibt die scharfsinnigen Beobachtungen über die Massen, die niemals wissen, was ihnen geschieht; über die nicht totzukriegenden Traditionalisten, die nicht glauben können, daß ein Haus, das sie über Jahrhunderte haben verfallen lassen, schließlich einstürzt; über die dem Menschen obliegende Pflicht, zu verstehen, was um ihn herum vor sich geht, und seine Stellung zu finden in einer Situation revolutionärer Veränderung. Die eigentliche Reaktion auf die Herausforderung jedoch verrät die pneumopathologische Verwirrung eines Menschen, dessen Selbst des Philosophen sich zersetzt, während das Selbst des Zauberers beginnt, sich herauszukristallisieren. Das aristotelische thaumazein ist zu der „wunderbaren Empfindung“ geworden, die durch den Anblick eines Kaisers geweckt wird; Gott ist hinter einer neuplatonischen Weltseele verschwunden, die es ihrerseits übernommen hat, auf einem Pferd zu sitzen; der Reiter zu Pferd, der Erinnerungen an die Apokalypse geschürt haben dürfte, ist folglich zu einer neuen Gestalt des Geistes geworden, die sich über die Welt erstreckt, um sie zu beherrschen; und die Ehre, die der neuen Gestalt durch die Philosophie erwiesen wird, ist nicht gerade das, was damit gemeint ist, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.

Wenn ein Philosoph sich beeilt, einer sich im Fortgang befindenden imperialen Eroberung seine Referenz zu erweisen, weckt er den Verdacht, ein unkluger Opportunist zu sein; wenn er es zur Pflicht der Philosophie erklärt, der neuen Gestalt in der Geschichte ihre gebührende Ehre zu erweisen, klingt er, als wenn er die Philosophie zu einer ancilla potestatis degradieren würde; wenn er seine Studenten ermahnt, seinem Beispiel zu folgen, scheint er mit genau der Korrumpierung der Jugend beschäftigt zu sein, die Platon als ein Verbrechen ansah, das an Ruchlosigkeit nur hinter dem physischen Mord zurücksteht; und wenn er, nach Waterloo, die Ehrerbietungen von dem gefallenen Reich des Eroberers auf den preußischen Staat überträgt, scheint er den abschließenden Pinselstrich zu dem Portrait einer verabscheuungswürdigen Person zu setzen. Obwohl kein Portrait die Persönlichkeit Hegels heimtückischer verzerren könnte als dieses, muß es gezeichnet werden, weil es realitätsgetreu die öffentlichen Erscheinungsformen der modernen Deformation der Existenz wiedergibt. Geistige Krankheit ist nicht die Privatangelegenheit eines Menschen, sondern hat öffentliche Konsequenzen; der Mensch, der sich selbst deformiert, lebt nicht in einem Vakuum, sondern in einer Gesellschaft; und die zweite Realität, die er für sich selbst erschaffen hat, greift auf die erste Realität über, in der er lebt. Die Charakterzüge, die in dem Porträt versammelt sind, ergeben sich aus der Reibung zwischen zweiter und erster Realität – sie verzerren boshaft die Wahrheit, so wie sie von der Position des geistig kranken Menschen aus gesehen wird, der mit derartigen Tätigkeiten beschäftigt ist, aber sie sind die bedauerlicherweise wahren Konsequenzen einer Existenz in Unwahrheit. Hegels Reaktion auf die translatio imperii, deren Zeuge er war, wird verworren erscheinen, beurteilt man sie nach den Maßstäben von Mythos, Philosophie und Offenbarung, weil diese Symboliken die Realität ausdrücken, wie sie von einem Menschen erfahren wird, dessen Seele offen ist gegen den göttlichen Grund des Kosmos und seiner eigenen Existenz. Sie wird überhaupt nicht verworren erscheinen, beurteilt man sie nach den Maßstäben der Existenz des Zauberers, die Hegel während dieser Jahre in Jena entwickelt und zu sprachlichen Symbolen gestaltet. Wenn ein Mensch in Offenheit gegen Gott lebt – Bergsons l'âme ouverte –, wird sein Bewußtsein von seiner existentiellen Spannung der kognitive Kern in seiner Erfahrung der Realität sein. Wenn ein Mensch seine Existenz deformiert, indem er sie gegen den göttlichen Grund abschließt, wird sich der kognitive Kern in seiner Erfahrung der Realität ändern, weil er den göttlichen Pol der Spannung ersetzen muß durch das eine oder andere weltimmanente Phänomen. Der deformierte kognitive Kern hat also einen deformierten Stil der Wahrnehmung zur Folge, durch den die in offener Existenz erfahrene erste Realität in eine zweite Realität verwandelt wird, die in verschlossener Existenz eingebildet wird. Hegels Wahl eines imaginären absoluten Pols war das „Reich“, verstanden als die ökumenische Organisation der Menschheit unter der Idee in der Geschichte; und die Deformation des kognitiven Kerns drängte den deformierten Stil der Wahrnehmung auf, der die imaginäre Geschichte der Idee hervorbrachte. Gleichwohl besitzt dieser Stil eine ihm eigene Rationalität. Obwohl die Entstehung von Hegels zweiter Realität verworren und auch unsinnig erscheinen wird, wenn sie mit den kognitiven Verfahren in der ersten Realität konfrontiert wird, ist sie nach ihren eigenen Prämissen verständlich. Die folgenden Überlegungen zu diesem deformierten Verfahren der Wahrnehmung stützen sich auf den Teil „Aus Jenenser Vorlesungen“ in Hoffmeisters Dokumenten, aus dem ich bereits die abschließenden Worte an die Studenten zitiert habe.

Hegel war nicht an politischer Macht interessiert, sondern an der Macht der Idee:

„(...) die Idee ist die absolute Macht, die sich hervorbringt.“[38]

„Die einfache Idee ist die Macht des göttlichen Mysteriums, aus dessen ungetrübter Dichtheit die Natur und der bewußte Geist zum Bestehen für sich freigelassen werden.“

„Die immanente Dialektik des Absoluten ist der Lebenslauf Gottes.“

„Das Erschaffen des Universums ist das Aussprechen des absoluten Wortes, das Zurückgehen des Universums in sich ist das Vernehmen desselben, so daß Natur und Geschichte zu dem als Anderssein selbst verschwindenden Medium zwischen Sprechen und Vernehmen werden.“[39]

Das Medium zwischen dem Aussprechen und dem Vernehmen des Wortes ist, in Hegels Sprache, das Äquivalent zu Platons metaxy, zu dem Bewußtsein der Existenz in dem Zwischen von Göttlichem und Menschlichem. Für Hegel jedoch ist Philosophie nicht das Bewußtsein des metaxy, seine Erforschung und das Ordnen der menschlichen Existenz durch die gewonnenen Einsichten, wie sie es für Platon ist, sondern das Unternehmen der Aufhebung des Mediums durch den magischen Akt der Spekulation. „Die in der offenbaren Religion vorgestellte Wahrheit“ muß durch Erkennen gereinigt werden. Dies hat das Bewußtsein, indem es sich „auf den letztmöglichen Standpunkt erhoben hat, (...) mit den Metamorphosen seiner Gestalten“ getan. Indem es das „System der Wissenschaft“ vollendet, erreicht das Bewußtsein die Gleichheit seiner Gewißheit mit der Wahrheit der offenbaren Religion. Durch seine Realisierung des absoluten Wesens sind a) das „allgemeine(...) Selbstbewußtsein“, b) „alle Realität oder die an sich seiende Wesenheit“ und c) „dieses einzelne Selbstbewußtsein“ für sich die Inhalte der Wissenschaft für das Selbstbewußtsein geworden.[40]

Auf diese Weise durchdringt die Philosophie unter dem Titel der Wissenschaft das göttliche Mysterium und wandelt es um in das Selbstbewußtsein des einzelnen Menschen, der das Durchdringen zustande gebracht hat, d.h. Hegel. Das Medium der Welt ist zu seinem Ende gekommen durch das apokalyptische Ereignis des Wortes, das sich selbst vernimmt, ausgesprochen in Hegels System der Wissenschaft.

Obwohl das Universum als ein Ganzes in sich zurückgeht, handelt nicht jeder Teilnehmer an der Aufhebung des Mediums mit demselben Grad an Bewußtsein. Auf der Ebene der Politik wird die apokalyptische Rückkehr mehr gespürt als reflektiert, sie bleibt halbbewußt; um die apokalyptische Bedeutung der Ereignisse auf die Stufe vollen Bewußtseins zu heben, wird die Philosophie benötigt. Napoleon ist der Große Mann, weil er der welthistorische Diener der Idee ist, als sie zu ihrer Erfüllung kommt; Hegel ist der Große-Große Mann, weil sein System der Wissenschaft das Siegel des reflektiven Bewußtseins auf die Metastase der Realität setzt. Napoleons imperiale Expansion und Hegels Vollendung der spekulativen Philosophie gehören zusammen als zwei Stufen des Bewußtseins bei der apokalyptischen Rückkehr.

Als eine Folge dieser imaginativen Konstruktion konnte Hegel, von seinem eigenen Standpunkt aus, kein politischer Opportunist sein. Die Deformation seines kognitiven Kerns hatte ihn blind gemacht gegen die erste Realität der pragmatischen Geschichte und gegen die Wechselfälle der Machtpolitik. Er hatte die Ereignisse der ersten Realität bereits in symbolische Ereignisse in dem apokalyptischen Schauspiel seiner Imagination verwandelt; oder, um genauer zu sein: Die Verwandlung war während der Jahre in Jena in vollem Gange. Diese metastatische Entwicklung kann in den vorher zitierten Worten diagnostiziert werden: „Die ganze Masse der bisherigen Vorstellungen, Begriffe, die Bande der Welt (...) fallen wie ein Traumbild in sich zusammen.“[41] Die Wendung kann nicht angemessen ins Englische übertragen werden, weil die englische Sprache die modernen apokalyptischen Symbole nicht zu demselben Grad absorbiert hat wie die deutsche Sprache. Das Adjektiv „bisherige“ wirft alle Vorstellungen von Geschichte und gesellschaftlicher Ordnung bis hin zu Hegels Werk in einen Topf: als einen Traum, der jetzt ersetzt werden muß durch die Wahrheit der Realität. Dieses Adjektiv von Hegel ist als das operative apokalyptische Symbol in den ersten Satz des Kommunistischen Manifests aufgenommen worden: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klas- senkämpfen“; und im Deutschen ist es, nach der Umwälzung des Zweiten Weltkriegs, wirksam geblieben in solchen Wendungen wie „das Ende der bisherigen Geschichte“ (Alfred Weber). Englische Übersetzungen, wie „all previous conceptions“ oder „the history of all hitherto existing society“, besitzen nicht die apokalyptische Bedeutung von „bisherige“. Durch die Verwandlung pragmatischer Geschichte in ein apokalyptisches Schauspiel verwandelt sich der Zauberer selbst von einem gewöhnlichen Menschen in offener Existenz, von dem „Glied in der Kette“, in den intellektuellen Führer der Menschheit auf deren Weg zur metastatischen Befreiung.

Ich habe das Symbol „bisherige“ ausgewählt, weil es die magische Macht der Spekulation auf die Bereiche von Gesellschaft und Geschichte konzentriert. Seine Fortdauer in den Kombinationen von alle bisherige Gesellschaft und Geschichte ist ein Beweis seiner Schärfe. Nichtsdestoweniger reißen die späteren Vereinfacher und Popularisierer das Symbol aus dem theoretischen Kontext, aus dem es seine magische Macht bezieht. Ein erstklassiger Zauberer, der sein Geschäft versteht, würde auch nicht einen Moment lang eine Metastase der Geschichte erwägen ohne die Metastase des Kosmos, von dem die Geschichte ein Teil ist. Daher schafft Hegel den Hintergrund für seine „bisherigen Vorstellungen“, indem er die Zauberworte verkündet, die den göttlichen Kosmos verwandeln: das In-sich- Zurückgehen des Universums; das Vernehmen des schöpferischen Wortes, das bisher nur ausgesprochen worden ist; die Verbannung der Geschichte in die Vergangenheit des Mediums, das nun aufgeho ben werden muß; die Versöhnung der zerrissenen Wirklichkeit durch die Macht der Idee, die nun ihre Erfüllung im reflektiven Bewußtsein erreicht; und die Befreiung von den Fesseln der alten Welt, die jetzt wie ein Traumbild in sich zusammenfällt, durch den Eintritt des Menschen in das göttliche Mysterium. Nur in einer zweiten Realität, die als ein Kosmos in metastatischer Veränderung imaginiert wird, bestehen die Beziehungen zwischen dem Reich und der Philosophie, von denen Hegel bei seiner magischen Operation der Beschwörung der Gestalt der neuen Welt abhängt. Nur wenn durch einen Akt metastatischer Spekulation die Erneuerung des Kosmos als wirklich imaginiert wird, kann „Erneuerung“ zu dem gemeinsamen Moment werden, durch das der neue Machtauftragxviii eines Eroberers verbunden ist mit der meditativen Erneuerung der Einsicht eines Philosophen.

Hegel hat „Erneuerung“ als das gemeinsame Moment in Reich und Philosophie eingeführt durch seine faszinierenden Überlegungen zu dem Verhältnis zwischen Alexander und Aristoteles: Der Große Mann in der Geschichte erscheint in den Epochen des Übergangs, wenn die „alte sittliche Form der Völker von einer neuen völlig überwunden wird“. Wenn die Zeit reif ist, haben die „besonnenen Naturen“, die den Übergang vollbringen, „nichts [zu tun], als das Wort auszusprechen und die Völker werden ihnen anhängen“. Aber um zu dieser Tat fähig zu sein, müssen sich diese „großen Geister (...) von allen Eigentümlichkeiten der vorhergehenden Gestalt gereinigt“ haben. „Wenn sie das Werk in seiner Totalität vollbringen wollen, müssen sie es auch in ihrer ganzen Totalität erfaßt haben.“

Wenn ein Mensch nur einen Teil des Werkes voranbringen kann, wird die Natur ihn stürzen und andere Menschen hervorbringen, bis das ganze Werk vollbracht ist. Wenn es jedoch die Tat Eines Menschen sein soll, so muß dieser Mensch...

„... das Ganze erkannt und damit von aller Beschränktheit sich gereinigt haben. Die Schrecken der objektiven Welt, so wie alle Fesseln der sittlichen Wirklichkeit, hiermit auch alle fremden Stützen, in dieser Welt zu stehen, so wie alles Vertrauen auf ein festes Band in derselben, müssen von ihm gefallen, d.h. er muß in der Schule der Philosophie gebildet sein. Von dieser aus kann er die noch schlummernde Gestalt einer neuen sittlichen Welt zum Erwachen empor- heben und mit den alten Formen des Weltgeistes kühn in Kampf, wie Jakob mit Gott gerungen hat; sicher, daß die Formen, welche er zerstören kann, eine veraltete Gestalt und die neue eine neue göttliche Offenbarung ist“.[42]

Bei der Verfolgung dieser Absicht ist er berechtigt, das „ganze vorhandene Menschenwesen als einen Stoff an(zu)sehen, den er sich aneignet, und aus dem sich seine große Individualität ihren Körper bildet; einen Stoff, der selbst lebendig, die trägeren oder lebendigeren Organe dieser großen Stadt bildet. So ist (...) Alexander der Mazedonier aus der Schule des Aristoteles zur Eroberung der Welt übergegangen“.[43]

Hegel war Mitte dreißig, als er die Metaphern vermischte, die er aus Dornröschen, aus „Jakob ringend mit Gott“ und aus dem mystischen Leib Christi entnahm, um seinen Studenten zu erklären, was geschieht, wenn man in die Schule der Philosophie eintritt. Napoleon war ante portas. Und das grimoire stand vor der Vollendung.

Die Phänomenologie wurde „in der Nacht vor der Schlacht von Jena vollendet“. In einem Brief an Niethammer vom 29. April 1814 erinnerte Hegel seinen Freund an die historische Nacht, als die Weltseele den Höhepunkt ihrer Offenbarung im Reich wie in der Philosophie vorbereitete. Aber Napoleon hatte nicht die Schule der Philosophie besucht, er war kein Alexander; am 11. April 1814 hatte er abgedankt. „Es sind große Dinge um uns geschehen“, schreibt Hegel.

„Es ist ein ungeheures Schauspiel, ein enormes Genie sich selbst zerstören zu sehen. – Das ist das tragikotaton, das es gibt. Die ganze Masse des Mittelmäßigen mit seiner absoluten bleibenden Schwerkraft drückt ohne Rast und Versöhnung so lang bleiern fort, bis es das Höhere herunter, auf gleichem Niveau oder unter sich hat. Der Wendepunkt des Ganzen, der Grund, daß diese Masse Gewalt hat und als der Chor übrig und obenauf bleibt, ist, daß die große Individualität selbst das Recht dazu geben muß und somit sich selbst zugrunde richtet.“[44]

Hegel will sich folglich „rühmen“, diese „ganze Umwälzung“ in der Phänomenologie vorausgesagt zu haben. Das imperiale Unternehmen war von Anfang an durch die absolute Freiheit der Aufklärung beeinträchtigt worden, d.h. durch eine „abstrakte“ Freiheit, die sich selbst zerstört. Napoleon war eines der großen Individuen, wie sie auf der Seite über Alexander und Aristoteles charakterisiert worden sind, die die durch die Epoche nur zum Teil begonnene Aufgabe erfüllen konnten. Andere werden die imperiale Arbeit bei der Einrichtung der Ökumene weiterführen müssen. Einstweilen bleibt Hegel übrig – ohne einen Partner; die Last, die Weltseele zu offenbaren, liegt nun allein auf seinen Schultern. [45]

Die Perspektive der zweiten Realität, in die Hegel sein Werk 1814 stellt, spiegelt realitätsgetreu die Perspektive wider, die er tatsächlich in den Jahren in Jena und in dem vollendeten grimoire selbst entwickelte. In der Vorrede zur Phänomenologie verweilt er bei dem Zweck und der Technik seiner metastatischen Zauberei. Seine Absicht ist die Aufhebung der Zerrissenheit. Während „Zerrissenheit“ in vorher angeführten Zusammenhängen von „Zeiten“ ausgesagt worden war, wird sie jetzt vorsichtiger betrachtet als ein grundlegendes Merkmal der conditio humana. Wenn die Zerrissenheit, die zu allen Zeiten gegenwärtig ist, von den Menschen in ihrer Gesamtheit schärfer erlebt wird, kann sie das Merkmal einer „Zeit“ werden; und eine solche „Zeit“ ist dann reif, von einer neuen Gestalt des Geistes in der Geschichte überwunden zu werden. Aber Hegel, obwohl er die Zerrissenheit seiner eigenen Zeit überwinden will, will nicht die Alexander-Aristoteles-Gestalt sehen oder die von Kirche und Reich, auf die nun eine Napoleon-Hegel-Gestalt folgt, die ihrerseits verfallen müßte; er will vielmehr die grundlegende Zerrissenheit des Menschen aufheben, so daß das durch die Phänomenologie eingeführte Zeitalter das letzte Zeitalter der Geschichte sein wird. Da Hegel jedoch in der Sprache der offenen Existenz nicht zugeben kann, daß er die Natur des Menschen verändern will, indem er ein Buch schreibt, muß die Darlegung der Absicht an diesem Punkt übergleiten in ihre Ausführung durch Zauberei. Um den Übergang zu bewirken, gebraucht Hegel die Konstruktionsprinzipien, die ich an früherer Stelle in diesem Essay dargelegt habe: Gott und Mensch sind aus dem Universum des Diskurses beseitigt worden; ihr Platz ist von dem imaginären Bewußtsein oder dem Geist eingenommen worden; und die in offener Existenz entwickelten Symbole der Philosophie sind in das Kraftfeld der neuen zweiten Realität verlegt worden. Zerrissenheit braucht somit nicht länger vom Menschen oder seiner Seele ausgesagt werden, sondern ist das „Eigentum“ des Geistes geworden; ihre Aufhebung ist ein dem Geist immanenter Prozeß; und der peinliche Anblick von Hegel, wie er sich an der Natur des Menschen zu schaffen macht, wird vermieden.[46]

Um als ein magisches opus seine Wirkung zu entfalten, mußte das System der Wissenschaft zwei Bedingungen genügen:

(1) Die Operation in der zweiten Realität mußte so aussehen, als ob sie eine Operation in der ersten Realität war.

(2) Die Operation in der zweiten Realität mußte sich der Kontrolle und dem Urteil durch die Kriterien der ersten Realität entziehen.

Nur wenn er diesen beiden Bedingungen genügte, konnte der Autor des Systems hoffen, die imaginären Ergebnisse seiner Operation annehmbar erscheinen zu lassen als wirkliche Lösungen für wirkliche Probleme in der ersten Realität. Hegel erfüllte die erste Bedingung durch die Verwendung philosophischer Symbole als den begrifflichen Einheiten seiner Konstruktion. Der bona-fide-Leser mag das Buch unverdaulich finden, aber er wird nicht daran zweifeln, daß er ein philosophisches Werk liest, wenn er überwältigt wird von dem Vokabular von Verstand, Vernunft und Geist, von Sein und NichtSein, analytischer und dialektischer Logik, Bewußtsein, Wissenschaft, Geschichte, Leben und Tod und so weiter. Hegel erfüllte die zweite Bedingung, indem er niemals die Erfahrungen der Realität darstellte, die als ihre Ausdrucksmittel die Symbole hervorgebracht hatten, und indem er kaum jemals die Philosophen erwähnte, die die Symbole geschaffen hatten. Mittels dieser Technik kann Hegel das Band zwischen den Symbolen und der ersten Realität, in der sie ihren Platz und ihre Bedeutung haben, zerreißen. Es müssen keine Fragen gestellt werden hinsichtlich des Ursprungs und der Bedeutung der verwendeten Symbole; sie sind irgendwie da; sie konstituieren ein in sich abgeschlossenes Reich und warten auf den Geist, der sie in ein System bringen wird. „Der Geist, der sich so entwickelt als Geist weiß, ist die Wissenschaft“; und umgekehrt ist die Wissenschaft „seine Wirklichkeit und das Reich, das er sich in seinem eigenen Elemente erbaut“. „Das reine Selbsterkennen“, „dieser Äther als solcher“, ist der Boden, auf dem die Wissenschaft wächst. Wenn Philosophie zur Wissenschaft geworden ist, so hat sie hierzu nicht von irgendwo angefangen, sondern von sich selbst; ihr Anfang ist ein »Im Anfang« göttlicher Absolutheit. „Der Anfang der Philosophie macht die Voraussetzung oder Forderung, daß das Bewußtsein sich in diesem Elemente befinde. (...) Weil dieses Element, diese Unmittelbarkeit des Geistes, das Substantielle überhaupt des Geistes ist, ist sie die verklärte Wesenheit, die Reflexion, die selbst einfach, die Unmittelbarkeit als solche für sich ist, das Sein, das die Reflexion in sich selbst ist.“[47]

Jede Kritik in Form einer Berufung auf die erfahrene Realität wird schließlich durch die Regel ausgeschlossen, daß Hegels „Einsicht“ sich selbst nur rechtfertigen muß durch „die Darstellung des Systems selbst“.[48] Gegen Ende der Phänomenologie faßt Hegel diesen in sich abgeschlossenen Zirkel der Reflexion in dem Satz zusammen: „Der Geist in diesem Elemente dem Bewußtsein erscheinend, oder was hier dasselbe ist, darin von ihm hervorgebracht, ist die Wissenschaft.“[49]

Der Schutz vor genauer Prüfung ist besonders wichtig für das mythische »Im Anfang«. Der Zweck der Phänomenologie ist die Aufhebung von Zerrissenheit; und Zerrissenheit wird ausgesagt vom Geist. Hegel führt den Geist ein als den „erhabenste[n] Begriff, (...) der der neuern Zeit und ihrer Religion angehört“.[50] Die Zerrissenheit wird überhaupt nicht eingeführt; sie kommt nur mit vor als das „Eigentum“ des Geistes.[51] Sowohl der Geist als auch die Zerrissenheit sind „absolut“.[52] Aus dieser knappen Information würde niemand schließen, daß Zerrissenheit Teil eines neuplatonischen Corpus von Symbolen ist, die sich um das Problem der tolma zentrieren, d.i. die wagemutige Rastlosigkeit der Seele, die sie dazu veranlaßt, ihren göttlichen Ursprung zu vergessen. Da ohne Kenntnis dieser Quelle weder die Umwandlung des neuplatonischen Symbols in den Hegelianischen Begriff noch Hegels Lösung des Problems verstanden wer den kann, werde ich die Schlüsselstelle über die tolma aus Plotins Enneaden (V.1.1) anführen:

„Was hat denn eigentlich die Seelen ihres Vaters Gott vergessen lassen und bewirkt, daß sie, obgleich Teile aus jener Welt und gänzlich Jenem angehörig, ihr eignes Wesen sowenig wie Jenen mehr kennen? Nun, der Ursprung des Übels war ihre wagemutige Rastlosigkeit (tolma), das Eingehen ins Werden (genesis), die erste Andersheit (heterotês), auch der Wille, sich selbst zu gehören. An dieser ihrer Selbstbestimmung hatten sie, als sie erst in die Erscheinung getreten waren, Freude, sie gaben sich weitgehend der Eigenbewegung hin, so eilten sie in entgegengesetzter Richtung und gerieten in einen weiten Abstand; und daher verlernten sie, daß sie selbst von dort oben stammen; wie Kinder, die gleich vom Vater getrennt und lange Zeit in der Ferne aufgezogen werden, sich selbst wie ihren Vater nicht mehr kennen.“ (xix)

Weitere Symbolisierungen eines Urzustands der Ruhe (hêsychia) in dem Einen, einer Störung der Ruhe durch eine Neugier nach Betätigung (polypragmosynê) und durch ein Verlangen nach Selbstbestimmung (archein autês) finden sich in III.7.11, wo Plotin versucht, das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit zu klären.[53] Er ist sich völlig bewußt, einen Mythos der Platonischen Art zu entwickeln, als er die Geschichte von einem Fall innerhalb der Göttlichkeit erzählt, eng verwandt mit dem Fall der sophia in gnostischen Texten, um die Erfahrung der selbst-affirmativen Rastlosigkeit, die Bedeutung der Ruhe als den eigentlichen Zustand der Existenz und das Verlangen, in eine Heimat zurückzukehren, die verlorengegangen ist, verständlich zu machen. Das Leiden der Existenz kann also geheilt werden durch die Einleitung der Gegenbewegung: Das Bewußtsein des Leidens als ein Zustand der Verlorenheit muß erweckt werden, so daß die Seele sich umkehren kann (epistrophê, die Platonische periagogê) zum göttlichen Grund, von dem sie sich fortbewegt hat; die Wiedererinnerung (anamnêsis) an den verlorenen Zustand der Ruhe muß geweckt werden; bis die Rückkehrbewegung (anagôgê) durch den meditativen Aufstieg zu dem Einen in Gang kommt. Dieser Rhythmus von sich entfernender Selbstherrlichkeit und meditativer Rückkehr, wie auch die Dynamiken von Dreistigkeit, Neugier, Entdeckung und polypragmosynê, von freudiger Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, von Rastlosigkeit, Verlorenheit und Entfremdung (allotriôsis), von Suche (zêtêsis), Umkehr usw., sind Prozesse und Stimmungen der Seele, Verhärtungen und Erweichungen der Spannung in der Existenz des Menschen. Diese Spannung der Existenz ist die conditio humana. Es gibt keinen andern Weg, sie aufzuheben, als den Tod.

Hegel war die Erfahrung der existentiellen Spannung und deren neuplatonische Symbolisierung vertraut. Sein Beschäftigtsein mit dem Zustand selbst-affirmativer Verlorenheit ist erwiesen durch die lange Liste von Symbolen, die er zur Unterscheidung von dessen verschiedenen Aspekten verwendet: Anderssein, für sich zu sein, eigenes Dasein, Bewegung des Sichselbstsetzens, selbstbewußte Freiheit, abgesonderte Freiheit, Entzweiung, Geschiedenheit, Verschiedenheit, Zerrissenheit, das Konkrete, Härte, Negativität, fremd, Entfremdung, Unwirklichkeit, Tod. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Überdies beweist Hegel sein Verständnis des Problems, indem er jede Philosophie verwirft, die von „dem Negativen wegsieht“ und nichts „als das Positive“ darstellt. Ein Philosoph muß „dem Negativen ins Angesicht schau[en]“; er muß den Schrecken der „Unwirklichkeit“ ertragen, den Schrecken des Todes, „wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen“.[54] Der Philosoph darf sich nicht auf dem positiven Pol der existentiellen Spannung niederlassen; nur die Spannung in ihrer Polarität von wirklich und unwirklich ist die vollständige Wahrheit der Realität. Hegels wahres Selbst war in der Tat das eines großen Mystiker-Philosophen.[55]

Das Leiden an dem Dasein in Unwirklichkeit, das Wissen von seinem Tod, ist das Grab, aus dem Hegel als der Zauberer aufersteht und emporsteigt zu dem Element des Äthers. Der Zweck ist klar: Es ist nicht die Heilung von Verlorenheit und Entfremdung durch die Rückkehr zu dem Einen, sondern die Metastase der existentiellen Spannung als ein Ganzes. Es wird nicht länger Bewegungen und Gegenbewegungen innerhalb des Zwischen der Existenz geben; die existentielle Spannung selbst, zusammen mit ihren Polen von Gott und Mensch, muß in dem dialektischen Prozeß aufgelöst werden. Hegel ist ein energischer Denker, und da seinem wahren Selbst die Gegebenheiten zu dem Problem eingehend vertraut sind, ist die technische Aufgabe der Durchführung der Metastase nicht allzu schwierig:

(1) Da der Mensch die Spannung der Existenz von innen her erfährt, als die Realität, nach der er seine menschliche Natur ausrichten muß, muß die Spannung zuerst in ein Objekt verwandelt werden, auf das der Zauberer einwirken kann. Zu diesem Zweck erzeugt er die Hypostasen von Bewußtsein und Geist.

(2) Zweitens muß er eine Basis schaffen, von der aus die Operation durchgeführt werden kann.

Da er zum Bau der Basis keine anderen Mittel besitzt als seine eigene menschliche Natur, muß sein eigener Zustand der Verlorenheit und der Entfremdung in den absoluten Standpunkt verwandelt werden, von dem aus er operieren kann. Die neuplatonischen Symbole der „Rastlosigkeit“, des „Eingehens ins Werden“, der „Eigenbewegung“, der „Selbstbehauptung“ usw., die die Entfernung oder die Entlegenheit eines Menschen von der Realität ausdrücken, werden nun verwendet, um Realität im eminenten Sinne zu symbolisieren.

Insbesondere verwandelt Hegel das Selbst, das Ich und das Subjekt, die im Kontext der ersten Realität die tragende Kraft der Entfremdungsbewegung symbolisieren, in Hypostasen, die die Realität Gottes ersetzen sollen. Mehr noch, die „Energie des Denkens“, die ein Vermögen „des reinen Ichs“ ist, wird erkannt als „die ungeheure Macht des Negativen“ und, in dieser Eigenschaft, auf den Rang „der absoluten Macht“ erhoben. (3) Und drittens müssen die operativen Hypostasen Selbst, Ich und Subjekt in Beziehung gesetzt werden zu der Hypostase Geist, die zur Substanz gemacht wird. Das geschieht, indem der Substanz des Geistes die Eigenschaft des Werdens zugeschrieben wird und indem das operative Subjekt zur bewegenden Kraft in dem Werden des Geistes gemacht wird. Der Geist wird somit in eine Substanz verwandelt, die im Fortgang als das Subjekt zum reflektiven Bewußtsein gelangt; und das Subjekt kommt zu seinem Selbstbewußtsein als die operative Kraft im Werden der Substanz.

Die Technik von Hegels Zauberei ist einfach genug, um sie auf die drei genannten Regeln zu reduzieren. Aber Hegel formuliert diese Regeln nicht, durch die er den Zustand der Entfremdung in wahre Realität verwandelt; er ist mit dem metastatischen Akt selbst beschäftigt. Einige Textstellen werden die tatsächliche Situation verdeutlichen:

„Denn nur darum, daß das Konkrete sich scheidet und zum Unwirklichen macht, ist es das sich Bewegende. Die Tätigkeit des Scheidens ist die Kraft und Arbeit des Verstandes, der verwundersamsten und größten, oder vielmehr der absoluten Macht. (...) Der Tod, wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen, ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten, das, was die größte Kraft erfordert. (...) Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. (...) er ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es in das Sein umkehrt. – Sie ist dasselbe, was oben das Subjekt genannt worden (...).“[56]

Der Leser, der nicht weiß, daß die Symbole, die an dieser Stelle erscheinen, in der ersten Realität die Symbole der entfremdeten Existenz sind, wird kaum verstehen, was vor sich geht. Die magische Kraft des Zauberers wird endlich als das Subjekt identifiziert. Aber wie kommt das Subjekt zu seiner Zauberkraft? Die folgende Textstelle gibt Auskunft:

„Außer dem sinnlich angeschauten oder vorgestellten Selbst ist es vornehmlich der Name als Name, der das reine Subjekt, das leere begrifflose Eins bezeichnet. Aus diesem Grunde kann es z.B. dienlich sein, den Namen Gott zu vermeiden, weil dieses Wort nicht unmittelbar zugleich Begriff, sondern der eigentliche Name, die feste Ruhe des zum Grunde liegenden Subjekts ist; da hingegen z.B. das Sein oder das Eine, die Einzelheit, das Subjekt usf. selbst auch unmittelbar Begriffe andeuten.“[57]

Die Zauberkraft fällt dem Subjekt zu, weil das Subjekt die Metastase von Gott ist. Und was ist aus Christus geworden? Daß er hinausgeworfen werden muß, ist aus der Seite über Alexander und Aristoteles klar geworden, wo der Große Mann als der Mensch definiert wird, der auf „alle fremden Stützen“ verzichtet hat. Der Ausdruck „alle fremden Stützen“, von Hegel hervorgehoben, bezieht sich auf jede Stütze, die nicht weltimmanent ist.[58] Nun ist dieser Punkt auch geklärt; denn das Subjekt ist „die wahrhafte Substanz (...), das Sein oder die Unmittelbarkeit, welche nicht die Vermittlung außer ihr hat, sondern diese selbst ist“.[59]

Das Subjekt hat sowohl die Rolle des Einen als auch die des Mittlers übernommen. Der Zauberer hat sowohl die Macht von Gott als auch die von Christus in sich eingezogen. Aus den Texten ergeben sich die Grundzüge einer geistigen Biographie. Mit seinem wahren Selbst eines Mystikers erfährt Hegel seinen Zustand der Entfremdung als einen akuten Verlust von Realität und sogar als Tod. Aber er kann nicht oder er will nicht die Bewegung der Rückkehr einleiten; die epistrophê, die periagogê, ist unmöglich. Die Verzweiflung der Verlorenheit schlägt folglich um in die Stimmung der Revolte. Hegel verschließt seine Existenz; er entwickelt ein falsches Selbst; und er läßt sein falsches Selbst sich mit einem Akt der Selbsterlösung beschäftigen, der die periagogê ersetzen soll, zu der sein wahres Selbst sich als unfähig erweist. Die Entfremdung, die durch die Rückkehr geheilt werden kann, solange sie ein Zustand von Verlorenheit in offener Existenz bleibt, verhärtet sich jetzt zu dem Acheronta movebo (xx) des Zauberers, der, durch magische Operationen, die Erlösung von der Unwirklichkeit seiner Verlorenheit erzwingt. Da jedoch die Unwirklichkeit keine Macht zur Erlösung besitzt, und Hegels wahres Selbst weiß dies recht gut, muß das falsche Selbst den nächsten Schritt unternehmen und, durch die „Energie des Denkens“, die Realität Gottes in die Dialektik des Bewußtseins verwandeln: Die göttliche Macht fällt dem Subjekt zu, das mit der Selbsterlösung durch das Erreichen des Zustands des reflektiven Selbstbewußtseins beschäftigt ist. Wenn die Seele nicht zu Gott zurückkehren kann, muß Gott von sich selbst entfremdet und in den menschlichen Zustand der Entfremdung hineingezogen werden. Und schließlich, da keine dieser Operationen in der zweiten Realität irgend etwas in der umgebenden ersten Realität verändern, sondern nur die Isolation des Zauberers vom Rest der Gesellschaft zur Folge haben würden, muß die ganze Welt in die imaginäre zweite Realität hineingezogen werden. Der Zauberer wird zum Erlöser der „Zeit“, indem er sein System der Wissenschaft der Menschheit insgesamt als die neue Offenbarung auferlegt. Die ganze Menschheit muß sich dem Zauberer in der Hölle seiner Verdammnis anschließen.

Hegel kann die Gestalt der ökumenischen Menschheit jenseits der Zerrissenheit hervorrufen, weil dieses letzte Zeitalter jenseits der Geschichte liegt. Der Geist hat sich in der Zeit der Weltgeschichte bis zu seiner Erfüllung in der vollständigen Durchdringung der Substanz durch das Subjekt entfaltet. Vor Hegel konnte dieser Prozeß nicht verstanden werden, weil er noch nicht vollendet gewesen war; jetzt aber wird „die Bewegung des Begriffs die vollständige Weltlichkeit des Bewußtseins in ihrer Notwendigkeit umfassen“.[60] Der „Weltgeist“ hat die „ungeheure Arbeit“ unternommen, seine Gestalten in der „Weltgeschichte“ hervorzubringen; nun, da die Arbeit beendet ist, kann das „Individuum“, obwohl es weiterhin dieselbe Substanz mit Gedanken durchdringen muß, dies mit „geringere[r] Mühe“ tun, weil „die bezwungene Unmittelbarkeit, die Gestaltung bereits auf ihre Abbreviatur, auf die einfache Gedankenbestimmung, herabgebracht ist“. Der Inhalt der Weltgeschichte ist ein Gedachtes und wird dadurch das „Eigentum der Substanz“. Daher ist es nicht länger notwendig, „das Dasein in die Form des Ansichseins (...) umzukehren“; alles, was zu tun übrig geblieben ist, ist die Umkehrung des „erinnerte[n] Ansich in die Form des Fürsichseins“.[61] In eine verständlichere Sprache übersetzt, meinen diese Textstellen: Der Prozeß der Weltgeschichte hat seinen Weg durchlaufen. Jede Gestalt in der Geschichte ist ein Gedanke bei der Entfaltung des Geistes; und jeder Gedanke des Geistes ist Gestalt geworden. Das „Individuum“, d.h. Hegel, das heute die Geschichte verstehen will, muß nicht Weltgeist spielen und noch einmal die Geschichte ganz und gar vollziehen. Die Arbeit ist beendet. Nichtsdestoweniger muß es die Geschichte wiederaufführen in der Art der anamnesis, indem es die Ereignisse der Geschichte als Stufen im Denken des Geistes verständlich macht. Die Ereignisse müssen umgewandelt werden in die Gestalten des sich entfaltenden Bewußtseins, das zu seiner reflektiven Helle in dem Bewußtsein des „Individuums“ Hegel gelangt ist.

Die Menschen und die Ereignisse in der Geschichte verlieren ihreGegenwart unter Gott; sie werden umgekrempeltxxi („transmogrified“) zu Entwicklungsstufen in dem Prozeß des Bewußtseins, das das Subjekt ist, das Gott ist, das Hegel ist. So weit, aber nicht weiter geht Hegel bei der Erklärung seiner Technik der magischen Verwandlung. Überdies erfordert seine Erklärungsformel eine Übersetzung, um ihre Tragweite verständlich zu machen. Die Phänomenologie ist in der Tat ein »unverständliches« Buch, weil Hegel bei der Darlegung seines modus operandi nicht allzu weit gehen kann. Im vorliegenden Fall kann er nicht einfach sagen: Ich werde die Geschichte in offener Existenz verfälschen, bis sie in meine Geschichte in verschlossener Existenz paßt. Genauso wie er in einem früheren Fall nicht sagen konnte: Ich nehme Symbole der Entfremdung von verschiedenen Neuplatonikern, Gnostikern und Mystikern und werde sie als den Ausgangspunkt für mein magisches Unternehmen der Selbsterlösung verwenden. Die Wirksamkeit des grimoire hängt von der Verwandlung der ersten in die zweite Realität als ein fait accompli ab. Das Buch ist in einem magischen Code geschrieben, den der Leser, wenn er nicht reingelegt werden will, entschlüsseln muß. Dieses Verfahren der Entschlüsselung der Phänomenologie ist jedoch immer beschwerlich und manchmal nahezu unmöglich, besonders wenn politische Ereignisse in den Code eingefügt worden sind. Als ein Beispiel werde ich eine Textstelle anführen, für die wir glücklicherweise Hegels eigene Entschlüsselung besitzen:

„Wie das Reich der wirklichen Welt in das Reich des Glaubens und der Einsicht übergeht, so geht die absolute Freiheit aus ihrer sich selbst zerstörenden Wirklichkeit in ein anderes Land des selbstbewußten Geistes über, worin sie in dieser Unwirklichkeit als das Wahre gilt, an dessen Gedanken er sich labt, insofern er Gedanke ist und bleibt, und dieses in das Selbstbewußtsein eingeschlossene Sein als das vollkommene und vollständige Wesen weiß. Es ist die neue Gestalt des moralischen Geistes entstanden.“[62]

Über diese Textstelle schreibt Hegel in dem vorher angeführten Brief an Niethammer vom 29. April 1814: „Die ganze Umwälzung habe ich übrigens, wie ich mich rühmen will, vorausgesagt. In meinem Werke (in der Nacht vor der Schlacht von Jena vollendet) sage ich p. 547: „Die absolute Freiheit (sie ist vorher geschildert; es ist [die] rein abstrakte, formelle der französischen Republik, aus der Aufklärung, wie ich zeigte, hervorgegangen) geht aus ihrer sich selbst zerstörenden Wirklichkeit in ein anderes Land (ich hatte dabei ein Land im Sinne) des selbstbewußten Geistes über, worin sie in dieser Unwirklichkeit als das Wahre gilt, an dessen Gedanken er sich labt, insofern er Gedanke ist und bleibt und dieses in das Selbstbewußtsein eingeschlossene Sein als das vollkommene und vollständige Wesen weiß. Es ist die neue Gestalt des moralischen Geistes vorhanden.“[63]

Ich übersetze die Interpretation: Die wesentliche Freiheit des selbstbewußten Geistes war in der Fassung der französischen Republik durch eine Abstraktheit beeinträchtigt worden, die aus der Aufklärung stammte. Aufgrund dieser Abstraktheit entartete die Freiheit zu Gewalt und Schreckensherrschaft. Dennoch gibt es auch in der abstrakten Freiheit eine Wahrheit, die der Geist anerkennen wird, solange er ein Gedanke bleibt, ein Moment im dialektischen Prozeß. Dieser Gedanke darf jedoch nicht in die Tat umgesetzt werden. Aufgrund seiner Beeinträchtigung durch die abstrakte Freiheit in Frankreich wird der Geist weitergehen nach Deutschland. Der Übergang wird wirksam durch Hegels Einschluß der französischen Freiheit als einen „Gedanken“ in den Prozeß seines eigenen, vollendeten Selbstbewußtseins. Durch die Phänomenologie ist der Geist in seiner moralischen Gestalt (von Hegel hervorgehoben) in dem anderen „Land“ entstanden. Mit einer leichten Abänderung des Originaltextes kann der Brief daher berichten, daß diese moralische Gestalt nun in Deutschland vorhanden ist. – Ich sehe keinen Grund, Hegels Entzifferung von 1814 zu mißtrauen, aber durch das Lesen der Textstelle hätte ich niemals diese Interpretation vermutet.

Die gerade veranschaulichten Schwierigkeiten machen es unmöglich, den Zweck des grimoire zu verstehen ohne einen Schlüssel zur Hand, der Seite für Seite eine Entzifferung erlaubt. Ein solcher Schlüssel, der die „Gedanken“ der zweiten Realität vergleicht mit den Personen und den Ereignissen in der ersten Realität, die in „Gedanken“ umgewandelt worden sind, wurde von Alexandre Kojève im Laufe seiner Vorlesungen über die Phänomenologie ausgearbeitet und als ein Appendix zur Structure de la Phénoménologie in seiner Introduction à la Lecture de Hegel (1947) veröffentlicht. Ich gebe Kojèves Entzifferung für die kritische Seite an, auf der Hegel sein Verhältnis zu Napoleon formuliert.[64]

Hegels Text beginnt bzw. schließt mit den folgenden Sätzen: „Beide ihrer selbst gewissen Geister haben keinen andern Zweck als ihr reines Selbst (...). Aber sie sind noch verschieden; und die Verschiedenheit ist die absolute, weil sie in diesem Elemente des reinen Begriffes gesetzt ist. (...) Das versöhnende Ja, worin beide Ich von ihrem entgegengesetzten Dasein ablassen, ist das Dasein des zur Zweiheit ausgedehnten Ich, das darin sich gleich bleibt (...); – es ist der erscheinende Gott mitten unter ihnen, die sich als das reine Wissen wissen.“[65]

Nach Kojèves Interpretation hat diese Seite die folgende Bedeutung:

„Man gelangt schließlich zu einer Dualität: der Verwirklicher – der Offenbarer, Napoleon – Hegel, die Tat (universal) und das Wissen (absolut). Auf der einen Seite ist Bewußtsein, auf der anderen – Selbstbewußtsein. Napoleon ist auf die äußere Welt ausgerichtet (soziale und natürliche): Er versteht sie, da er erfolgreich handelt. Aber er versteht sich nicht selbst (er weiß nicht, daß er Gott ist). Hegel ist auf Napoleon ausgerichtet: Aber Napoleon ist ein Mensch, er ist der »vollkommene« Mensch durch die vollständige Integration der Geschichte; ihn zu verstehen bedeutet, den Menschen zu verstehen, sich selbst zu verstehen. Indem er Napoleon versteht (d.h. rechtfertigt), vollendet Hegel also sein Selbstbewußtsein. So wird er ein Weiser, ein »vollendeter« Philosoph. Wenn Napoleon der geoffenbarte Gott ist (der erscheinende Gott), ist es Hegel, der ihn offenbart. Der absolute Geist (...), der durch Napoleon verwirklicht und durch Hegel offenbart wird.

Dennoch: Hegel und Napoleon sind zwei verschiedene Menschen; das Bewußtsein und das Selbstbewußtsein sind also noch getrennt.

Nun mag aber Hegel den Dualismus nicht. Muß nicht die letzte Dyade aufgehoben werden?

Dies könnte geschehen, wenn Napoleon Hegel in der Weise »erkennen« würde, wie Hegel Napoleon »erkannt« hat. Erwartete Hegel vielleicht (1806), von Napoleon nach Paris berufen zu werden, um dort der Philosoph (der Weise) des universalen und homogenen Staates zu werden, der die Tätigkeit Napoleons erklärt (rechtfertigt) – und vielleicht lenkt?

Seit Platon hat eine solche Verbindung die großen Philosophen immer gereizt. Aber der Text der Phänomenologie, der sich hierauf bezieht, ist (bewußt?) dunkel.

Wie dem auch sei, – die Geschichte ist beendet.“[66]

So wie im Fall von Hegels eigener Entzifferung der Seite 422 der Phänomenologie in dem Brief an Niethammer muß ich sagen, daß mir diese Interpretation wahrscheinlich niemals eingefallen wäre.

Tatsächlich zeigen die Randbemerkungen in meinem Exemplar, daß ich die Möglichkeit einer Hegelianischen Entsprechung zur trinitarischen Spekulation erwogen hatte, bevor mir Kojèves Arbeit bekannt wurde.

Obwohl sie grundsätzlich akzeptiert werden muß, ist die Interpretation nicht in jeder Einzelheit überzeugend. Es verbleibt darin die Unvereinbarkeit von einer Dyade in dem Werk eines Denkers, der sicherlich „den Dualismus nicht (mag)“. Kojève spürt zwar das Problem, aber die Lösung, die er vorschlägt, kann nicht durch Beweise gestützt werden. Mehr noch: Daß Hegel eine imitatio Platonis erwogen haben soll und mit dem Gedanken spielte, Napoleons HofPhilosoph zu werden, widerspricht nicht nur der Vorstellung von seiner Rolle als der Große-Große Mann der Geschichte, sondern auch all dem, was wir über sein scharfsinniges Verständnis politischer Prozesse in der ersten Realität wissen. Die Andeutung von Platons Beispiel ist besonders unglücklich, weil Hegel recht freimütig gewesen ist über Platons Versuch, „das Individuum“ nur als „Mittel“ zu gebrauchen, um sein „Ideal eines Staates“ zu verwirklichen – mit einem Seitenhieb gegen die Wahl von Dionysios als einen Schüler.[67] Aber auch wenn man Platon-Dionysios ersetzt durch Aristoteles-Alexander als das Modell, ergeht es einem nicht besser, weil Hegel betont, daß Aristoteles sich auf die Bildung von Alexanders Persönlichkeit beschränkte und nicht seine Politik beeinflußte – die Expansion in Asien war auch unter Philipp II. ein Plan des mazedonischen Hofes und seines Stabes.[68] Und dann muß man Hegels Ver sicherung respektieren, daß er Napoleons Debakel in der Phänomenologie mit guten Gründen vorhergesagt hatte – was um so mehr geglaubt werden muß, als das Jahr von Austerlitz auch das Jahr von Trafalgar gewesen war, und Hegel in seiner Einschätzung der Situation nicht allein war. Nein, Hegel hatte nicht die Absicht, die Hauptrolle in einer Shawschen Komödie Des Kaisers Philosoph zu spielen.

Der Anschein einer Unvereinbarkeit kann durch ein genaueres Lesen des Textes aufgelöst werden. Zunächst einmal ist die Dyade keine statische Wesenheit, sondern eine Beziehung zwischen Momenten in Hegels Bewußtsein, an dem Punkt des Übergangs zu der Monade des Ich. Die zwei Ichs sind im Begriff, „von ihrem entgegengesetzten Dasein ab(zu)lassen“ und durch „das versöhnende Ja“, zu dem einen Dasein des einen Ich zu werden, das sich ausgedehnt hat zur Zweiheit. Das wäre eine verblüffende Tat in der ersten Realität; aber da sie in der zweiten Realität des Bewußtseins durchgeführt wird, das ohnehin niemandes Bewußtsein ist, kann ein kompetenter Zauberer sie recht leicht vollbringen, indem er die Worte ausspricht: Das Dasein des zur Zweiheit ausgedehnten Ichs. Auch so ist das Resultat außergewöhnlich, insofern als die Monade, in Einklang gebracht mit ihrer Ausdehnung zur Dyade, der erscheinende Gott ist mitten unter uns, die wir uns als reines Wissen wissen.[69]

Ist die technische Frage der Dyade durch einfache Zauberei gelöst worden, verbleibt die Frage, warum die lästige Dyade zunächst einmal hätte auftreten sollen? Um das Auftreten der Dyade zu verstehen, muß man sich an die empirische Bedingung, die von Hegel selbst gesetzt worden ist, für die Konstruktion seines Systems der Wissenschaft erinnern: Die Weltgeschichte muß zu ihrem Ende gekommen sein; der Geist, der sich seinen Weg durch die Gestalten der Geschichte hindurch bahnt, muß seine Substanz vollständig mit seinem Subjekt durchdrungen haben; und der Weg der Gestalten ist der Weg des selbst-affirmativen Andersseins, des Bösen, der Härte im Geist. Das Ende der Geschichte bedeutet die letztendliche Versöhnung von Sein und Anderssein im Geist durch ihr wechselseitiges Erkennen und ihre Verzeihung. Dieses Ende der Geschichte muß sich jedoch wirklich ereignet haben oder es muß dabei sein, sich zu ereignen, erkennbar als eine Begebenheit in der ersten Realität, oder das System wäre eine Einbildung, ohne Beziehung zur ersten Realität, in der seine Magie wirken soll. Dieses Ereignis ist für Hegel die Französische Revolution und das Napoleonische Reich. Alle anderen Ereignisse gehören, hinsichtlich ihres Andersseins, der Vergangenheit an; nur ihre Erinnerung benötigt die Umwandlung in den „Gedanken“ des Bewußtseins. In der Gegenwart jedoch, in der die Geschichte zu ihrem Ende kommt, in der Revolution und in dem Reich, ist das reflektive Bewußtsein dem Anderssein in der Wirklichkeit seiner Härte gegenübergestellt. Diese Härte des Ich in seinem Anderssein erfordert ein Erkennen durch das Ich, das mit dem Umwandlungsprozeß beschäftigt ist. In der Gegenwart, in der Napoleon und Hegel vorkommen, wird die Verschiedenheit zwischen den beiden Geistern „absolut (...), weil sie in diesem Elemente des reinen Begriffes gesetzt ist“. Beide zusammen, in ihrer Verschiedenheit und in ihrem Gegensatz, sind „das vollkommen Innre, das so sich selbst gegenüber und ins Dasein getreten ist“.[70]

„Das Wort der Versöhnung ist der daseiende Geist (...). Er tritt ins Dasein nur auf der Spitze, auf welcher sein reines Wissen von sich selbst der Gegensatz und Wechsel mit sich selbst ist.“[71] Die Spannung von Sein und Anderssein kommt zu ihrem Bewußtsein als die dyadische Struktur des Ichs in der metastatischen Gegenwart, wenn der Geist sich selbst gegenübertritt in der Dyade von Reich und System.

Die dyadische Monade ist der Geist im Akt der Metastase. „Indem also der Geist den Begriff gewonnen, entfaltet er das Dasein und Bewegung in diesem Äther seines Lebens, und ist Wissenschaft.“[72]

Seine Tiefe ist offenbart worden; und diese Offenbarung ist die Aufhebung seiner Tiefe.[73] Durch die Erhöhung des Andersseins zum Element des Äthers hat Hegel nicht nur die Zerrissenheit der „Zeit“, sondern die der Menschheit geheilt und hat die „neue Welt“ des Daseins hervorgerufen. Der magische Akt ist vollendet, und Hegel steht es jetzt frei, sich als der Philosoph in dem Äther des Begriffs zu bewegen. Was es bedeutet, ein Philosoph zu sein, der die Gestalt der Geschichte bestimmt hat, kann aus der folgenden Textstelle geschlossen werden:

„Die Philosophen sind dabei dem Herrn näher, als die sich nähren von den Brosamen des Geistes; sie lesen, oder schreiben diese Kabinetsordres gleich im Original: sie sind gehalten, diese mitzuschreiben. Die Philosophen sind die mystai, die beim Ruck im innersten Heiligthum mit und dabei gewesen (...).“[74]

Die verächtliche Anspielung auf die Parabel vom Reichen Mann und Lazarus in Lukas 16 enthüllt – besser, als weitschweifige Erklärungen dies könnten – die Richtung, in die Hegels libido dominandi sich bewegt: Um der Offenbarer der göttlichen Kabinetsordres zu sein, muß er Christus an der Seite Gottes ersetzen. Und er beseitigt Christus tatsächlich. In der Wissenschaft der Logik (1812) können wir den neuen Christus bewundern, der sich in seiner Stellung in angemessener Form niedergelassen hat, das neue Evangelium aussendend:

„Die Logik ist sonach als das System der reinen Vernunft, als das Reich  des  reinen  Gedankens  zu  fassen.  Dieses  Reic h   ist  die   Wahrheit ,   wie   sie   ohne   Hülle   an   und   fürsich selbstist . Man kann sich deswegen ausdrücken, daß dieser Inhalt  die  Darstellung  Gottes  ist,  wie   er   inseinem   ewigen    Wesen    vor    der  Erschaffung der  Natur un deine sendlichen Geistesist. “[75

Im Anfang war der Logos; und der Logos war bei Gott; und Gott war der Logos. Das »Im Anfang« von Hegels Konstruktion, in dem Element des Äthers, ist schließlich zum en arche des Logos vor der Schöpfung aus dem Johannes-Evangelium geworden. Der erscheinende Gott erweist sich als der Zauberer, der sich selbst auf wunderbare Weise zu Christus umgewandelt hat.

© 2005 Eric-Voegelin-Archiv, Ludwig-Maximilians-Universität München

OCCASIONAL PAPERS, IX, April 1999

 

 

Anmerkungen des Herausgebers und des Übersetzers

(i) „ennui“ und „divertissement“ werden im englischen Originaltext von Voegelin verwendet und für die vorliegende Übersetzung übernommen – in der Bedeutung, mit der Pascal sie in den Pensées gebraucht: „Zerstreuung“ (divertissement) und „Langeweile“ (ennui). Siehe: Über die Religion. Hrsg. und übersetzt von E. Wasmuth. Heidelberg: Verlag Lambert Schneider, 1954. S. 75ff.

(ii) Bei Voegelin steht ohne vorhergehende Erläuterung die Abkürzung „MS“ für „Moral System“.

(iii) In den folgenden Absätzen, wie auch im weiteren Verlauf des gesamten Essays, faßt Voegelin den Text aus Hoffmeisters Dokumente zu Hegels Entwicklung überwiegend in eigenen Worten zusammen, lediglich mit eingefügten Zitat-Fragmenten. In der vorliegenden Übersetzung werden deshalb den Fußnoten Voegelins die jeweiligen Original-Passagen aus Hoffmeisters Dokumente angefügt. Ebenso wird an den Textstellen verfahren, in denen Voegelin direkt aus Hegels Werken zitiert. Die entsprechenden Fußnoten werden dort durch umfassendere Hegel-Passagen ergänzt, soweit dies einem besseren Verständnis dient.

(iv) In Englisch: „pneumatism“.

(v) In Englisch: „sectarian spirituals“.

(vi) In Englisch: „imaginative construction“.

(vii) In Englisch: „imaginator“.

(viii) Zum Gebrauch des Terminus zweite Realität siehe Voegelins Autobiographische Reflexionen. Hrsg. von Peter J. Opitz. München: Wilhelm Fink Verlag, 1994. S. 119.

(ix) „reflectively“ wird in Anlehnung an die Übersetzung von Voegelins Essay Equivalences of Experience and Symbolization in History (1970) durch Helmut Winterholler mit dem Begriff „reflektiv“ ins Deutsche übertragen. Winterhollers Erläuterung besitzt auch für die vorliegende Übersetzung Gültigkeit: „»a reflective inquiry« – die geläufigen deutschen Ausdrücke »reflexiv« oder »reflektierend« sind zu spezifisch, um den Gedanken auszudrücken, (...), nämlich eine Suche, die sich selbst, bzw. die früheren Phasen dieser Suche, zum Gegenstand hat, und die sich insofern auf sich selbst zurückwendet. Deshalb wurde für die Übersetzung der Neologismus »reflektiv« gewählt.“ In: Eric Voegelin: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte. Späte Schriften – eine Auswahl. Hrsg. v. Peter J. Opitz. Stuttgart: KlettCotta, 1988. S. 206. – Verwendet Voegelin für Hegels Kombinationen des „in sich (selbst) reflektierend“ das Adjektiv „self-reflective“, so wird auch hierfür im folgenden der Neologismus „reflektiv“ herangezogen.

(x) „imagination“ ist bei Voegelin nicht Phantasie, sondern die Kraft, einen Weg von den existentiellen Erfahrungen zu ihrer Symbolisierung zu finden, und zwar sowohl formativ wie deformativ.

(xi) „grimoire“ („Zauberbuch“) wird von Voegelin im englischen Originaltext verwendet. ¨

(xii) „humanity“ wird an dieser Stelle mit „Humanität“ übersetzt, im weiteren auch – je nach inhaltlichem und syntaktischem Kontext – mit „Menschlichkeit“ und „Menschsein“. Seit 1967 arbeitete Voegelin an einem neuen Projekt, einer „systematischen Geschichtsphilsophie“, wie er es selbst nannte, das den Titel „The Drama of Humanity“ trug. In diesem Text heißt es zu „humanity“: „Menschsein bedeutet demzufolge einen Modus des Selbstverständnisses in Beziehung zu Gott, zur Welt, zur Gesellschaft und hieße, dass diese Modi sich verändern. Und Geschichte wäre dann das Drama (falls sich ein Sinn darin entdecken lässt) des Menschseins, dieses Selbstverständnis des Menschen.“

(xiii) Zum Gebrauch der Termini Metastase (griech.: metastasis „Umwandlung, Veränderung“) bzw. metastatisch siehe Voegelins Autobiographische Reflexionen, S.88–89). Voegelin schrieb dort: „Der Terminus metastatische Apokalypse bedarf einer kurzen Erläuterung. Ich entwickelte den Begriff bei meinen Studien über die israelitischen Propheten. Bei der Prophezeiung des Isaias haben wir den merkwürdigen Fall, daß der Prophet dem König von Juda rät, nicht auf die Befestigungen Jerusalems und die Schlagkraft seiner Armee zu vertrauen, sondern allein auf seinen Glauben an Jahwe. (...) Ich verwendete nicht den Begriff Magie für den Rat des Isaias, sondern schuf einen neuen Terminus, um die spezifische, sublimierte magische Auffassung von der Möglichkeit der Veränderung der Realität durch einen Akt des Glaubens zu bezeichnen. Und diese Art des Glaubens nannte ich metastatischer Glaube, der Glaube an eine Metastasis – Veränderung – der Realität durch einen Akt des Glaubens. Ich bin mir nicht sicher, ob ich heute noch einmal diesen Kompromiß eingehen würde. Denn diese Art des Glaubens ist in der Tat magisch, wenngleich man diese »sublimierte« Variante gegen primitivere magische Handlungen abgrenzen muß. Würde man wirklich eine scharfe Linie zwischen Magie und metastatischem Glauben ziehen, wäre zu befürchten, daß der ihnen gemeinsame Aspekt – der Versuch, ein gewünschtes Ziel durch Mittel jenseits der natürlichen Kausalitätsbeziehungen zu erreichen – aus dem Blickfeld gerät.“ Siehe dazu im Einzelnen: Eric Voegelin: Ordnung und Geschichte, Bd. 3: Israel und die Offenbarung: Mose und die Propheten. Hrsg. von Friedhelm und Jörg Jeremias. München: Fink Verlag, 2005. S. 104ff.

(xiv) Vgl. hierzu Voegelins Schrift Der Gottesmord. Zur Genese und Gestalt der modernen politischen Gnosis. Hrsg. u. eingel. v. Peter J. Opitz. Mit einem Nachwort von Thomas Hollweck. München: Fink Verlag, 1999. Eric Voegelin: Nietzsche und Pascal, in: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur. Hrsg. von der Akademie der Künste, 56. Jahr/2004/3. Heft. Berlin: Aufbau Verlag. S. 293-334.

(xv) Auf Englisch: „Hegel was a mystic manqué.”

(xvi) Zum Motiv des Großen Mannes vgl. Hoffmeisters Dokumente, S. 345- 346.

(xvii) Die Übersetzung des Terminus „luminous“ (bzw. „luminosity“ an späterer Stelle) mit durchsichtig“ (bzw. „Helle“) geschieht in Angleichung an Voegelins deutsche Veröffentlichungen (z.B. Anamnesis, S. 293f). Vgl. hierzu Winterholler (in: Eric Voegelin: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte. S. 206).

(xviii) Auf Englisch: „order to power“.

(xix) In: Plotins Schriften. Übersetzt von Richard Harder. Bd. I. Leipzig: Felix Meiner, 1930. S. 110. Die Plotin-Übersetzung Harders wurde dem Duktus Voegelins leicht angepaßt.

(xx) Siehe Vergil: Aeneis 7: 312.

(xxi) Auf Englisch: „transmogrified“.

On Hegel – A Study in Sorcery, in: Studium Generale, No. 24, Julius-Springer-Verlag, 1971, S. 335–368. Nachdruck in: The Study of Time, ed. by J. T. Fraser, F. C. Haber, G. H. Müller, Berlin – Heidelberg: Julius Springer, 1972, S. 418–451. Nachdruck in: Eric Voegelin, Collected Works, Vol. 12, ed. by Ellis Sandoz, Baton Rouge – London: Louisiana State University Press, 1990, S. 213–255.

 

[1] Zur modernen Geschichte der Melancholie und Langeweile vgl. die jüngste Studie von Wolf Lepenies: Melancholie und Gesellschaft. Frankfurt/M:1969.

[2] Aus dem »System der Sittlichkeit«, das mittlerweile verlorengegangen ist, wurde durch Rosenkranz und Haym teilweise exzerpiert, teilweise wurde darüber berichtet. Eine kritische Ausgabe, die sich auf diese Berichte stützt, wurde von Johannes Hoffmeister herausgegeben: Dokumente zu Hegels Entwicklung. Stuttgart: Frommanns Verlag, 1936. Zur Langeweile der Welt siehe S. 318.

[3] Johannes Hoffmeister: Dokumente zu Hegels Entwicklung: 318. Die entsprechende Passage bei Hoffmeister lautet: „die sittlichen Organisationen, die freien Staaten des Altertums, in denen die Vernunft in Geistgestalt objektiv geworden, verloren ihre Lebendigkeit; auch ihre Götter entflohen ihnen in Folge dessen; auch das Pantheon der Naturreligion wurde ausgeleert. Auf dieser götterlosen Erde nun und unter einem Geschlechte, das mit lebendigem Nationalgeiste und Staatssinn alle Scheu gegen die entgötterte Natur verloren hatte, mußte das Gefühl eines unendlichen sittlichen Schmerzes sich einfinden. Die Zeit dieses unendlichen Schmerzes war gekommen, als die Römer die lebendige Individualität der Völker zerschlagen, damit ihre Geister verjagt, ihre Sittlichkeit zerstört und über die Vereinzelung die leere Allgemeinheit ihrer Herrschaft ausgebreitet hatten. Zur Zeit dieser Vereinzelung, die keine Versöhnung fand, und dieser Allgemeinheit, die kein Leben hatte, in dieser Lange - weileder Welt, als allenthalben auf dem gebildeten Erdboden Frieden herrschte, mußte die ursprüngliche Identität aus der Zerrissenheit ihre ewige Kraft über ihren Schmerz erheben und zu ihrer eigenen Anschauung wiedergelangen, oder das Geschlecht der Menschen mußte in sich zu Grunde gehen.“

[4] Ebd.: 319. „Christus ist dadurch Stifter einer Religion geworden, daß er das Leiden seiner ganzen Zeit aus innerster Tiefe aussprach, die Kraft der Göttlichkeit des Geistes, die absolute Gewißheit der Versöhnung, die er in sich trug, darüber erhob und durch seine Zuversicht die Zuversicht Anderer erweckte.“

[5] Ebd.: 322. „Dies ist dann in der christlichen Religion mit vollendeter W e i s h e i t geschehen. Der Mensch wird durch eine unendliche Summe von v e r a n s t a l t e t e n m  Z u s t ä n d e n bis zu den Schmerzen des göttlichen Todes und des Sterbens alles Lebens geführt und aus diesem Tode wieder zum Einswerden mit dem Gottmenschen, in welchem das Geschlecht versöhnt ist, durch Essen seines Leibes und Trinken seines Blutes, die innigste Art der Vereinigung, aufgeweckt und geheiligt. Die Geschichte Gottes ist die Geschichte des ganzen Geschlechts, und jeder Einzelne geht durch diese ganze Geschichte des Geschlechts hindurch. Vom wiedergeweihten Menschen aus wird auch die ganze Natur wieder geheiligt, ein Tempel des wiedererweckten Lebens. A l l e m w i r d d i e n e u e  W e i h e g e g e b e n. Die Herrschergewalt des Monarchen wird von der Religion aus geweihet: sein Szepter enthält ein Stück des heiligen Kreuzes. Alles Land ist mit besonderen Boten Gottes bedacht worden und mit ihren Spuren bezeichnet. Jedes kann sich seiner eigenen heiligen Geschichte seiner Wiederversöhnung rühmen und hat die neue Weihe i n d i v i d u a l i s i e r t. Allem einzelnen Tun und allen Dingen des höchsten und niedrigsten Tuns wird von neuem die Weihe gegeben, die sie verloren haben; – der alte Fluch, der auf Allem liegt, ist gelöst, die ganze Natur zu Gnaden angenommen und ihr Schmerz versöhnt.“

[6] Ebd.: 323. „Im K a t h o l i z i s m u s ist die christliche Religion zur ‚ s c h ö n e n  R e l i g i o n ‘ geworden. Der P r o t e s t a n t i s m u s hat die Poesie der Weihe, die Individualisation der Heiligung aufgehoben und die Farbe der Allgemeinheit wieder über die v a t e r l ä n d i s c h geheiligte Natur ausgegossen und das religiöse Vaterland und die Erscheinung Gottes wieder aus dem eigenen Vaterlande in weite Entfernung verwiesen. (...) und so konnte diese Religionsform in die empirische Versöhnung mit der Wirklichkeit des Daseins, und ein unvermitteltes, nicht gestörtes Versenken in die Gemeinheit der empirischen Existenz und der alltäglichen Notwendigkeit übergehen. Jene religiöse Erhebung und die Heiligung des empirischen Daseins, der S a b b a t h d e r   W e l t , ist verschwunden, und das Leben ein gemeiner, unheiliger Werkeltag geworden.“

[7] Ebd.: 323-324. „Hegel glaubte, daß aus dem Christentum durch die V e r m i t t - l u n g d e r   P h i l o s o p h i e  eine  d r i t t e Form der Religion sich hervorbilden werde. Er sagte in dieser Hinsicht: »Weil jene Schönheit und Heiligung hinunter ist, so kann sie w eder zurück kehren noch betrauert , sondern nur d i e   N o t w e n d i g k e i t i h r e s   V e r g e h e n s e r k a n n t , so wie das Höhere geahnt werden, dem sie den Weg zu bereiten hat und das an ihre Stelle treten muß. (...) die Natur ist geheiligt, aber nicht durch einen eigenen Geist; sie ist versöhnt, aber sie bleibt für sich ein Unheiliges, wie zuvor. Die Weihe kommt von einem Äußeren.« »Die ganze geistige Sphäre ist nicht aus eigenem Grund und Boden in die geistige Region emporgestiegen. Der unendliche Schmerz ist in der Heiligung permanent und die Versöhnung selbst ein bloßer Seufzer nach dem Himmel. – Diese idealische Sphäre bildet ein regelloses, abenteuerliches Reich, aus der Zufälligkeit aller Geschichten und der Phantasie aller Völker und Klimate zusammengetragen, ohne Bedeutung und Wahrheit für die Natur, die ihm unterworfen wird, sowie ohne daß der Geist der Individuen eines Volkes sein Recht darin behauptete; er ist ohne eigentümliche Phantasie, sowie ohne eigentümliche Weihe.« Im Protestantismus kommt das Bewußtsein durch die Philosophie über dies Verhältnis zum Durchbruch. Durch die Philosophie erhält nun allererst »die Vernunft ihre Lebendigkeit und die Natur ihren Geist zurück«. »Nachdem nun der Protestantismus die fremde Weihe ausgezogen, kann der Geist sich als Geist in eigener Gestalt zu heiligen und die ursprüngliche Versöhnung mit sich in einer n e u e n  R e l i g i o n herzustellen wagen, in welche der unendliche Schmerz und die ganze Schwere seines Gegensatzes aufgenommen, aber ungetrübt und rein sich auflöst, wenn es nämlich ein f r e i e s V o l k geben und die Vernunft ihre Realität als einen sittlichen Geist wiedergefunden haben wird, der die Kühnheit haben kann,  a u f e i g e n e m   B o d e n u n s a u s e i g e n e r   M a j e s t ä t s i c h   s e i n      e r e l i g i ö s e  G e s a l t z u n e h m e n .«“

[8] Zur Frage der zwei Selbsts vgl. Ronald D. Laing: The Divided Self. An existential study in sanity and madness. Tavistock Publications, 1960; dt. Übersetzung: Das geteilte Selbst. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1972.

[9] Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Stuttgart: Philipp Reclam, 1961. S.593.

[10] Hoffmeister: Dokumente zu Hegels Entwicklung: 324.

[11] Ebd.: 323. „D e r  P r o t e s t a n t i s m u s (...) hat der Religion den ganzen Charakter n ö r d l i c h e r Subjektivität aufgedrückt.“

[12] Ebd.: 314.

[13] Ebd.: 324–325

[14] Ebd.: 325.

[15] Hegel: Phänomenologie des Geistes. In: J. Hoffmeister (Hrsg.): Hegel. Sämtliche Werke. Bd. V. Hamburg: Felix Meiner, 1952.

[16] Ebd.: 12.

[17] Über Aristoteles' Prinzip der Äquivalenz vgl. meine Schrift Anamnesis. München: Piper Verlag, 1966. S. 297–299.

[18] Hegel: Phänomenologie des Geistes: 556. „Diese letzte Gestalt des Geistes, der Geist, der seinem vollständigen und wahren Inhalte zugleich die Form des Selbsts gibt, und dadurch seinen Begriff ebenso realisiert, als er in dieser Realisierung in seinem Begriffe bleibt, ist das absolute Wissen; es ist der sich in Geistsgestalt wissende Geist oder das begreifende Wissen. (...) Dadurch ist dasjenige zum Elemente des Daseins oder zur Form der Gegenständlichkeit für das Bewußtsein geworden, was das Wesen selbst ist, nämlich der Begriff. Der Geist in diesem Elemente dem Bewußtsein erscheinend, oder was hier dasselbe ist, darin von ihm hervorgebracht, ist die Wissenschaft.“

[19] Ebd.: 557–558. „In der Wirklichkeit ist nun die wissende Substanz früher da, als die Form oder Begriffsgestalt derselben. Denn die Substanz ist das noch unentwickelte Ansich, oder der Grund und Begriff in seiner noch unbewegten Einfachheit, also die Innerlichkeit oder das Selbst des Geistes, das noch nicht da ist. Was da ist, ist als das noch unentwickelte Einfache und Unmittelbare, oder der Gegenstand des vorstellenden Bewußtseins überhaupt. Das Erkennen (...) hat aus diesem Grunde zuerst nur einen armen Gegenstand, gegen welchen die Substanz und deren Bewußtsein reicher ist. Die Offenbarkeit, die sie in diesem hat, ist in der Tat Verborgenheit, denn sie ist das noch selbstlose Sein, und offenbar ist sich nur die Gewißheit seiner selbst. (...) Es muß aus diesem Grunde gesagt werden, daß nichts gewußt wird, was nicht in der Erfahrung ist, oder wie dasselbe auch ausgedrückt wird, was nicht als gefühlte Wahrheit, als innerlich geoffenbartes Ewiges, als geglaubtes Heiliges, oder welche Ausdrücke sonst gebraucht werden, – vorhanden ist.“

[20] Ebd.: 558.

[21] Ebd.: 559. „Eh daher der Geist nicht an sich, nicht als Weltgeist sich vollendet, kann er nicht als selbstbewußter Geist seine Vollendung erreichen. Der Inhalt der Religion spricht darum früher in der Zeit, als die Wissenschaft, es aus, was der Geist ist; aber diese ist allein sein wahres Wissen von ihm selbst. Die Bewegung, die Form seines Wissens von sich hervorzutreiben, ist die Arbeit, die er als wirkliche Geschichte vollbringt.“

[22] Ebd. „Denn die Erfahrung ist ebendies, daß der Inhalt – und er ist der Geist – an sich, Substanz und also Gegenstand des Bewußtseins ist. Diese Substanz aber, die der Geist ist, ist das Werden seiner zu dem, was er an sich ist; und erst als dies sich in sich reflektierende Werden ist er an sich in Wahrheit der Geist. Er ist an sich die Bewegung, die das Erkennen ist, – die Verwandlung jenes Ansichs in das Fürsich, der Substanz in das Subjekt, des Gegenstands des Bewußtseins in Gegenstand des Selbstbewußtseins, d.h. in ebensosehr aufgehobnen Gegenstand, oder in den Begriff. Sie ist der in sich zurückgehende Kreis, der seinen Anfang voraussetzt, und ihn nur im Ende erreicht.“

[23] Hegel-Forscher haben dieses Problem erwähnt. In: Joerg Splett: Die Trinitätslehre G.W.F. Hegels. Freiburg/München 1965, S. 150-154. Der Autor gibt einen Überblick der verschiedenen, teils ausweichenden oder verlegenen, Antworten hierzu. Die beste Aussage stammt von Gadamer: „Der archimedische Punkt, die Hegelsche Philosophie aus den Angeln zu heben, kann in der Reflexion nie gefunden werden. Das gerade macht die formale Qualität der Reflexionsphilosophie aus, daß es keine Position geben kann, die nicht in die Reflexionsbewegung des zu sich selbst kommenden Bewußtseins einbezogen ist.“ (Hans Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Tübingen: 1960, S. 326)

[24] Hegel: Phänomenologie des Geistes: 471–472. „(...) es ist das wirkliche Ich, das allgemeine sich selbst Wissen in seinem absoluten Gegenteile, in dem insichseienden Wissen, das um der Reinheit seines abgesonderten Insichseins willen selbst das vollkommen Allgemeine ist. (...) das Dasein des zur Zweiheit ausgedehnten Ichs, das darin sich gleich bleibt und in seiner vollkommenen Entäußerung und Gegenteile die Gewißheit seiner selbst hat; – es ist der erscheinende Gott mitten unter ihnen, die sich als das reine Wissen wissen.“

[25] Ebd.: 559

[26] Ebd.: 472.

[27] Hoffmeister. Dokumente zu Hegels Entwicklung: 314.

[28] Hegel: Phänomenologie des Geistes: 69.

[29] Ebd.: 69–70. „Bei dem Gefühle dieser Gewalt mag die Angst vor der Wahrheit wohl zurücktreten und sich dasjenige, dessen Verlust droht, zu erhalten streben. Sie kann aber keine Ruhe finden, es sei, daß sie in gedankenloser Trägheit stehen bleiben will; der Gedanke verkümmert die Gedankenlosigkeit, und seine Unruhe stört die Trägheit; oder daß sie als Empfindsamkeit sich befestigt, welche alles in seiner Art gut zu finden versichert; diese Versicherung leidet eben so Gewalt von der Vernunft, welche gerade darum etwas nicht gut findet, insofern es eine Art ist. Oder die Furcht der Wahrheit mag sich vor sich und andern hinter dem Scheine verbergen, als ob gerade der heiße Eifer für die Wahrheit selbst es ihr so schwer, ja unmöglich mache, eine andere Wahrheit zu finden als die einzige der Eitelkeit, immer noch gescheiter zu sein als jede Gedanken, welche man aus sich selbst oder von andern hat; diese Eitelkeit, welche sich jede Wahrheit zu vereiteln, daraus in sich zurückzukehren versteht und an diesem eignen Verstande sich weidet, der alle Gedanken immer aufzulösen und statt alles Inhalts nur das trockne Ich zu finden weiß, ist eine Befriedigung, welche sich selbst überlassen werden muß; denn sie flieht das Allgemeine und sucht nur das Fürsichsein.“

[30] Zu dem Problem des Mystizismus und seiner Deformation durch Hegel siehe die ausgezeichnete Anmerkung bei Alexandre Kojève: Introduction à la lecture de Hegel.  Leçons sur la Phénoménologie de l'Esprit. Paris: 1947, 296.

[31] Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Bd. III (Jubiläumsausgabe, Vol. 18/19, hrsg. von Glockner). Stuttgart: Frommanns, 1959. S.188–189. Die Vorlesung über die Geschichte der Philosophie wurde das erste Mal im WinterSemester 1805/1806 in Jena gehalten.

[32] Ebd.:193. „Regieren heißt, daß der wirkliche Staat bestimmt werde, in ihm gehandelt werde nach der Natur der Sache. Dazu gehört Bewußtseyn des Begriffs der Sache; dann wird die Wirklichkeit mit dem Begriff in Uebereinstimmung gebracht, die Idee kommt zur Existenz. (...) In der Geschichte soll die Idee vollbracht werden; Gott regiert in der Welt, die Idee ist die absolute Macht, die sich hervorbringt. Die Geschichte ist die Idee, die sich auf natürliche Weise vollbringt, nicht mit dem Bewußtseyn der Idee, –freilich mit Gedanken, aber mit bestimmten Zwecken, Umständen. Es wird nach allgemeinen Gedanken des Rechts, Sittlichen, Gottgefälligen gehandelt; die Idee wird so verwirklicht, aber durch Vermischung von Gedanken, Begriffen mit unmittelbaren partikularen Zwecken. Das muß auch seyn; die Idee ist einer Seits durch den Gedanken produciert, dann durch die Mittel der Handelnden. Die Idee kommt zu Stande in der Welt, da hat es keine Noth; es ist nicht nötig, daß die Regierenden die Idee haben. Die Mittel scheinen oft der Idee entgegengesetzt zu seyn, das schadet nichts. Man muß wissen, was Handeln ist: Handeln ist Treiben des Subjekts als solchen für besondere Zwecke. Alle diese Zwecke sind nur Mittel, die Idee hervorzubringen, weil s i e die absolute Macht ist.“

[33] Ebd.: 196.

[34] Ebd.: 195.

[35] Ebd.: 194–195. „In der ganzen Geschichte von der Völkerwanderung an, wo die christliche Religion die allgemeine Religion wurde, hat es sich aber um nichts Anderes gehandelt, als das Bewußtseyn des Uebersinnlichen, das übersinnliche Reich, was zunächst für sich gewesen ist, dies an und für sich Allgemeine, Wahre auch in die Wirklichkeit einzubilden, die Wirklichkeit danach zu bestimmen. Dies ist das fernere Geschäft der Bildung überhaupt gewesen. Ein Staat, eine Regierung, Staatsverfassung moderner Zeit ist daher etwas ganz Anderes, hat eine ganz andere Grundlage, als ein Staat älterer Zeit, und besonders der Zeit, in der Plato lebte. Wir finden im Allgemeinen, daß damals die Griechen vollkommen unzufrieden gewesen sind, abgeneigt, verdammt haben die demokratische Verfassung und den Zustand ihrer Zeit, der daraus hervorging; – ein Zustand, der dem Untergange dieser Verfassung vorherging. Alle Philosophen erklärten sich gegen die Demokratien der griechischen Staaten, – eine Verfassung, wo die Bestrafung der Generale u.s.f. geschah. Gerade in ihr müßte es sich am ehesten vom Besten des Staats handeln; es war aber zufällige Willkür, corrigiert momentan durch überwiegende Individualitäten. Aristides, Themistokles, Mark Aurel sind Virtuosen. Der Zweck des Staats, das allgemeine Beste ist ganz anders immanent, gewalthabend in unseren Staaten, als in älterer Zeit. Der gesetzliche Zustand, Zustand der Gerichte, der Verfassung, des Geistes ist so fest in sich selbst, daß nur zu entscheiden bleibt für das Momentane; es fragt sich, was und ob etwas vom Individuum abhängig ist. Ein Beispiel, was ein Philosoph auf dem Throne bewirken könnte, wäre Mark Aurel; es sind aber nur Privathandlungen von ihm anzuführen, das römische Reich ist nicht besser geworden. Friedrich II. ist der philosophische König genannt worden. Er war König, und hat sich mit wolfischer Metaphysik und französischer Philosophie und Versen beschäftigt; er war so ein Philosoph nach seiner Zeit. (...) Aber er ist auch ein philosophischer König in dem Sinne, daß er einen ganz allgemeinen Zweck, das Wohl, das Beste seines Staates sich selbst in seinen Handlungen und in allen Einrichtungen zum Prinzip gemacht hatte, gegen Traktate mit anderen Staaten, gegen die partikularen Rechte in seinem Lande; diese hat er unterworfen dem an und für sich allgemeinen Zwecke. Wenn dann später so etwas zur Sitte, zur Gewohnheit geworden ist: so heißen die folgenden Fürsten nicht mehr Philosophen, wenn auch dasselbe Princip vorhanden ist, und die Regierung, die Institutionen vornehmlich, darauf gebaut sind. Das Resultat hiervon ist, daß, wenn Plato sagt, die Philosophen sollen regieren, er das Bestimmen des ganzen Zustandes durch allgemeine Principe meint. Dies ist in den modernen Staaten vielmehr ausgeführt; es sind allgemeine Principe wesentlich die Basen der modernen Staaten, – d.h. nicht gerade aller, aber doch der meisten. Einige sind schon auf dieser Stufe, andere sind im Kampfe darüber; aber es ist allgemein anerkannt, daß solche Principe das Substantielle der Verwaltung, der Regierung ausmachen sollen. Die Forderung des Plato ist so der Sache nach vorhanden. Was wir Philosophie nennen, die Bewegung in reinen Gedanken, betrifft die Form, die etwas Eigenthümliches ist; aber auf dieser Form allein beruht es nicht, daß nicht das Allgemeine, die Freiheit, das Recht in einem Staate zum Princip gemacht sey.“

[36] Hegel: Aus Jenenser Vorlesungen. In: Hoffmeister: Dokumente zu Hegels Entwicklung: 352.

[37] Johannes Hoffmeister (Hrsg.): Briefe von und an Hegel. Bd. I. Hamburg: Felix Meiner, 1952. S.120.

[38] Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Bd. III): 193.

[39] Ders.: Aus Jenenser Vorlesungen. In: Hoffmeister: Dokumente zu Hegels Entwicklung: 348–349. „Im Vortrag der Metaphysik bemühte sich Hegel vorzüglich, den Übergang zur Realphilosophie immer deutlicher zu entwickeln. Er tat dies damals in völlig spekulativ theologischer Haltung. Noch im Sommer 1806 beim Vortrag der Realphilosophie nannte er die einfache Idee die M a c h t d e s g ö t t l i c h e n  M y s t e r i u m s , aus dessen ungetrübter Dichtheit die Natur und der bewußte Geist zum Bestehen für sich freigelassen würden. ... Er nannte auch die immanente Dialektik des Absoluten den L e b e n s l a u f  G o t t e s . Die Hauptsache war, daß er die Totheit des Begriffes Gottes als eines fixen Punktes mit eben so fixen Eigenschaften gänzlich auflöste. (...) Auch liebte es Hegel noch jetzt, wie schon oben bei der ersten Exposition der Metaphysik angegeben worden, das Erschaffen des Universums als A u s s p r e c h e n des absoluten W o r t e s und das Zurückgehen des Universums in sich als V e r n e h m e n desselben darzustellen, so daß Natur und Geschichte zu dem als Anderssein selbst verschwindenden M e d i u m zwischen dem Sprechen und Vernehmen wurden.“

[40] Ebd.: 349–350. „Die in der offenbaren Religion vorgestellte Wahrheit wird im Begriff des absoluten Wissens von den Mängeln der ursprünglichen Vorstellung zum Erkennen gereinigt. Indem nun das Bewußtsein sich hiermit auf den letztmöglichen Standpunkt erhoben hat, muß es den Begriff  der Gleichheit seiner Gewißheit und ihrer Wahrheit als das S y s t e m   d e r   W i s s e n s c h a f t   s e l b s t   b e w ä h -   r e n , denn mit sich und mit den M e t a m o r p h o s e n seiner Gestalten ist es schlechthin f e r t i g . Von der niedrigsten, der s i n n l i c h e n Gewißheit an, hat er sich bis zur höchsten und ideellsten, bis zur A b s o l u t h e i t des Wissens erhoben. Jeden Gegensatz seines Selbstbewußtseins, jede Täuschung hat der Geist überwun- den. Ein jedes M o m e n t seiner Weltvorstellung hat er zu einer S t u f e seiner Entwicklung gemacht und hat aufgehört, ein suchendes Erkennen zu sein. In diesem absoluten geistigen Wesen ist der Inhalt der Wissenschaft für das Selbstbewußtsein ebensowohl a l l g e m e i n e s  S e l b s t b e w u ß t s e i n , wie es ihm alle Realität oder die a n s i c h  s e i e n d e  W e s e n h e i t  und wie es sich selbst darin zu gleich dieses e i n z e l n e Selbstbewußtsein ist.“

[41] Ebd.: 352.

[42] Ebd.: 345.

[43] Ebd.: 345–346. „In einer der Einleitung zu der von ihm sensu strictiori sogenann- ten spekulativen Philosophie wies er zunächst der Philosophie im allgemeinen die Zeit ihres Erscheinens an, daß sie nämlich in den  E p o c h e n   d e s   Ü b e r g a n -  g e s auftrete, in denen die alte sittliche Form der Völker von einer neuen völlig über- wunden wird, was allerdings bei kleineren Völkern bälder, als unter größeren, be- sonders den Kolossen der neueren Zeit, geschehe. Hier vertieft sich Hegel einen Augenblick in die Schilderung des g r o ß e n M a n n e s , worin er selbst so groß  war, und lenkt dann, wie bei ihm s t e r e o t y p wurde, über Alexander den Großen durch Aristoteles als dessen Erzieher wieder in die Philososphie zurück. »Diese besonnenen Naturen tun nichts, als das Wort aussprechen und die Völker werden ihnen anhängen. Die großen Geister, die dies zu tun vermögen, müssen, um es tun zu können, von allen Eigentümlichkeiten der vorhergehenden Gestalt  g e r e i n i g t sein. Wenn sie das Werk in s e i n e r Totalität vollbringen wollen, müssen sie es  auch in i h r e r ganzen Totalität erfaßt haben. Sie ergreifen es vielleicht nur an einem Ende und bringen es vorwärts. Aber weil die Natur das G a n z e will, so stößt sie dieselben von der S p i t z e, an die sie sich stellten, und stellt andere Menschen hin; und sind auch diese einseitig, eine Folge einzelner, bis das ganze Werk vollbracht ist. Soll es aber die Tat E i n e s Menschen gewesen sein, so muß er das Ganze erkannt und damit von aller Beschränktheit sich gereinigt haben. Die Schrecken der objektiven Welt, so wie alle Fesseln der sittlichen Wirklichkeit, hiermit auch alle fremden Stützen, in dieser Welt zu stehen, so wie alles Vertrauen auf ein festes Band in derselben, müssen von ihm gefallen, d.h. er muß in der Schule der Philosophie gebildet sein. Von dieser aus kann er die noch schlummernde Gestalt einer neuen sittlichen Welt zum Erwachen emporheben und mit den alten Formen des Weltgeistes kühn in Kampfe treten, wie Jakob mit Gott gerungen hat; sicher, daß die Formen, welche er zerstören k a n n , eine veraltete Gestalt und die neue eine neue göttliche Offenbarung ist. Er kann das ganze vorhandene Menschenwesen als einen Stoff ansehen, den er sich aneignet, und aus dem sich seine große Individualität ihren Körper bildet; einen Stoff, der selbst lebendig, die trägeren oder lebendigeren Organe dieser großen Stadt bildet. So ist, um das größte Beispiel des Menschen anzuführen, der seine Individualität in das Schicksal hineingeflochten und ihr eine neue Freiheit gegeben hat, so ist Alexander der Mazedonier aus der Schule des Aristoteles zur Eroberung der Welt übergegangen.«“

[44] In: Johannes Hoffmeister (Hrsg.): Briefe von und an Hegel. Bd. II. Hamburg: Felix Meiner, 1953. S. 28.

[45] „Die ganze Umwälzung habe ich übrigens, wie ich mich rühmen will, vorausge- sagt. In meinem Werke (in der Nacht vor der Schlacht von Jena vollendet) sage ich p. 547: „Die absolute Freiheit (sie ist vorher geschildert; es ist [die] rein abstrakte, formelle der französischen Republik, aus der Aufklärung, wie ich zeigte, hervor- gegangen) geht aus ihrer sich selbst zerstörenden Wirklichkeit in ein anderes Land (ich hatte dabei ein Land im Sinne) des selbstbewußten Geistes über, worin sie in dieser Unwirklichkeit als das Wahre gilt, an dessen Gedanken er sich labt, insofern er Gedanke ist und bleibt und dieses in das Selbstbewußtsein eingeschlossene Sein als das vollkommene und vollständige Wesen weiß. Es ist die neue Gestalt des morali- schen Geistes vorhanden.“

[46] Hegel: Phänomenologie des Geistes: 27; 29-30. „Das Analysieren einer Vorstellung, wie es sonst getrieben worden, war schon nichts anderes als das Aufheben der Form ihres Bekanntseins. Eine Vorstellung in ihre ursprünglichen Elemente aus einanderlegen, ist das Zurückgehen zu ihren Momenten, die wenigstens nicht die Form der vorgefundenen Vorstellung haben, sondern das unmittelbare Eigentum des Selbsts ausmachen. Diese Analyse kommt zwar nur zu Gedanken, welche selbst bekannte, feste und ruhende Bestimmungen sind. Aber ein wesentliches Moment ist dies Geschiedene, Unwirkliche selbst; denn nur darum, daß das Konkrete sich scheidet und zum Unwirklichen macht, ist es das sich Bewegende. Die Tätigkeit des Scheidens ist die Kraft und Arbeit des Verstandes, der verwundersamsten und größten, oder viel mehr der absoluten Macht. Der Kreis, der in sich geschlossen ruht und als Substanz seine Momente hält, ist das unmittelbare und darum nicht verwundersame Verhältnis. Aber daß das von seinem Umfange getrennte Akzidentelle als solches, das Gebundene und nur in seinem Zusammenhange mit anderm Wirkliche ein eigenes Dasein und abgesonderte Freiheit gewinnt, ist die ungeheure Macht des Negativen; es ist die Energie des Denkens, des reinen Ichs. Der Tod, wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen, ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten, das, was die größte Kraft erfordert. Die kraftlose Schönheit haßt den Verstand, weil er ihr dies zumutet, was sie nicht vermag. Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Diese Macht ist er nicht als das Positive, welches von dem Negativen wegsieht, wie wenn wir von etwas sagen, dies ist nichts oder falsch, und nun, damit fertig, davon weg zu irgend etwas anderem übergehen; sondern ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es in das Sein umkehrt. – Sie ist dasselbe, was oben das Subjekt genannt worden, welches darin, daß es der Bestimmtheit in seinem Elemente Dasein gibt, die abstrakte d.h. nur überhaupt seiende Unmittelbarkeit aufhebt, und dadurch die wahrhafte Substanz ist, das Sein oder Unmittelbarkeit, welche nicht die Vermittlung außer ihr hat, sondern diese selbst ist. Daß das Vorgestellte Eigentum des reinen Selbstbewußtseins wird (...).“

[47] Ebd.: 24–25. „Daß das Wahre nur als System wirklich, oder daß die Substanz wesentlich Subjekt ist, ist in der Vorstellung ausgedrückt, welche das Absolute als Geist ausspricht, – der erhabenste Begriff, und der der neuern Zeit und ihrer Religion angehört. Das Geistige allein ist das Wirkliche; es ist das Wesen oder Ansichseiende, –  das sich Verhaltende und Bestimmte, das Anderssein und Fürsichsein  – und [das] in dieser Bestimmtheit oder seinem Außersichsein in sich selbst Bleibende; – oder es ist an und für sich. – Dies Anundfürsichsein aber ist es erst für uns oder an sich, es ist die geistige Substanz. Es muß dies auch für sich selbst, muß das Wissen von dem Geistigen und das Wissen von sich als dem Geist sein, d.h., es muß sich als Ge- genstand sein, aber eben so unmittelbar als aufgehobener, in sich reflektierter Gegen- stand. Er ist für sich nur für uns, insofern sein geistiger Inhalt durch ihn selbst erzeugt ist; insofern er aber auch für sich selbst für sich ist, so ist dieses Selbsterzeugen, der reine Begriff, ihm zugleich das gegenständliche Element, worin er sein Dasein hat, und er ist auf diese Weise in seinem Dasein für sich selbst in sich reflektierter Gegen- stand. – Der Geist, der sich so entwickelt als Geist weiß, ist die Wissenschaft. Sie ist seine Wirklichkeit und das Reich, das er sich in seinem eigenen Elemente erbaut. Das reine Selbsterkennen im absoluten, dieser Äther als solcher, ist der Grund und Boden der Wissenschaft oder das Wissen im allgemeinen. Der Anfang der Philosophie macht die Voraussetzung oder Forderung, daß das Bewußtsein sich in diesem Elemente befinde. Aber dieses Element erhält seine Vollendung und Durchsichtigkeit selbst nur durch die Bewegung seines Werdens. Es ist die reine Geistigkeit als das Allgemeine, das die Weise der einfachen Unmittelbarkeit hat; – dies Einfache, wie es als solches Existenz hat, ist der Boden, der Denken, der nur im Geist ist. Weil dieses Element, diese Unmittelbarkeit des Geistes, das Substantielle überhaupt des Geistes ist, ist sie die verklärte Wesenheit, die Reflexion, die selbst einfach, die Unmittelbarkeit als solche für sich ist, das Sein, das die Reflexion in sich selbst ist.“

[48] Ebd.: 19.

[49] Ebd.: 556.

[50] Ebd.: 24.

[51] Ebd.: 27; 29-30.

[52] Ebd.: 24, 30.

[53] „So gilt es denn uns wieder in jenen Zustand zurückzuheben, den wir bei der Ewig- keit beschrieben, jenes unwandelbare, allgesamte und voll unendliche Leben,  das ohne irgend zu wanken in dem Einen ist und auf das Eine gerichtet stille steht. Die Zeit aber gab es noch nicht, oder doch für jene oberen Wesen nicht, sondern sie war etwas was erst entsprechend der Wesenslage des Späteren entstehen sollte. Jene Wesen nun pflegten in sich selber der Ruhe. Wie da nun zuerst die Zeit ans Licht getreten ist, dies zu künden kann man die Musen wohl nicht gut anrufen, denn es gab sie damals noch nicht – eher schon sie selbst, die so entstandene Zeit befragen in welcher Weise sie entstanden und in Erscheinung getreten. Und dann würde sie von sich selbst sprechen, ungefähr folgendermaßen. Früher, bevor sie eben dies Früher erzeugt hatte und mit ihm verbunden des Später bedürftig geworden, ruhte sie aus im Seienden, sie war nicht Zeit, sondern in Ihm pflegte auch sie der Ruhe. Die Natur aber war fürwitzig, sie wollte ihr eigner Herr sein und sich selbst gehören, sie war entschlossen sich mehr zu verschaffen als sie hatte: so geriet sie in Bewegung, und die Zeit geriet ebenfalls in Bewegung; »und diese Bewegung führte uns zum immer Künftigen, Späteren, niemals Selbigen, sondern immer wieder Andern, und als wir so eine geraume Strecke des Wegs gezogen waren, hatten wir als ein Abbild der Ewigkeit die Zeit hervorgerufen.« Es gab nämlich dort eine gewisse Macht, die Seele, und sie war nicht geruhig sondern immer erpicht das droben Geschaute einem andern Wesen zuzutragen; und sie wars nicht zufrieden daß das All ihr in geschlossener Gänze gegenwärtig war; nein so wie bei einem ruhenden Samenkorn die Formkraft sich selber auszufalten strebt und daher ins vermeintlich Weite ausläuft, sie bringt die Weite durch ein Sichteilen in Erscheinung, statt ein Eines in sich selber, ist sie nicht  in sich selber und vergeudet das Eine zu einem erstreckten Schwächeren, in das sie hinaustritt; ebenso hat auch die Seele das sichtbare Weltall geschaffen, in Nachah- mung des oberen, welches nicht die Bewegung des oberen vollführt, sondern nur eine Bewegung die ihr gleicht und ihr Ebenbild sein möchte: und damit hat die Seele erstlich sich selber verzeitlicht und als Ersatz der Ewigkeit die Zeit erschaffen; sodann hat sie aber auch dem so entstandenen Weltall die Knechtschaft unter die Zeit mitge- geben, sie hat es ganz in die Zeitlichkeit hineingestellt, indem sie sämtliche Umläufe der Zeit ins Weltall einbefaßte; denn da das Weltall sich in der Seele bewegt – denn es gibt keinen andern Ort für es als die Seele – mußte es sich eben auch in der Zeit der Seele bewegen. Denn die Betätigung welche die Seele ihm angedeihen ließ, war eine immer andere und schrittweise neue; so erzeugte sie, eben indem sie Betätigung übte, das »schrittweise«; und indem eine neue Überlegung die erste ablöste, trat zugleich etwas ans Licht das sie zuvor nicht gewesen war, weil zuvor die Überlegung überhaupt nicht tätig gewesen war und weil dies neue Leben dem vorherigen nicht gleich war. So war das Leben ein anderes, und zugleich damit auch seine Zeit eine andere. Das Auseinandertreten des Lebens nämlich war mit Zeit behaftet, und das immer weitere Vorschreiten des Lebens ist immer neu mit Zeit behaftet, auch ist das vo- rübergegangene Leben mit vergangener Zeit behaftet. Wenn man also die Zeit bezeichnet als das Leben der in ihrer Bewegung von einer zur andern Lebensform übergehenden Seele, wäre damit nicht etwas Förderliches gesagt? Wenn nämlich Ewigkeit Leben ist welches in Ständigkeit, Selbigkeit, Unveränderlichkeit und voller Unendlichkeit besteht, die Zeit aber Abbild der Ewigkeit sein soll entsprechend dem Verhältnis unseres Weltalls zu dem jenseitigen, dann muß man anstelle des Lebens dort droben ein anderes Leben einsetzen, das der hiesigen Macht, der Seele, gewis- sermaßen namensgleich ist, und anstelle der geistigen Bewegung die Bewegung eines Teiles der Seele, anstelle der Selbigkeit, Unveränderlichkeit und Beharrung dasjenige was nicht im gleichen Zustand beharrt, sondern immer neue Betätigung übt, anstelle der unzerteilten Einheit das Nachbild der Einheit, das in Kontinuität besteht, anstelle der erfüllten Unendlichkeit und Ganzheit das ständige schrittweise Fortgehen ins Unendliche, und anstelle der gegenwärtigen Ganzheit dasjenige was nur stückhaft und immer nur künftig Ganzheit sein wird. Denn in dieser Form strebt sie dem gegenwär- tig Ganzen, voll Unendlichen nach, indem sie immer am Sein zuzunehmen trachtet; auch das Sein wird ja auf diese Weise ein Abbild vom oberen Sein. – Außerhalb aber der Seele darf man die Zeit nicht ansetzen, ebensowenig wie die Ewigkeit droben außerhalb des Seienden; auch ist die Zeit keine Folgeerscheinung oder ein Späteres, ebensowenig wie im Falle der Ewigkeit, sondern sie findet sich in der Seele vor, ist in ihr enthalten und ihr gesellt ganz wie droben die Ewigkeit.“ In: Plotins Schriften. Übersetzt von Richard Harder. Bd. IV. Leipzig: Felix Meiner, 1937. S.194–196.

[54] Hegel: Phänomenologie des Geistes: 29–30.

[55] Eine kritische Studie der Phänomenologie wird ernstlich behindert durch den schlechten Zustand des Sachregisters, das sich an Hoffmeisters Ausgabe anschließt. Einige der Weglassungen können mit Nachlässigkeit erklärt werden, so z.B. die Weglassung einer der wichtigen Textstellen über den Tod Gottes oder über Entfremdung. Aber wenn von den 17 oben aufgezählten Entfremdungs-Symbolen nur Negativität und Tod im Register erscheinen; oder wenn die Symbole das Beschränkte, Jenseits, Ruhe, Unruhe, Trägheit, Gedankenlosigkeit, Angst vor der Wahrheit, Furcht vor der Wahrheit, die Hegel verwendet, um den existentiellen Zustand des aufgeklärten Intellektuellen zu charakterisieren, allesamt weggelassen werden, dann beginnt man sich zu fragen, ob die Verfasser des Registers eine sehr klare Vorstellung von Hegels Problemen hatten. Und wenn man dann die Schlüsselsymbole Äther, Kreis, Zauberkraft, Zerrissenheit und Ziel überhaupt nicht findet; oder Element nur in den Fällen findet, wo es sich auf Luft, Wasser und Feuer bezieht, aber nicht in den Fällen, wo es sich auf das Element des Äthers bezieht; dann fragt man sich, ob diese Unterdrückung von allen Bezügen, durch die der Leser sich über Hegels Zustand der Entfremdung bewußt werden könnte, noch ausreichend durch einen Mangel an Sachverstand erklärt wird. Was immer auch der Fall sein mag: Bei zukünftigen Neuauflagen der Phänomenologie sollte die Erstellung des Registers an jüngere Gelehrte übergeben werden, die in den Methoden der Wissenschaft, insbesondere denen der vergleichenden Religionsforschung, auf dem Laufenden sind.

[56] Hegel: Phänomenologie des Geistes: 29–30.

[57] Ebd.: 53–54.

[58] Ders.: Aus Jenenser Vorlesungen. In: Hoffmeister: Dokumente zu Hegels Entwicklung: 346.

[59] Hegel: Phänomenologie des Geistes: 30.

[60] Ebd.: 31. „In der neuern Zeit hingegen findet das Individuum die abstrakte Form vorbereitet; die Anstrengung, sie zu ergreifen und sich zu eigen zu machen, ist mehr das unvermittelte Hervortreiben des Innern und abgeschnittne Erzeugen des Allgemeinen als ein Hervorgehen desselben aus dem Konkreten und der Mannigfaltigkeit des Daseins. Jetzt besteht darum die Arbeit nicht so sehr darin, das Individuum aus der unmittelbaren sinnlichen Weise zu reinigen und es zur gedachten und denkenden Substanz zu machen, als vielmehr in dem Entgegengesetzten, durch das Aufheben der festen bestimmten Gedanken das Allgemeine zu verwirklichen und zu begeisten. Es ist aber weit schwerer, die festen Gedanken in Flüssigkeit zu bringen, als das sinnliche Dasein. (...) Die Gedanken werden flüssig, indem das reine Denken, diese innere Unmittelbarkeit, sich als Moment erkennt, oder indem die reine Gewißheit seiner selbst von sich abstrahiert; (...) Durch diese Bewegung werden die reinen Gedanken Begriffe, und sind erst, was sie in Wahrheit sind, Selbstbewegungen, Kreise, das, was ihre Substanz ist, geistige Wesenheiten. Diese Bewegung der reinen Wesenheiten macht die Natur der Wissenschaftlichkeit überhaupt aus. Als der Zusammenhang ihres Inhalts betrachtet, ist sie die Notwendigkeit und Ausbreitung desselben zum organischen Ganzen. Der Weg, wodurch der Begriff des Wissens erreicht wird, wird durch sie gleichfalls ein notwendiges und vollständiges Werden, so daß diese Vorbereitung aufhört, ein zufälliges Philosophieren zu sein, das sich an diese und jene Gegenstände, Verhältnisse und Gedanken des unvollkommenen Bewußtseins, wie die Zufälligkeit es mit sich bringt, anknüpft, oder durch ein hin und her gehendes Räsonnement, Schließen und Folgern aus bestimmten Gedanken das Wahre zu begründen sucht: sondern dieser Weg wird durch die Bewegung des Begriffs die vollständige Weltlichkeit des Bewußtseins in ihrer Notwendigkeit umfassen.“

[61] Ebd.: 27–28. „Die Bildung in dieser Rücksicht (...) ist aber von der Seite des allgemeines Geistes als der Substanz nichts anderes, als daß diese sich ihr Selbstbewußtsein gibt, ihr Werden und ihre Reflexion in sich hervorbringt. Die Wissenschaft stellt sowohl diese bildende Bewegung in ihrer Ausführlichkeit und Notwendigkeit, wie das, was schon zum Momente und Eigentum des Geistes herabgesunken ist, in seiner Gestaltung dar. Das Ziel ist die Einsicht des Geistes in das, was das Wissen ist. Die Ungeduld verlangt das Unmögliche, nämlich die Erreichung des Ziels ohne die Mittel. Einesteils ist die Länge dieses Wegs zu ertragen, denn jedes Moment ist notwendig; – andernteils ist bei jedem sich zu verweilen, denn jedes ist selbst eine individuelle ganze Gestalt und wird nur absolut betrachtet, insofern seine Bestimmtheit als Ganzes oder Konkretes, oder das Ganze in der Eigentümlichkeit dieser Bestimmung betrachtet wird. – Weil die Substanz des Individuums, weil sogar der Weltgeist die Geduld gehabt, diese Formen in der langen Ausdehnung der Zeit zu durchgehen und die ungeheure Arbeit der Weltgeschichte, in welcher er in jeder den ganzen Gehalt seiner, dessen sie fähig ist, herausgestaltete, zu übernehmen, und weil er durch keine geringere das Bewußtsein über sich erreichen konnte, so kann zwar der Sache nach das Individuum nicht mit weniger seine Substanz begreifen; inzwischen hat es zugleich geringere Mühe, weil an sich dies vollbracht, – der Inhalt schon die zur Möglichkeit getilgte Wirklichkeit, die bezwungene Unmittelbarkeit, die Gestaltung bereits auf ihre Abbreviatur, auf die einfache Gedankenbestimmung, herabgebracht ist. Schon ein Gedachtes, ist der Inhalt Eigentum der Substanz; es ist nicht mehr das Dasein in die Form des Ansichseins, sondern nur das – weder mehr bloß ursprüngliche, noch in das Dasein versenkte – vielmehr bereits erinnerte Ansich in die Form des Fürsichseins umzukehren.“

[62] Ebd.: 422.

[63] Hoffmeister: Briefe von und an Hegel (Bd. II): 28.

[64] Alexandre Kojèves Vorlesungen über die Phänomenologie wurden in den Jahren 1933–1939 an der École pratique des Hautes Études unter dem Titel La Philosophie Religieuse de Hegel gehalten. Die Notizen, die von M. Raymond Queneau von diesen Vorlesungen gemacht und von Kojève überarbeitet worden sind, wurden 1947 unter dem Titel Introduction à la Lecture de Hegel. Leçons sur la Phénoménologie de l'Esprit veröffentlicht. Queneaus Aufzeichnungen wurden von Kojève mehrere Aufsätze hinzugefügt, auch der Appendix III.: Structure de la Phénoménologie, S. 574–595. Von diesem analytischen Inhaltsverzeichnis, das die Abschnitte in der Phänomenologie mit Personen und Ereignissen in der Ersten Realität vergleicht, spreche ich als der „Schlüssel“. Der Schlüssel ist unerläßlich für jeden ernsthaften Leser der Phänomenologie; er sollte jeder zukünftigen Auflage des Werkes beigefügt werden – ebenso wie das neue Sachregister, zu dem ich in Fußnote 17 gedrängt habe. – Wenn ich die Bedeutung von Kojèves Arbeit als ein Durchbruch für das Verständnis von Hegel betone, will ich nicht den Wert des vergleichbaren Versuches von Jean Hyppolite schmälern: Genèse et Structure de la Phénoménologie de l'Esprit de Hegel. Paris 1946. Hyppolites Arbeit ist die gründlichste unter den „konventionellen“ Interpretationen der Phänomenologie. Mit „konventionell“ meine ich eine Interpretation, die Hegels Werk in den Kontext seiner Vorgänger und Zeitgenossen stellt, die sich mit denselben Problemen befaßten; insbesondere meine ich die Darstellung der Probleme Hegels als eine Entwicklung in der deutschen idealistischen Philosophie. Die Darstellung der Phänomenologie als eine bedeutungsvolle Entwicklung in dem „konventionellen“ Kontext ist auch unerläßlich. Aber im Licht von Kojèves Arbeit erhebt sich unweigerlich das Problem: Wie weit muß die Entwicklung der Zauberei, die in der Phänomenologie zu ihrem Höhepunkt kommt, in der abendländischen Geschichte zurückverfolgt werden? Soweit ich weiß, hat bis jetzt niemand gewagt, die Frage anzugehen. – In der Introduction beschränkte sich Kojève selbst auf die Entzifferung der Phänomenologie und auf die Konstruktion des Codes. Da er ein Marxist war, d.h. der Schüler eines weiteren, großen Zauberers, studierte er nicht das Problem der Zauberei bei Hegel. Im Gegenteil: 1968 brachte er selbst ein Werk der Zauberei heraus, den Essai d'une histoire raisonnée de la philosophie paienne, Tome I, Les Présocratiques. Der Band ist eine hegelianische Umwandlung der vorsokratischen Philosophie. Ich empfehle ihn wärmstens jedem Studierenden zeitgenössischer Zauberei.

[65] Hegel: Phänomenologie des Geistes: 472. „Beide ihrer selbst gewissen Geister haben keinen andern Zweck als ihr reines Selbst, und keine andere Realität und Dasein als eben dieses reine Selbst. Aber sie sind noch verschieden; und die Verschiedenheit ist die absolute, weil sie in diesem Elemente des reinen Begriffs gesetzt ist. Sie ist es auch nicht nur für uns, sondern für die Begriffe selbst, die in diesem Gegensatze stehen. Denn diese Begriffe sind zwar bestimmte gegeneinander, aber zugleich an sich allgemeine, so daß sie den ganzen Umfang des Selbsts ausfüllen, und dies Selbst keinen andern Inhalt als diese seine Bestimmtheit hat, die weder über es hinausgeht, noch beschränkter ist als es; denn das eine, das absolut Allgemeine, ist ebenso das reine Sichselbstwissen als das andre, die absolute Diskretion der Einzelheit, und beide sind nur dies reine Sichwissen. Beide Bestimmtheiten sind also die wissenden reinen Begriffe, deren Bestimmtheit selbst unmittelbar Wissen oder deren Verhältnis und Gegensatz das Ich ist. Hiedurch sind sie füreinander diese schlechthin Entgegengesetzten; es ist das vollkommen Innre, das so sich selbst gegenüber und ins Dasein getreten ist; sie machen das reine Wissen aus, das durch diesen Gegensatz als Bewußtsein gesetzt ist. Aber noch ist es nicht Selbstbewußtsein. Diese Verwirklichung hat es in der Bewegung dieses Gegensatzes. Denn dieser Gegensatz ist vielmehr selbst die indiskrete Kontinuität und Gleichheit des Ich = Ich; und jedes für sich eben durch den Widerspruch seiner reinen Allgemeinheit, welche zugleich seiner Gleichheit mit dem andern noch widerstrebt und sich davon absondert, hebt an ihm selbst sich auf. Durch diese Entäußerung kehrt dies in seinem Dasein entzweite Wissen in die Einheit des Selbst zurück; es ist das wirkliche Ich, das allgemeine sich selbst Wissen in seinem absoluten Gegenteile, in dem insichseienden Wissen, das um der Reinheit seines abgesonderten Insichseins willen selbst das vollkommen Allgemeine ist. Das versöhnende Ja, worin beide Ich von ihrem entgegengesetzten Dasein ablassen, ist das Dasein des zur Zweiheit ausgedehnten Ichs, das darin sich gleich bleibt und in seiner vollkommnen Entäußerung und Gegenteile die Gewißheit seiner selbst hat; – es ist der erscheinende Gott mitten unter ihnen, die sich als das reine Wissen wissen.“

[66] Kojève: Introduction:153–154. Übersetzt von Nils Winkler.

[67] Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Bd. III): 302. „Es erscheint allerdings in der Geschichte als ein glänzendes Schicksal, der Erzieher eines Alexander gewesen zu sein; Aristoteles genoß an diesem Hofe die Gunst und Achtung des Philipp und der Olympias im höchsten Grade. Was aus seinem Zögling geworden ist, ist bekannt; und von welchem Erfolge seine Erziehung gewesen ist, ist die Größe von Alexanders Geist und Thaten, so wie dessen fortdauernde Freundschaft das höchste Zeugnis für Aristoteles, wenn er eines solchen Zeugnisses bedürfte, – sie geben ein Zeugnis für den Geist der Erziehung. Aristoteles hatte auch an Alexander einen anderen, würdigeren Zögling, als Plato in dem Dionysius gefunden hatte. Plato war es um seine Republik, um ein Ideal eines Staates zu thun, das Individuum war nur Mittel; er läßt sich mit einem solchen Subjekte ein, durch den es ausgeführt werden sollte, das Individuum ist gleichgültig.“

[68] Ebd.: 303ff. „Nach Ritter (Erdkunde, Bd. II., S.839, 1. Ausg.) soll Alexander nicht bloß zu erobern ausgezogen seyn, sondern mit der Vorstellung, daß Er der Herr sey. Ich bin nicht der Meinung, daß Aristoteles diesen Zweck noch mit einer anderen orientalischen Anschauung verknüpft in die Seele Alexanders gelegt (...); daß macedonische Könige Anspruch gemacht auf Herrschaft und Abstammung von Heroengeschlechtern Alt-Indiens (Dionysos); ob die »Kenntnis hiervon nicht die eigentliche religiöse Grundidee war, welche sich der Seele des jungen Helden bemächtigte, als er, vor seinem Zuge nach Asien, indische Priesterstaaten, wo die Unsterblichkeit der Seele gelehrt ward, an dem unteren Ister fand, und s i c h e r nicht ohne Aristoteles' Rath, der durch Plato und Pythagoras ein Eingeweihter indischer Weisheit war, den Zug in den Orient begann, und erst das Orakel der Ammonier (jetzt Siwa) besuchte, dann das Perserreich zerstörte, und Persepolis verbrannte, die alte Feindin indischer Götterlehre, um Rache zu nehmen für allen schon durch Darius an den Budiern und deren Glaubensgenossen verübten Frevel«. Dies ist sinnreiche Kombination aus der gründlichen Beschäftigung mit den Zusammenhängen orientalischer indischer Ideen, und dem höheren Standpunkt der Geschichte; – es ist heterogen. a) Ich halte mich an das Geschichtliche; und b) Alexanders Zug hat einen ganz anderen historischen, militärischen, politischen Charakter, ohnehin mit dem Indischen nicht viel zu thun gehabt, – es ist gerade offene Eroberung. Aristoteles' Metaphysik und Philosophie ist ganz entfernt von solchen Schwindeleien, – Schwärmerei-Phantasien anzuerkennen. a) Die Erhöhung Alexanders in orientalischen Phantasien zu einem allgemeinen Helden, Gott, ist nicht verwundernswürdig. Der Dalai-Lama ist es noch jetzt; Gott und Mensch sind überhaupt nicht so weit auseinander. b) Griechenland ohnehin drängte sich zur Idee eines Gottes, der Mensch geworden, – nicht entfernte fremde Bildsäule, sondern gegenwärtiger, in der gottlosen Welt. Demetrius Phalereus und Andere in Athen wurden bald nachher als Gott verehrt und gefeiert. c) Das Unendliche ist ohnehin im Selbstbewußtseyn. d) Die Buddhisten gehen wohl den Alexander nichts an; in seinem indischen Zuge kommt nichts davon vor. Die Zerstörung von Persepolis ist genug gerechtfertigt als griechische Rache dafür, daß Xerxes die Tempel in Athen, Griechenland zerstört.“

[69] Hegel: Phänomenologie des Geistes: 472.

[70] Ebd.:

[71] Ebd.: 471. „Das Wort der Versöhnung ist der daseiende Geist, der das reine Wissen seiner selbst als allgemeinen Wesens in seinem Gegenteile, in dem reinen Wissen seiner als der absolut in sich seienden Einzelheit anschaut, – ein gegenseitiges Anerkennen, welches der absolute Geist ist. Er tritt ins Dasein nur auf der Spitze, auf welcher sein reines Wissen von sich selbst der Gegensatz und Wechsel mit sich selbst ist. Wissend, daß sein reines Wissen das abstrakte Wesen ist, ist er diese wissende Pflicht im absoluten Gegensatze gegen das Wissen, das sich als absolute Einzelheit des Selbsts das Wesen zu sein weiß. Jenes ist die reine Kontinuität des Allgemeinen, welches die sich als Wesen wissende Einzelheit als das an sich Nichtige, als das Böse weiß. Dies aber ist die absolute Diskretion, welche sich selbst in ihrem reinen Eins absolut, und jenes Allgemeine als das Unwirkliche weiß, das nur für andre ist. Beide Seiten sind zu dieser Reinheit geläutert, worin kein selbstloses Dasein, kein Negatives des Bewußtseins mehr an ihnen ist, sondern jene Pflicht ist der sich gleichbleibende Charakter seines sich selbst Wissens, und dieses Böse hat ebenso seinen Zweck in seinem Insichsein, und seine Wirklichkeit in seiner Rede; der Inhalt dieser Rede ist die Substanz seines Bestehens; sie ist die Versicherung von der Gewißheit des Geistes in sich selbst.“

[72] Ebd.: 562. „In dem Wissen hat also der Geist die Bewegung seines Gestaltens beschlossen, insofern dasselbe mit dem überwundnen Unterschiede des Bewußtseins behaftet ist. Er hat das reine Element seines Daseins, den Begriff, gewonnen. Der Inhalt ist nach der Freiheit seines Seins das sich entäußernde Selbst, oder die unmittelbare Einheit des Sichselbstwissens. Die reine Bewegung dieser Entäußerung macht, sie am Inhalte betrachtet, die Notwendigkeit aus. Der verschiedene Inhalt ist als bestimmter im Verhältnisse, nicht an sich, und [ist] seine Unruhe, sich selbst aufzuheben, oder die Negativität; also ist die Notwendigkeit oder Verschiedenheit, wie das freie Sein, ebenso das Selbst; und in dieser selbstischen Form, worin das Dasein unmittelbar Gedanke ist, ist der Inhalt Begriff. Indem also der Geist den Begriff gewonnen, entfaltet er das Dasein und Bewegung in diesem Äther seines Lebens, und ist Wissenschaft. Die Momente seiner Bewegung stellen sich in ihr nicht mehr als bestimmte Gestalten des Bewußtseins dar, sondern indem der Unterschied desselben in das Selbst zurückgegangen, als bestimmte Begriffe, und als die organische in sich selbst gegründete Bewegung derselben. Wenn in der Phänomenologie des Geistes jedes Moment der Unterschied des Wissens und der Wahrheit, und die Bewegung ist, in welcher er sich aufhebt, so enthält dagegen die Wissenschaft diesen Unterschied und dessen Aufheben nicht, sondern indem das Moment die Form des Begriffs hat, vereinigt es die gegenständliche Form der Wahrheit und des wissenden Selbst in unmittelbarer Einheit.“

[73] Ebd.: 564. „Die andere Seite aber seines [des Geistes] Werdens, die Geschichte, ist das wissende, sich vermittelnde Werden – der an die Zeit entäußerte Geist; aber diese Entäußerung ist ebenso die Entäußerung ihrer selbst; das Negative ist das Negative seiner selbst. Dies Werden stellt eine träge Bewegung und Aufeinanderfolge von Geistern dar, eine Galerie von Bildern, deren jedes mit dem vollständigen Reichtume des Geistes ausgestattet, ebendarum sich so träge bewegt, weil das Selbst diesen ganzen Reichtum seiner Substanz zu durchdringen und zu verdauen hat. Indem seine Vollendung darin besteht, das was er ist, seine Substanz, vollkommen zu wissen, so ist dies Wissen sein Insichgehen, in welchem er sein Dasein verläßt und seine Gestalt der Erinnerung übergibt. In seinem Insichgehen ist er in der Nacht seines Selbstbewußtseins versunken, sein verschwundenes Dasein aber ist in ihr aufbewahrt; und dies aufgehobne Dasein, – das vorige, aber aus dem Wissen neugeborne, – ist das neue Dasein, eine neue Welt und Geistesgestalt. In ihr hat er ebenso unbefangen von vorn bei ihrer Unmittelbarkeit anzufangen, und sich von ihr auf wieder groß zu ziehen, als ob alles Vorhergehende für ihn verloren wäre, und er aus der Erfahrung der frühern Geister nichts gelernt hätte. Aber die Er-Innerung hat sie aufbewahrt und ist das Innre und die in der Tat höhere Form der Substanz. Wenn also dieser Geist seine Bildung, von sich nur auszugehen scheinend, wieder von vorn anfängt, so ist es zugleich auf einer höhern Stufe, daß er anfängt. Das Geisterreich, das auf diese Weise sich in dem Dasein gebildet, macht eine Aufeinanderfolge aus, worin einer den andern ablöste, und jeder das Reich der Welt von dem vorhergehenden übernahm. Ihr Ziel ist die Offenbarung der Tiefe, und diese ist der absolute Begriff; diese Offenbarung ist hiemit das Aufheben seiner Tiefe oder seine Ausdehnung, die Negativität dieses insichseienden Ich, welche seine Entäußerung oder Substanz ist, – und seine Zeit, daß diese Entäußerung sich an ihr selbst entäußert und so in ihrer Ausdehnung ebenso in ihrer Tiefe, dem Selbst ist. Das Ziel, das absolute Wissen, oder der sich als Geist wissende Geist hat zu seinem Wege die Erinnerung der Geister, wie sie an ihnen selbst sind und die Organisation ihres Reiches vollbringen. Ihre Aufbewahrung nach der Seite ihres freien in der Form der Zufälligkeit erscheinenden Daseins, ist die Geschichte, nach der Seite ihrer begriffnen Organisation aber die Wissenschaft des erscheinenden Geistes; beide zusammen, die begriffne Geschichte, bilden die Erinnerung und die Schädelstätte des absoluten Geistes, die Wirklichkeit, Wahrheit und Gewißheit seines Throns, ohne den er das leblose Einsame wäre (...).“

[74] Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Bd. III): 96. „Nein! Nein! Es sind Thaten des Weltgeistes, meine Herren, und darum des Schicksals. Die Philosophen sind dabei dem Herrn näher, als die sich nähren von den Brosamen des Geistes; sie lesen, oder schreiben diese Kabinetsordres gleich im Original: sie sind gehalten, diese mitzuschreiben. Die Philosophen sind die mystai, die beim Ruck im innersten Heiligthum mit und dabei gewesen; die Anderen haben ihr besonderes Interesse: diese Herrschaft, diesen Reichthum, dies Mädchen. – Wozu der Weltgeist  100 und 1000 Jahre braucht, das machen wir schneller, weil wir den Vortheil haben, daß es eine Vergangenheit, und in der Abstraktion geschieht.“

[75] Hegel: Wissenschaft der Logik. Hrsg. v. Georg Lasson. Erster Teil. Hamburg: Meiner, 1932: 31.

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Eric Voegelin

Eric Voegelin (narozen v Německu jako Erich Hermann Wilhelm Vögelin 3. ledna 1901, Kolín nad Rýnem, zemřel 19. ledna 1985, Palo Alto, Kalifornie, USA) byl německo-americký konzervativní politický filosof. Sebrané spisy vyšly v 34 svazcích a jeho dílu se věnuje celá řada univerzitních středisek a ústavů po celém světě, včetně českého Voegelin Principles.